zur Druckansicht

Menschliche Logik und Gottes Antwort

Versammelt um den Altar des Herrn (von links): Stiftskanoniker Johann Palfi, Pfarrer Klaus Rapp, Bischof Josef Csaba Pál, Monsignore Andreas Straub und Pfarrer Paul Kollar Fotos: Roswitha Dorfner

Die konzelebrierenden Geistlichen mit den Ehrengästen, den Fahnenabordnungen, den Marienmädchen und Trachtenträgern aus Sanktanna sowie den Vertretern des St. Gerhards-Werks vor der Sankt-Anna-Basilika in Altötting Foto: Marianne Hellstern

Raimund Haser, Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg und Vorsitzender des Vereins Haus der Donauschwaben Sindelfingen sprach das Wort des Laien.

Unter dem Motto „Maria, Vorbild der Kirche“ fand am 9. und 10. Juli die 61. Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben nach Altötting statt.

Entstehung der  Gelöbniswallfahrten

Der 24. März 1946 am Vorabend des Festes Mariä Verkündigung war der Tag, an dem Pater Wendelin Gruber zusammen mit seinen hoffnungslos im Vernichtungslager Gakowa (Jugoslawien) dahinsiechenden donauschwäbischen Landsleuten in einer Messfeier bei überquellendem Gotteshaus gelobte, jährlich aus Dankbarkeit zu wallfahren, „wenn wir am Leben bleiben“. Zu Pfingsten 1946 wiederholte er dieses Gelöbnis bei einem geheimen Gottesdienst im Vernichtungslager Rudolfsgnad. An dieses Versprechen erinnerte der Jesuitenpater seine Landsleute, nachdem er aus sechsjähriger Kerkerhaft in Jugoslawien nach Deutschland entlassen worden war. Bis heute wird dieses Gelöbnis von Überlebenden und Bekennern bei Wallfahrten in Europa sowie Nord- und Südamerika jedes Jahr aufs Neue eingelöst. Längst ist es zum Klassiker donauschwäbischer Nachkriegsfrömmigkeit geworden. 1959 rief Gruber die Gelöbniswallfahrt nach Altötting ins Leben, die seither alljährlich am zweiten Wochenende im Juli als größte der donauschwäbischen Gelöbniswallfahrten stattfindet, nach zweijähriger Auszeit wegen der Corona-Pandemie dieses Jahr zum 61. Mal.

Obgleich die Wallfahrt in diesem Jahr offiziell auf den Sonntag beschränkt blieb, weil viele Besucher aus Angst vor Ansteckung fernblieben, kamen trotz der Gefahr über tausend Donauschwaben wieder nach Altötting. Die früh Angereisten nahmen am Vorabendgottesdienst mit Bruder Marinus und Pater Sigbert, Monsignore Andreas Straub und Pfarrer Paul Kollar teil und prozessierten danach in der Abenddämmerung mit ihren Lichtern singend und betend von der Basilika zum Kapellplatz, umrundeten dreimal die wegen Sanierung im Gerüst stehende Gnadenkapelle und kehrten schließlich zu der in einem Schrein am Eingang der Stiftskirche befindlichen Schwarzen Madonna ein. So wurde auch ohne formelles Programm der traditionsgemäße Ablauf fast verlustfrei eingehalten.

Prozession zur Basilika und Begrüßung der Ehrengäste

Am nächsten Morgen bewegte sich unter festlichen Klängen eine Prozession von der Stiftskirche zur Basilika, vorn der Träger eines Kreuzes, dann die Geistlichkeit, dahinter der Träger einer Kerze mit Inschrift, dann in der Mitte die Fahne des St. Gerhards-Werks, links und rechts flankiert von einer Tafel mit dem Bildnis von Pater Gruber und einer mit der Wallfahrtskirche Maria Radna. Es folgten zehn Fahnenabordnungen, die kleinen und großen Marienmädchen, angeführt von vier Frauen mit Marienstatue auf einer Trage, sodann die Blaskapelle der HOG Sanktanna, schließlich Trachtengruppen und Pilger.

Nach dem Einzug aller Beteiligten in die Basilika begrüßte Josef Lutz (Sanktanna/Nürnberg), der stellvertretende Vorsitzende des St. Gerhards-Werks Stuttgart und Organisator der Wallfahrt, im Namen seiner Organisation die Pilger und Gläubigen sowie namentlich eine Reihe von Ehrengästen, zuerst Bischof Josef Csaba Pál aus der Diözese Temeswar, dann die Zweite Bürgermeisterin der Kreisstadt Altötting Christine Burghart, den früheren Bürgermeister Herbert Hofauer, den Wallfahrtsrektor und Wallfahrtsprobst Prälat Dr. Klaus Metzl, den Vorsitzenden des „Vereins Haus der Donauschwaben“ in Sindelfingen Raimund Haser, der auch im baden-württembergischen Landtag sitzt, den aus Altötting stammenden Vizepräsidenten des Bundes der Vertriebenen und Bundestagsmitglied Stephan Mayer, den ehemaligen Visitator der Donauschwaben EGR Monsignore Andreas Straub, den Geistlichen Beirat des St. Gerhards-Werks Stuttgart und des Gerhardsforums Banater Schwaben München Pfarrer Paul Kollar, den stellvertretenden Vorsitzenden des St. Gerhards-Werks Pfarrer Klaus Rapp, den Stiftskanoniker in Altötting Johann Palfi, den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben und Vorsitzenden des Landesverbandes Bayern Harald Schlapansky, den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben Georg Ledig, den Vorsitzenden des Kulturwerks Banater Schwaben Bernhard Fackelmann, die Delegation des Landesverbandes Bayern der Landsmannschaft der Donauschwaben aus München-Haar mit Paul Beiwinkler, die Donauschwäbische Singgruppe aus Landshut unter der Leitung von Reinhard Scherer, die Blaskapelle der HOG Sanktanna mit ihren 15 Mitgliedern unter der Leitung von Josef Wunderlich, die Fahnenträger des St. Gerhards-Werks Gaby, Hans und Ulrike Kiefer, den Kirchenchor, die Marienmädchen und Trachtenträger aus Sanktanna, die Pilger aus den USA, Kanada, Brasilien und Argentinien sowie alle Trachtenträger, Fahnenabordnungen und Aktiven, schließlich das gesamte Organisationsteam vor Ort mit dem Banater Kreisvorsitzenden von Altötting Johann Noll an der Spitze.

Raimund Haser MdL spricht Wort des Laien

Raimund Haser betrachtete in seinem Wort des Laien das Thema „Flucht und Vertreibung“ aus ungewöhnlicher Perspektive. Zum Begriff Heimat gehöre nicht nur ein Haus, ein Grundstück, eine Straße, sondern die Summe aus allem, sogar der „Gruscht“, ein herrlich schwäbisches Wort, das Gegenstände bezeichnet, die ihren Gebrauchswert längst verloren haben, aber als Erinnerungsstücke mit heimatlicher Aura bewahrt werden – in Friedenszeiten. Wer aber fliehen und alles zurücklassen musste, entbehrt schmerzlich auch solche scheinbar wertlosen Sinnbilder der eigenen Identität. „Die Deutschen haben Schreckliches über diesen Kontinent gebracht“, fasste Haser zusammen, „aber sie haben gesühnt, haben sich an keiner Stelle der Verantwortung entzogen und sind ein verlässlicher Partner in der internationalen Gemeinschaft“. Die Vertriebenen hätten mitgebaut an einem neuen Europa, sie müssten auch an der Spitze stehen, wenn es um die Solidarität mit neuen Flüchtlingen geht. Wesentlich sei das Bekenntnis zur eigenen Geschichte, das die Erinnerungen verknüpft mit dem persönlichen Nein „gegenüber Unrecht, Völkermord, Krieg, Vergewaltigung, Militärdiktatur, Korruption, Propaganda und all den Mechanismen, die aus Menschen Tiere machen, die irgendwann nicht mehr wissen, was noch menschlich ist und was nicht“. Im Gruscht seiner aus Surtschin (Syrmien) stammenden Großmutter gebe es nichts, was an ihre alte Heimat erinnert, nur Fähigkeiten und Werte von dort habe sie ihren Enkeln eingepflanzt, wie etwa ihren tiefen Sinn für Gerechtigkeit. Haser beschloss seine Betrachtung, indem er die Pilger ermunterte, solche kostbaren Einstellungen, Überzeugungen, Werte und Kenntnisse nicht bloß mit sich herumzutragen, sondern sie in den eigenen Familien, Gemeinden und gesellschaftlichen Umfeldern fruchtbar zu machen.

Bischof Josef Csaba Pál zelebriert Pontifikalamt

In der Basilika zelebrierten zusammen mit Bischof Josef Csaba Pál aus der Diözese Temeswar Monsignore Andreas Straub, der zum 27. Mal an dieser Wallfahrt teilnahm, Pfarrer Paul Kollar, Pfarrer Klaus Rapp und Stiftskanoniker Johann Palfi. 

In seiner Predigt erwog Bischof Pál die Bedeutung Marias als Vorbild und Wegweiserin der Kirche. „Wir sind alle zu Hause hier bei der Mutter Gottes“, begann er und wies auf die ukrainischen Mütter hin, die selbstlos und unter ungeheuren Schwierigkeiten mit ihren Kindern aus den Kriegsgefahren in andere Länder geflüchtet sind, um ihnen Sicherheit zu geben. Dieses Bild sollen wir uns vorstellen, so Pál, auch wenn wir an unsere himmlische Mutter denken. Maria sei Wegweiserin der Kirche in der Geschichte gewesen, aber auch für uns heutzutage. Sie sorge sich auf zweierlei Weise für die Kirche und die Christen: durch ihr Gebet als Fürsprecherin und ihr Beispiel als Vorbild der Kirche. An zwei Wundererzählungen zeigte der Bischof, dass Maria mit der Größe ihres offenen Herzens dem Willen Gottes den ersten Platz in ihrem Leben einräumt, sich durch dieses Ja eigener Probleme entledigt und zum vollkommen freien Menschen wird, der anderen vorbehaltlos liebend dienen kann und zum Vorbild der Begegnungen wird: erstens an ihrem Besuch bei Elisabeth, deren Kind in ihrem Leib hüpfte und die vom Heiligen Geist erfüllt wurde, als sie den Gruß Marias hörte; zweitens an Marias Rolle bei der Hochzeit zu Kana, als sie mit ihrer konkreten Aufmerksamkeit den Mangel an Wein erkennt, Jesus deshalb anspricht und seine Weisung befolgt, die Krüge mit Wasser zu füllen, ohne dies zu verstehen. Trotzdem sagt sie den Dienern: „Was er euch sagt, das tut!“ Maria könne unsere Meisterin sein, die uns diese neue Denkweise und Haltung lehren kann: dass wir vor allem das tun, was Jesus von uns verlangt, auch wenn es noch so wenig zu unseren Plänen passt oder unserer Logik entspricht. „Suchet zuerst Gottes Reich, und alles andere wird euch dazugeschenkt“, schloss der Bischof mit Jesu Wort.

Die donauschwäbische Singgruppe aus Landshut unter der Leitung von Reinhard Scherer zusammen mit dem Kirchenchor aus Sanktanna begleitete den Gottesdienst mit glockenreinen Stimmen musikalisch und verlieh ihm die gehobene Festlichkeit. Traditionsgemäß spielte zum Auszug bei geneigten Fahnen die Blaskapelle der HOG Sanktanna drei Stücke: „Ich hatt’ einen Kameraden“, „Totenmarsch“ und „Ein Kind Mariens“. Zweieinhalb Stunden lang hielten die Marienmädchen im Alter zwischen vier und fünfzehn Jahren in ihren gefalteten weißen Röcken unten vor dem Altar stehend das gesamte Pontifikalamt durch.Um die Friedenswünsche des St. Gerhards-Werks und der Pilger sinnfällig zu machen und zugleich mit dem alten Symbol für den Heiligen Geist auszudrücken, wurden nach dem Gottesdienst auf dem Vorplatz der Basilika fünf weiße Friedenstauben für alle fünf Kontinente in die Freiheit gen Himmel entlassen. Der Brieftaubenzuchtverein in Emmerting hatte sie zur Verfügung gestellt. Alexandra Scherer auf der Geige und Andreas Krach auf dem Akkordeon begleiteten den Vorgang mit dem weltweit bekannten und in vielen Sprachen gesungenen Lied „La Paloma“.

Marienliedersingen, Marienandacht

Am Nachmittag wurden wie in all den Jahren zuvor in der Basilika Marienlieder gesungen. Die anschließende Marienandacht zelebrierten Msgr. Andreas Straub, Pfarrer Paul Kollar und Stiftskanonikus Johann Palfi. Straubs Predigt drehte sich um Maria als Mutter und Urbild, in dem uns Gott das innerste Geheimnis der reinen Kirche zeige, dem Straub sich bescheiden, aber einnehmend näherte, um schließlich die von den Pilgern erworbenen Devotionalien zu segnen und sie auf abermalige Wallfahrten im Sinne des Gelöbnisses von Pater Gruber zu entlassen.