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Eine multikulturelle Stadt im Wandel der Zeit

Pünktlich zum Kulturhauptstadt-Jahr 2023, in dem Temeswar eine der drei Europäischen Kulturhauptstädte ist, hat der Regensburger Pustet-Verlag in seiner Reihe „Kleine Stadtgeschichte“ ein handliches Taschenbuch zur Geschichte Temeswars herausgebracht. Autoren sind die Historiker und Südosteuropa-Experten Konrad Gündisch und Tobias Weger, die sich unter anderem auch im Kultur- und Dokumentationszentrum unserer Landsmannschaft in Ulm Informationen und Material zur Temeswarer Stadtgeschichte geholt haben.

Was Temeswar kennzeichnet – und womit die Stadt sich letztlich auch um den Titel Kulturhauptstadt beworben hat –, ist das langjährige Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Sprachen und Religionen, hauptsächlich von Deutschen, Rumänen, Ungarn, Serben und Juden. Das ist vor allem die Wahrnehmung aus heutiger Sicht und aus der Position der deutschen Ansiedler, deren Fokus auf die Stadtgeschichte mit der habsburgischen Eroberung 1716 einsetzt. Und sie macht natürlich einen großen und bedeutenden Teil der Stadtgeschichte aus, richtet den Blick auf eine wirtschaftlich und kulturell prosperierende, multi-ethnische Stadtgesellschaft, die sich trotz aller Wirrnisse des 19. und 20. Jahrhunderts ihren Glanz bis heute bewahrt hat.

Das vorliegende Buch setzt chronologisch an, erinnert an frühzeitliche Besiedlungen und an das Mittelalter, als Temeswar Residenz des ungarischen Königs Karl Robert von Anjou war. Eine Zeit, die wegen der dann folgenden Eroberung durch die Türken und die 150 Jahre dauernde Eingliederung Temeswars ins Osmanische Reich „verschüttet“ wurde. Auch dieser osmanischen Zeit widmet sich ein Kapitel des Buches wiederum sehr intensiv, denn es war, wie sich belegen lässt, für die Stadt tatsächlich auch eine Zeit der relativen wirtschaftlichen Prosperität.

Mit der Eingliederung ins Reich der Habsburger wurde Temeswar zu einer der vielen Städte, die um die Bezeichnung „Klein-Wien“ buhlten. Als es Teil der ungarischen Reichshälfte wurde, entstand aber auch eine Affinität des städtischen Bürgertums zur ungarischen Lebensweise. Dazu trugen nicht zuletzt die Temeswarer Juden bei. Die kakanischen Spannungen des 19. Jahrhunderts spiegeln sich in der Geschichte der Stadt, die von der königlichen (ungarischen) Freistadt zur Hauptstadt des Kronlandes „Serbische Wojewodschaft und Temescher Banat“ oszilllierte, um schließlich eine „Bezirksstadt im königlichen Ungarn“ zu werden. 

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte die Stadt plötzlich zu einem Land, dessen Hauptstadt wesentlich weiter entfernt ist als Wien oder Budapest, dadurch änderte sich einiges – nicht zuletzt im Stadtbild, das eine große rumänisch-orthodoxe Kathedrale an zentraler Stelle erhielt. Im kommunistischen Ostblock-Land Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg wird Temeswar erst recht zum Synonym für den Blick nach Westen, und auch ein Zentrum der deutschsprachigen Kultur neben den vielen anderen, die sich, in sicherer Entfernung vom Bukarester Machtzentrum, nach wie vor befruchteten. All das wirkte sich auf die Stadtentwicklung aus und führte zu der Vorreiterrolle der Stadt beim Sturz des Ceauşescu-Regimes im Dezember 1989 und bei der Einforderung eines demokratischen Neuanfangs mit dem „Temeswarer Manifest“.

Bei aller historischen Akribie ist die Kleine Temeswarer Stadtgeschichte aber auch eine vergnügliche (und spannende!)  Lektüre, aufgelockert mit Bildmaterial und mit biografischen Details – etwa zum mittelalterlichen Prediger Pelbart von Temeswar, zum Opfer des Olympia-Massakers 1972 André Spitzer, zum Nobelpreisträger des Jahres 2014 Stefan Hell oder zum aktuellen Bürgermeister Dominic Fritz, der aus dem Schwarzwald stammt. Sie alle, und noch einige mehr, eint die Verbundenheit mit Temeswar. 

In ihrer besonderen Art ist die „Kleine Stadtgeschichte“ etwas, was durchaus noch gefehlt hat im Portfolio der Temeswar-Literatur. Vielleicht auch deshalb, weil es nicht die Darstellung aus der Sicht der deutschen Bevölkerung ist, sondern mit dem objektiven Blick des Historikers. Das heißt aber nicht, dass der Anteil der Deutschen an der Stadtgeschichte nicht gebührend und ausführlich gewürdigt wird. Eine Bibliografie sowie ein Personen – und Ortsregister runden das Angebot hilfreich ab. Das Buch empfiehlt sich für Kenner der Stadt ebenso wie für neugierige „Schnupperer“. Und das nicht nur im Kulturhauptstadt-Jahr.

Konrad Gündisch, Tobias Weger: Temeswar / Timişoara. Kleine Stadtgeschichte. Regensburg: Pustet-Verlag 2023. 152 Seiten. ISBN 978-3-7917-3225-1. Preis: 16,95 Euro