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Aufgabe der Lyrik ist es, „die Zeit in Gedanken zu fassen“

Über Herbert-Werner Mühlroths neuen Gedichtband „Ferndonnernd“ 

„Der Mond tanzt Tango“ war der letzte Gedichtband von Herbert-Werner Mühlroth, der in der „Banater Post“ vorgestellt wurde. Das war 2016, als Rolf Stolz, der Herausgeber der Roten Reihe Lyrik, diesen Band veröffentlicht hat. Die letzte Erwähnung fand Mühlroth ein Jahr später, als ihm der Förderpreis des Donauschwäbischen Kulturpreises zuerkannt wurde. Seitdem hat Mühlroth jedoch für eine Reihe von Publikationen verantwortlich gezeichnet. Zusammen mit Ioan Milea veröffentlichte er 2018 und 2019 die zweisprachigen Haikubände „Gedankenblitze und Spiegelungen / Fulgurări şi refulgurări“ und „Lieben Igel Katzenfutter? / Iubesc aricii hrana de pisici? 2019 erschienen gleich zwei seiner Gedichtbände, „Demut“ und „Die Freiheit zu wählen“. 2021 erschien sein Haikuband „Katzenfutter. Igelgedichte“. Daneben veröffentlichte er Übersetzungen von Reiner Kunze, Andrei Zanca und Ioan Milea. Demnächst erscheint auch eine Gedichtanthologie des deutsch-jüdischen Dissidenten Hans Sahl.

Vor kurzem ist nun Herbert-Werner Mühlroths Gedichtband „Ferndonnernd“ erschienen. Mühlroth schreibt dazu: „Dieser Gedichtband basiert auf der Neulektüre der Gedichte von Friedrich Hölderlin. Natürlich ist er auch der persönliche Reflex einer Befassung mit dem genuinen Genre und dem literarischen Kanon der Lyrik, bis hin zu dessen fatalen Entwicklungen der Gegenwart.“ In der heutigen Landschaft der Lyrik stellt dies bereits eine Ausnahmeerscheinung dar. Mühlroth ist der Auffassung, dass die Lyrik sich unbedingt in ihrem Kanon reflektieren müsse, wenn sie authentisch sein möchte. Allein daraus beziehe sie ihr Existenzrecht. Eine Lyrik, die sich als „ahistorisch“ begreift und die Tradition negiert, sei per se epigonisch und unsubstanziell.

Mühlroth scheut sich nicht davor, die Hand in die Wunde zu legen, womit er sich als radikaler Gegner der nivellierenden und traditionsradierenden Entwicklungen der Gegenwart positioniert: „Die Qualität der Gegenwartslyrik entspricht einer Rückentwicklung des Menschen in die Steinzeit. Die Lyrik hat ihre humanistische Funktion, welche nur sie ausfüllen kann, nach und nach aufgegeben und ihr wurde eine Pseudo-Funktion zugeschrieben, welche sie neben die konfektionierten, uneigenständigen Gedanken stellt, die in einer vollkommen säkularisierten Welt dominieren, die ihren Urgrund vergessen hat. Die Zukunft der Lyrik ist ohne ihren literarischen Kanon dem Untergang geweiht.“

Laut Mühlroth besetzt die Lyrik in unserem Leben nur noch einen kleinen Raum. In den letzten dreißig Jahren wurde sie nach und nach aus unserem Leben zurückgedrängt. Mühlroth sagt: „Ohne Lyrik fehlt dem Menschen etwas Wesentliches, das er erst zu spät merken wird. Der Dichter ist heutzutage scheinbar nur dazu da, um an die eigentliche Bestimmung des Menschen zu erinnern.“

Mit seinem Gedichtband möchte Mühlroth dezidiert dem Verlust der Lyrik entgegenwirken. Die Folgen dieses Verlustes würden verheerend für den „inneren Menschen“ in uns sein, um Meister Eckardt zu zitieren. Aufgabe der Lyrik ist es, laut Mühlroth, „die Zeit in Gedanken zu fassen. Am leichtesten fällt dies natürlich, wenn man die Gedichte von Hölderlin dabei hinzuzieht, da dieser ein Titan auf diesem Gebiet gewesen ist.“

Gleichzeitig bekennt er: „Ferndonnernd ist eine Ausnahmeerscheinung, eine Ausnahme, auf die ich mich nur ein Mal einlasse. Es ist dies die Coincidentia oppositorum, die bei Dichtern wohl nur ein einziges Mal im Leben stattfindet.“

In diesem Sinne stellt der neue Gedichtband von Herbert-Werner Mühlroth in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung in der Lyrikwelt der Gegenwart dar. Mühlroth weist darauf hin, „welch spannende Entdeckungen und erweckende Erfahrungen die Lyrik für uns noch zu bieten hat“, was in diesem Gedichtband bildhaft und eindringlich demonstriert wird. Entstanden ist ein Gedichtband, den es sich auf jeden Fall zu entdecken lohnt. Und, es bleibt der Wunsch, dass Mühlroth mit seiner Haltung nicht auf verlorenem Posten steht.     

Herbert-Werner Mühlroth: Ferndonnernd. Gedichte. Norderstedt: BoD – Books on Demand, 2022. 212 Seiten. ISBN: 978-3-7557-9636-7. 19,90 Euro