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Musik in Lied und Leben - Vor 150 Jahren wurde der Temeswarer Philharmonische Verein gegründet (Folge 6)

Gründungsmitglieder des neuen Temeswarer Philharmonischen Vereins 1999 in den Räumen der Philharmonie, unter anderem Dirigent Remus Georgescu, Präfekt Dumitru Ganţ, Direktor Hans Fernbach und Franz Metz

Ferdinand Irsay, der letzte Chorleiter des Temeswarer Philharmonischen Vereins 1947

Franz Schmidthauer, letzter Sekretär des Philharmonischen Vereins, mit der Vorsitzenden Alexandra Răzvan-Mihalcea

Der Philharmonische Verein und sein Ende

Nach dem letzten Aufleben des Temeswarer Philharmonischen Vereins im Jahre 1931 anlässlich des 60-jährigen Jubiläums wurde es immer stiller um diese altehrwürdige Institution. In Temeswar entstand nach dem Ersten Weltkrieg die Gesellschaft der Musikfreunde, um den zahlreichen nun arbeitslosen Musikern der drei ehemaligen k.u.k. Infanterieregimentskapellen ein Dasein zu ermöglichen. Diese Musikkapellen zählten zu den besten der ganzen Doppelmonarchie. Meist waren es gut ausgebildete Musiker, die sowohl ein Blasinstrument als auch ein Streichinstrument beherrschten. Ihre Kapellmeister wurden in Prag, Budapest oder Wien ausgebildet und waren geschätzte Komponisten. Die Mitglieder dieser Infanteriemusikkapellen wirkten bei den meisten Konzerten des Temeswarer Philharmonischen Vereins mit. Ohne diese wären keine Aufführungen von symphonischen oder vokalsymphonischen Werken möglich gewesen. Auch im Opernorchester waren sie gern gesehene Aushilfen.

Kurze Zeit danach entstand das Symphonieorchester der Stadt Temeswar und 1939 wurde Richard Oschanitzky aus Hermannstadt zum Dirigenten des neu gegründeten Deutschen Symphonieorchesters ernannt. Wenn sich auch der Name des Orchesters ständig änderte, so handelte es sich immer um dieselben Musiker. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat König Michael I. 1947 das Dekret zur Gründung der Staatsphilharmonie „Banatul“ unterschrieben – eine der letzten Amtshandlungen des Monarchen. Und der Temeswarer Philharmonische Verein wirkte parallel zu diesen neuen Entwicklungen auch nach 1919 noch weiter bis 1949.

Am 16. Februar 1949 verfasste der Vorstand des Temeswarer Philharmonischen Vereins ein Schreiben in rumänischer Sprache an die örtliche Miliz: „Unterzeichneter Temeswarer Philharmonischer Verein geben bekannt, dass wir als Verein die Aktivität einstellen und weiterhin als Männerchor des III. Bezirks wirken, als Teil der Ungarischen Volksgemeinschaft Rumäniens, Sektion Temeswar. (…) Es lebe die Volksrepublik Rumänien!“

Die uns erhaltenen Programme und Dokumente aus der Zeitspanne 1944-1949 sind sehr spärlich und zeugen von den großen Schwierigkeiten jener Zeit. Das Repertoire des Männerchors bestand hauptsächlich aus ungarischen, russischen und rumänischen Volksliedbearbeitungen. Man musste bei verschiedenen kulturpolitischen Veranstaltungen auftreten, um den Schein zu wahren. Der Vorstand des Philharmonischen Vereins feierte aber weiterhin mit seinen Mitgliedern Namenstage und auch kirchliche Feste. Der letzte Vorsitzende des Vereins war ja Abtpfarrer Géza Rech aus der Fabrikstadt (Millenniumskirche), der letzte Chorleiter Ferdinand Irsay. Man dachte, dass sich die politische Lage bald beruhigen und dass man dann an die ehemaligen Erfolge anknüpfen werde. Doch das Ende kam schneller als gedacht…

Ein langes, vom Regime auferlegtes Schweigen

Bekanntlich wurden 1947/48 alle bürgerlichen Vereine in Rumänien, bedingt durch die zentralistische Politik der neuen kommunistischen Regierungspartei, aufgelöst. Man kann also behaupten, dass die Umwandlung des Männerchors des Philharmonischen Vereins in einen ungarischen Chor die Situation entspannt und gerettet hat. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war es nicht ratsam, als deutsche Chorgemeinschaft in Rumänien aufzutreten. Viele deutsche Bürger befanden sich 1949 noch in russischer Deportation, manche ehemalige Sänger waren in Kriegsgefangenschaft und kurze Zeit danach begann die Deportation in den Bărăgan. Die letzten katholischen Priester und Bischöfe kamen erst Anfang der 60er Jahre aus den Gefängnissen. Es begann das lange Schweigen über die wahre Musikgeschichte Temeswars. Bis 1989 wurde auch die Musikhistoriographie von Bukarest aus diktiert. 

Erst nach der Wende von 1989 konnte das Archiv des Temeswarer Philharmonischen Vereins gerettet, gesichert und erforscht werden (siehe Folge 3). In den Jahren 1994-1998 halfen einige Temeswarer Studenten bei der Inventarisierung der Musikalien und Dokumente des Philharmonischen Vereins, unter anderem Doru Arăzan und der spätere Domorganist Robert Bajkai.

Neugründung des Philharmonischen Vereins

Im Jahre 1998 wurde der Verein „Societatea Filarmonică din Timişoara“ (Temeswarer Philharmonischer Verein) ins Leben gerufen. Es bestand der Wille in den Reihen vieler damaliger Temeswarer Persönlichkeiten, an die Erfolge des alten Philharmonischen Vereins anzuknüpfen und neue Wege zu finden, um die Musikkultur Temeswars und des Banats zu erforschen und zu fördern. Am 29. November 1999 fand in den Räumen der Temeswarer Philharmonie die Jahresversammlung statt (siehe Foto). Anwesend waren unter anderem Remus Georgescu (Komponist, Direktor und Dirigent der Philharmonie „Banatul“), der damalige Präfekt des Kreises Temesch Dumitru Ganţ, die Klavierprofessorinnen Felicia Stancovici und Maria Bodo, Alexandra Guţu (Solocellistin der Philharmonie), der Historiker und Journalist János Szekernyés, die beiden zukünftigen Vereinsvorsitzenden Alexandra Răzvan-Mihalcea und Vilmos Soos sowie Hans Fernbach (damals Direktor der Philharmonie) und Franz Metz. Vorne auf dem Bild ist auch das Porträt des langjährigen Dirigenten Nicolae Boboc zu sehen, der im selben Jahr (1999) verstorben ist.

Es folgten schwierige Anfangsjahre für diesen neugegründeten Verein. Das Hauptziel bestand in der Suche nach einem neuen Konzertraum und nach einem eigenen Vereinssitz. Dem Verein wurde für eine bestimmte Zeit die große Synagoge der Temeswarer Innenstadt überlassen, wo in den folgenden Jahren zahlreiche kulturelle Veranstaltungen stattfinden konnten (kleinere Konzerte, Ausstellungen, Vorträge). Der Temeswarer Philharmonische Verein hat sich verpflichtet, das baufällige und verlassene Gebäude zu sanieren und zu renovieren. Im Jahr 1999 wurden bereits die Gottesdienste der jüdischen Gemeinde Temeswars nur noch in der kleineren Synagoge in der Josefstadt abgehalten. Sowohl jene der Fabrikstadt als auch die der Innenstadt waren bereits baufällig und teilweise nicht mehr betretbar. Der Philharmonische Verein hat mehrere Architekten beauftragt, die sich mit den Plänen des Umbaus der Innenstädtischen Synagoge und der Umwandlung in einen Konzertsaal beschäftigten (ähnlich wie in Novi Sad/Neusatz). Man musste dafür eine Infrastruktur schaffen (Strom, Heizung, Isolation der Fenster), es wurde eine Hebebühne für das Orchester eingeplant, usw. All diese Arbeiten und Projekte verschlangen riesige Summen, die nur schwer zu beschaffen waren. Auch das Temeswarer Rathaus hat dafür finanzielle Hilfe geleistet. Große Verdienste in dieser Angelegenheit hatten die beiden Vereinsvorsitzenden Vilmos Soos und Alexandra Răzvan-Mihalcea.

Seit dieser Zeit war die Synagoge eine ständige Baustelle. Dazu kamen noch mehrere Einbrüche, unter anderem auch die böswillige teilweise Zerstörung der alten Wegenstein-Orgel. Nach einiger Zeit hat die jüdische Gemeinde Temeswars die Synagoge der Innenstadt wieder vom Philharmonischen Verein zurückgenommen, um das Gebäude einer großen Renovierung zu unterziehen. Seit einigen Jahren ist das Gebäude erneut eine große Baustelle und die Renovierungsarbeiten gehen in großen Schritten weiter. Dadurch ist auch die Aktivität des neugegründeten Temeswarer Philharmonischen Vereins zum Erliegen gekommen.

Einige Lichtblicke waren aber auch für diese Jahre doch zu vermerken. So wurde 2008 der in New York lebende Temeswarer Violinist Gabriel Banat (geb. Hirsch, 1926-2016) zum Ehrenmitglied des Temeswarer Philharmonischen Vereins ernannt. Dieser besuchte zum ersten Mal nach 70 Jahren wieder seine Heimatstadt, die er 1946 nach einem letzten Violinkonzert verlassen hatte. Dieses letzte Abschiedskonzert fand am 8. Juni 1946 im Capitol-Saal statt und wurde durch den Philharmonischen Verein organisiert. Im selben Saal trat er nach 70 Jahren nochmals auf, diesmal gemeinsam mit dem Sologeiger Gabriel Popa, in Bachs Doppelkonzert d-Moll für zwei Violinen und Orchester. Beide Geiger hatten einen gemeinsamen Lehrer: Professor Josef Brandeisz. Gabriel Banat war dessen erster, Gabriel Popa dessen jüngster Schüler.

Josef Brandeisz (1896-1978) war nicht nur ein bedeutender Musikpädagoge, sondern auch ein guter Kenner der Banater Musikgeschichte. Als der Temeswarer Philharmonische Verein 1931 sein 60-jähriges Jubiläum feierte, gehörte auch er zu den Mitgliedern dieses Vereins. Er widmete dieser Musikinstitution auch in seinem Buch „Temeswarer Musikleben“ (Kriterion Verlag, 1982) ein ganzes Kapitel.

Im Jahr 2008 wurde auch der Orgelbauer Josef Wegenstein zum Ehrenmitglied des Philharmonischen Vereins anlässlich seines letzten Besuchs in Temeswar ernannt. Er war der Enkel des Firmengründers Carl Leopold Wegenstein, der ebenfalls 1932 Mitglied dieses Musikvereins war.

Nicht zuletzt wurde auch der letzte noch lebende Sekretär des Temeswarer Philharmonischen Vereins bei mehreren Anlässen geehrt. Franz Schmidthauer, ein begeisterter Tenor und Kirchenchorsänger, war 1947 letzter Sekretär des Philharmonischen Vereins. Das letzte Protokoll aus dem Jahr 1947 wurde von ihm unterschrieben. Dieser umfangreiche Band mit allen Sitzungsberichten des Philharmonischen Vereins aus der Zeit 1929-1947 wurde im Jahr 2008 dem Verfasser dieser Zeilen durch eine Verwandte Schmidthauers übergeben. Der Vorstand des 1998 neu gegründeten Philharmonischen Vereins hat bei mehreren Gelegenheiten Franz Schmidthauer geehrt und ihn durch sein Wirken in Erinnerung gebracht. So auch im Jahr 1999, als die Jahresversammlung im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus stattgefunden hat (siehe Foto). Anwesend waren unter anderem die Vorstandsmitglieder Alexandra Răzvan-Mihalcea, Bürgermeister Gheorghe Ciuhandu, Oberrabbiner Ernest Neumann, Hans Fernbach, Victor Neumann, Felicia Stancovici, Präfekt Dumitru Ganţ, Alexandra Guţu, Ioan Tomi, Vilmos Soos, Remus Georgescu, Karl Singer, Franz Schmidthauer und nicht zuletzt der Direktor der Wiener Staatsoper Ioan Holender, der zum Ehrenmitglied des Temeswarer Philharmonischen Vereins ernannt wurde.

150-jähriges Jubiläum des Philharmonischen Vereins

Im Jahr 2021 sollte das 150-jährige Jubiläum des Temeswarer Philharmonischen Vereins begangen werden. Geplant war die Aufführung des Oratoriums „Die Könige in Israel“, komponiert 1881 vom damaligen Domkapellmeister und Dirigenten des Temeswarer Philharmonischen Vereins Wilhelm Franz Speer. Dieser widmete sein umfangreiches vokalsymphonisches Werk dem Philharmonischen Verein und seinen beiden Freunden August Pummer und Johann Riedl. Es wurde nur ein einziges Mal – 1882 – im großen städtischen Redoutensaal aufgeführt. Nun soll dieses Konzert, trotz Pandemie, am 4. März 2022 durch den Chor und das Orchester der Temeswarer Philharmonie aufgeführt werden. Eine etwas späte, aber doch sinnvolle Würdigung jenes Vereins, der sich wie kein anderer für die Musikkultur der Banater Metropole im Laufe von mehr als 70 Jahren eingesetzt hat. 

In der Zwischenzeit sind einige Publikationen und Monographien über den Temeswarer Philharmonischen Verein erschienen, es fanden internationale musikwissenschaftliche Symposien zu diesem Thema statt, man hat in Ljubljana, Wien, Budapest, Rom, Bonn und Bukarest über den Verein referiert, junge Musikwissenschaftler aus mehreren Ländern haben Abschlussarbeiten darüber geschrieben. 

Die ersten Schriften des Temeswarer Philharmonischen Vereins wurden ab 1871 in deutscher Sprache verfasst, nach 1880 immer mehr in ungarischer und nach 1919 immer öfter in rumänischer Sprache. Für die heutige junge Generation von Musikhistorikern ist dieses wahrhaft multikulturelle Phänomen schwer zu verstehen. Die Musik war und ist auch weiterhin in Temeswar eine lebendige Brücke, die Kulturen, Ethnien, Konfessionen und Nationalitäten miteinander verbindet. Möge sie auch von den heutigen Bürgern Temeswars – der Europäischen Kulturhauptstadt 2023 – als eine solche verstanden werden.