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Musik in Lied und Leben - Vor 150 Jahren wurde der Temeswarer Philharmonische Verein gegründet (Folge 5)

Die große Sängerhalle auf dem Temeswarer Domplatz, wo im August 1903 mehrere Tausend Sänger gleichzeitig auftraten

Der Temeswarer Philharmonische Verein brachte 1898 Kaiser Franz Joseph I. in Busiasch eine Serenade dar.

„Willkommen, Sänger, in Temesvar!“ – Sonderausgabe der Zeitung „Südungarische Reform“ anlässlich des Sängerfestes 1903 in Temeswar © für sämtliche Illustrationen: Südosteuropäisches Musikarchiv, München

Nationalitäten, Sprachen und Konfessionen

Vielleicht sollte dieses Kapitel als eines der wichtigsten in der Monografie des Temeswarer Philharmonischen Vereins betrachtet werden. In Temeswar selbst wurde dieser Verein bereits in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts als erster multinationaler Gesangverein bezeichnet, der in seine Reihen nicht nur deutsche oder ungarische Mitglieder aufnahm. In Temeswar lebten zur Zeit der Vereinsgründung Deutsche, Serben, Rumänen, Ungarn, Tschechen und Slowaken. Die jüdischen Bürger wurden nicht als Nationalität, sondern als Bürger „israelitischer Konfession“ bezeichnet. Allesamt gehörten sie der ungarischen Nation an, also bezeichneten sich alle als Ungarn, waren also ungarische Staatsbürger.

Die Umgangssprache des Vereins war zu Beginn die deutsche. Mit der Zeit wurde von Budapest aus verlangt, dass sämtliche Jahresberichte und Sitzungsprotokolle in ungarischer Sprache verfasst werden müssen. Die immer schärferen Gesetze aus der ungarischen Hauptstadt konnten in der Stadt Temeswar nur schwer durchgreifen. In den achtziger Jahren gab es viele Debatten um die Umgangssprache zwischen den einzelnen Vereinsmitgliedern. In einem umfangreichen Zeitungsbericht wurde der Verein spöttisch als „Gesangsverein“ bezeichnet und ihm wurden ungarnfeindliche Tendenzen vorgeworfen. Bekanntlich befand sich Temeswar auf letzter Stelle was die damalige „fortschreitende Magyarisierung“ anbelangte. In einem Schreiben aus Karansebesch aus jener Zeit wurde vermerkt, dass man in „unserer Stadt bereits beachtliche Fortschritte“ auf diesem Gebiet gemacht hatte.

In einer öffentlichen Stellungnahme bedauerte der Vereinsvorsitzende August Pummer, dass er den Mitgliedern ihre eigene Muttersprache während der Vereinsproben und in den Pausen nicht verbieten könne. Trotzdem sei man bestrebt, sich weiterhin mit voller Kraft für die Magyarisierung einzusetzen. Die Toleranz des Temeswarer Philharmonischen Vereins ging so weit, dass man auch in der serbischen Kathedrale regelmäßig den Gottesdienst musikalisch gestaltet hat.

Ein besonderes Problem bestand in den Texten der einstudierten Chöre. Anhand des Repertoires des Vereins lässt sich feststellen, dass die meisten Chöre in deutscher Sprache gesungen wurden. Auch dies wurde dem Verein von Budapest aus vorgeworfen. Die Rechtfertigung aber schien klar und überzeugend zu klingen: Man singe das, was leicht anzuschaffen sei und den Chorsängern gefalle. Natürlich war die Zahl der Chöre mit deutschem Text, darunter die bisher verlegten Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Schubert, Johannes Brahms oder Max Bruch, viel höher als jene der in Budapest veröffentlichten ungarischen Chorwerke. Diese Kritik hat aber später zu einem beträchtlichen Aufschwung im ungarischen Verlagswesen geführt. Besonders in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden immer mehr ungarische Chorwerke und das Repertoire des Temeswarer Philharmonischen Vereins veränderte sich schlagartig.

Es scheint, als ob die älteren Herren des Vereins, besonders jene aus den Reihen der Gründungsmitglieder, mit der neuen „modernen“ Anschauung der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts nicht mehr zurechtkamen. Weshalb sollte man nicht auch weiterhin das Deutsche Lied Johann Wenzel Kalliwodas singen können? Und man sang es auch weiterhin. In manchen Konzerten folgte nach E. S. Engelsbergs Meine Muttersprache ein ungarischer Chor von Ferenc Erkel, Mihály Mosonyi oder Conrad Paul Wusching. Trotz mancher Turbulenzen im Vereinsvorstand, versuchte man, den inneren Frieden zu bewahren.

Als im Jahre 1896 zahlreiche Mitglieder austraten, um einen rein ungarischen Chor zu gründen, sah man sich nach kürzester Zeit gezwungen, die Fusion beider Chöre vorzunehmen. Offiziell bekam der neue Verein den ungarischen Namen „Temesvári Zenekedvelö Egyesület“, also den gleichen wie bisher, nur in ungarischer Sprache. Die Rechnung ging aber nicht auf, da der Name „Temeswarer Philharmonischer Verein“ auch weiterhin benützt wurde. Man hatte sich an diesen Begriff ganz einfach gewöhnt.

Im Zentrum der Banater Metropole stehen unweit voneinander entfernt die Zentren der dort lebenden Religionsgemeinschaften: der römisch-katholische Dom, die serbisch-orthodoxe und die rumänisch-orthodoxe Kathedrale, die evangelische und die reformierte Kirche, die innerstädtische Synagoge und die griechisch-katholische Kirche. Die Mitglieder des Temeswarer Philharmonischen Vereins kamen aus all diesen Konfessionen und Religionen. Man sang zum Beispiel zur Eröffnung der Innerstädtischen Synagoge, und deren Oberkantor Ignatz Katz trat in vielen Konzerten als Solist auf. Viele kirchliche Feiertage wurden sowohl nach gregorianischem als auch nach julianischem Kalender gefeiert, was dazu führte, dass oft die entsprechenden Daten der Konzertveranstaltungen doppelt angegeben werden mussten. Die Dirigenten des Philharmonischen Vereins Wilhelm Franz Speer, Martin Novacek, Desiderius Járosy oder Desiderius Braun waren zugleich Kapellmeister des katholischen Doms. Anlässlich des Reformationsfestes trat der Chor öfter auch in der reformierten Kirche auf.

Diese Eigenschaften galten aber nicht nur für den Temeswarer Philharmonischen Verein, sondern auch für viele andere Banater Gesangvereine. Bei fast allen Sängerfesten wurde in mehreren Sprachen gesungen. Die bunte Zusammensetzung der Gesangvereine konnte man am besten in den nach den Konzerten stattgefundenen Tanzkränzchen beobachten: Nach dem deutschen Walzer folgte ein ungarischer Csárdás, dann ein serbischer Kolo, eine rumänische Ardeleana und danach eine Quadrille. Fast alle Tanzkärtchen aus dem Vereinsarchiv beinhalten ähnliche Tanzordnungen. Für die daraus entstehende gute Stimmung im Rahmen der verschiedensten Vereinsfeste machte sich der Temeswarer Philharmonische Verein einen guten Namen.

Diese von der Gründung her und aus der Tradition übernommene Haupteigenschaft der Temeswarer Philharmoniker – die Toleranz –, blieb bis zum Ende erhalten. Man versuchte kaum etwas gegen die politischen, meist nationalistischen Tendenzen aus Budapest, Bukarest oder Berlin zu unternehmen. Man war sich dessen sicher, dass der Druck irgendwann von allein nachlassen werde und trachtete danach, irgendwie im alltäglichen Überlebenskampf miteinander auszukommen. Das gemeinsame Singen und Musizieren brachten die verschiedenen Nationalitäten, Sprachen und Konfessionen einander näher – ein einzigartiges Beispiel in der europäischen Musikgeschichte.

Eine Serenade für den Kaiser und König

Im Jahre 1898 fand in Arad das Landessängerfest statt. Der Temeswarer Chorleiter und Komponist Karl Rudolf Kárrász schrieb dafür eine Auftragskomposition mit dem Titel Üdvözlet Aradnak (dt. Gruß an Arad). An diesem Sängerfest beteiligten sich über 10000 Personen, die Zeitungen berichteten eingehend darüber. Fast zur gleichen Zeit feierte der Gesangverein Anina sein zehnjähriges Jubiläum, wobei fünf Gastchöre eingeladen waren. In der Zwischenzeit probte der Temeswarer Philharmonische Verein fleißig für die bevorstehende Serenade zu Ehren von König Franz Joseph I., der am 4. September 1898 in Busiasch weilen sollte. Dann nämlich fand in der Gegend des Banater Kurortes Busiasch das sogenannte Kaisermanöver statt. Der Philharmonische Verein sang dabei Werke von Ludwig van Beethoven, Anton M. Storch und Franz Liszt. Die Vereinsleitung bekam dafür ein Dankesschreiben seitens des Kaisers wie auch seitens des Bürgermeisters Dr. Karl Telbisz. Als Anerkennung für diese glanzvolle Leistung übergab der Kaiser dem Temeswarer Philharmonischen Verein einen vergoldeten Pokal mit dem Datum des Ständchens. Anlässlich der 27. Gründungsfeier wurde dieser Pokal mit Wein gefüllt und zum ersten Mal auf das Wohl des erhabenen Spenders geleert.

Die Freude währte aber nicht lange, da am 16. September 1898 die Nachricht von der Ermordung der Königin Elisabeth auch Temeswar erreicht hat. Der Philharmonische Verein beschloss sofort, als Zeichen der Trauer, die Aufführungen der nächsten dreißig Tage zu verschieben. Am 27. September 1898 sang der Chor in der Sankt-Georgs-Kirche ein Requiem für die Verstorbene. Der Philharmonische Verein gab die traurige Nachricht auf einem Partezettel bekannt.

Das große Sängerfest in Temeswar 1903

Am 15. August 1903 fand in Temeswar das Landessängerfest statt, bei dem mehr als 25 Chöre aus ganz Ungarn anwesend waren. Die Stadt sah sich in das Jahr 1891 zurückversetzt, als ebenfalls tausende Sänger nach Temeswar gekommen waren. Diesmal wurden alle Erwartungen noch übertroffen. Die Tageszeitungen veröffentlichten Extraausgaben und Franz Paul begrüßte auf der ersten Seite der Südungarischen Reform die Gäste mit seinem Gedicht Willkommen, Sänger, in Temesvar! 

Auf dem Domplatz wurde eigens für dieses Fest eine Sängerhalle errichtet und zahlreiche Begleitveranstaltungen wurden in allen Stadtteilen anberaumt. Die Stadt selbst war seit dem letzten Sängerfest angewachsen. Die alten Festungsmauern waren bereits teilweise abgetragen worden und es waren neue Prachtstraßen, wie die Andrássy-Straße, entstanden. Selbst in der neuerbauten prächtigen Millenniumskirche wurde für die Gäste ein Orgelkonzert veranstaltet. 

Die Zeitungen brachten regelmäßig Kunde über die glänzenden Feste, beschrieben ausführlich das Straßenbild, das Festsingen, das Preissingen, den Empfang, den Einmarsch, die Begrüßung der Gäste, den Bekanntschaftsabend, die Festgeneralversammlung sowie das Galakonzert und streuten kleine Episoden aus dem Musikleben der Stadt dazwischen. Kein zweites südungarisches Sängerfest wurde in diesem Umfang und mit einer solchen Genauigkeit beschrieben wie dieses große Sängerfest in Temeswar.