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„Lass uns miteinander reden“

Der aus dem Banat stammende Schriftsteller, Journalist und Herausgeber Horst Samson ist ein bekannter Lyriker. Seit vielen Jahren schreibt er Gedichte, die durch ihre Sprachgewalt, ihre politischen und zivilcouragierten Aussagen aufrütteln, zum Denken und Nachdenken auffordern, aber auch von großer Sensibilität sein können, und durch die Schönheit der Bilder und Metaphern, durch die berührende Nähe zum Menschlichen faszinieren.

Was die Lyrik von Horst Samson betrifft, so ist sie durch die Aussage von Paul Celan: Ich habe nie eine Zeile gedichtet, die nichts mit meiner Existenz zu tun gehabt hätte, bestens beschrieben. Man braucht den Lesern der „Banater Post“ Horst Samson gewiss nicht mehr vorzustellen, da aber seine Lyrik so eng mit seiner Existenz verbunden ist, seien ein paar biographische Daten erinnert. Horst Samson wurde 1954 in Salcâmi, im Bărăgan geboren, wohin seine Eltern 1951 aus dem Banat deportiert worden waren. 1956 kehrte die Familie ins Heimatdorf Albrechtsflor zurück. Horst Samson besuchte das Pädagogische Lyzeum in Hermannstadt, studierte Journalistik in Bukarest, arbeitete ab 1977 bei der „Neuen Banater Zeitung“ und bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland 1987 als Redakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“. In Deutschland war er viele Jahre Chefredakteur der Zeitung „Bad Vilbeler Anzeiger“. Er ist Mitglied mehrerer Schriftstellervereine und erhielt im Laufe der Jahre zahlreiche literarische Preise.

Vor kurzem ist sein 13. Gedichtband mit dem Titel „In der Sprache brennt noch Licht“ erschienen. Dieser Titel ist Programm, war und ist doch die Sprache das wichtigste Refugium des Dichters, besonders eines „Unbehausten“ und „Heimatlosen“, wie er öfters in den Gedichten von Samson vorkommt. Wer würde dem in der Deportation geborenen Dichter, der später unter Morddrohungen seitens der Securitate seine Heimat verlassen musste, diese Begriffe verübeln. Ein Porträt des Dichters ist bereits im Klappentext zu finden, ein Auszug aus dem wunderbaren Essay „Der Diskurs des Dichters: Eine Meditation“: Jeder Dichter vagabundiert wie Odysseus durch die Jahrhunderte, über die Meere und alle Himmel, durch seine Ruinen und Siege, streift durchs Universum wie der Wind… Aber an einem Ort der Welt, da braucht er ein Stück Land, Papier, auf dem ein Unbehauster seine Sprachburg bauen kann...

Das ist Horst Samson in diesem Band mit 140 Gedichten auf 195 Seiten grandios gelungen. Das Motiv der Sprache als einzig mögliche Heimat des Dichters durchzieht den gesamten Gedichtband, in dem der Leser mitgenommen wird auf die Reise an irdische und himmlische Orte, in die Mythologie und Kunst, in die Tiefen des Bösen und der menschlichen Niedertracht, wo Gewalt, Verrat und Verleumdung herrschen, an himmlisch schöne Orte, zu Menschlichkeit, tiefer Zuneigung und Liebe. Viele Gedichte, die aus allen Schaffensperioden stammen, enthalten Widmungen für Weggefährten, Freunde und Familie. Hommage wird den Schriftstellern Bertolt Brecht, Paul Celan, Rilke, Novalis und Hölderlin zuteil, denen Horst Samson wohl die zwei Seiten seiner einzigartigen Lyrik zu verdanken hat. Zeilenbruch, ja sogar Strophensprung kommt in seinen Gedichten vor, und manchmal glaubt man Brecht zu hören, der ruft: „Glotzt nicht so romantisch!“ Doch dann gibt es Verse, bitter und zärtlich wie die Sehnsucht von Novalis nach der „blauen Blume“. Horst Samson teilt Hölderlins Liebe zur griechischen Antike und geht bereitwillig mit ihm „ins Offene“.

Den Gedichten sind drei Mottos vorangestellt: Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? (Rainer Maria Rilke). Die stille Freude: atmen dürfen, leben. (Ossip Mandelstamm). Gilgamesch, wohin läufst du? / Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! (Aus dem Gilgamesch-Epos). 

Da kommt der anklagende, der nach Freiheit strebende und der suchende Poet zum Ausdruck. Angeklagt werden Diktatur, Krieg und Terror, die zu Flucht, Heimatlosigkeit und Trauma führen. Es ist die Freiheit, die ersehnt wird, die Freiheit zu leben, wie sie in den wunderbaren Natur- und Liebesgedichten zum Ausdruck kommt. Horst Samson bleibt ein Suchender, einer, der über Leben und Vergänglichkeit nachdenkt und auch fortwährend nach neuen Räumen des Ausdrucks sucht.

Der Gedichtband besteht aus sieben Gedichtzyklen von unterschiedlicher Länge. Allen voran steht das Gedicht „Unterwegs“, dem Verse des chinesischen Freiheitskämpfers Bei Dao vorangestellt sind: Heimreisen / sind immer länger als Irrwege, / länger als ein Leben. Wer seine Heimat verloren hat, wird sich in den Gedichten von Horst Samson wiederfinden.

Der Zyklus „Ein Veilchen im Knopfloch“ besteht aus 36 Gedichten, die sich hauptsächlich mit der politischen Lage in der Welt, mit Diktatur und Krieg auseinandersetzen. Im Gedicht „Über Wunden“ heißt es: In der Finsternis: Dort wohnt / Der Mensch – die Wunde / Offen, infiziert von Hass und Krieg / und Geld. Es ist ein düsteres Bild unserer Welt, aber kein hoffnungsloses, denn solange Menschen miteinander reden, ist Versöhnung möglich. Lass uns miteinander reden, / Nur im Wort brennt noch Licht. In „Allegorie“ erinnert sich der Autor zusammen mit dem Freund Johann Lippet an den Freiheitskampf in der Jugend in Temeswar, was zu dem schönen Vers führt: Zur Feier / Des Frühlings trägt die Freiheit / Ein Veilchen im Knopfloch. Und wenn der Dichter im Städel-Museum vor Rembrandts Gemälde „Die Blendung des Simsons“ steht, kommt die Bitternis des Verrats aus der Zeit der Diktatur hoch. Trost bietet die Sprache, wenn es in „Sich in der Zeit einrichten“ heißt: Der Winter ist der Fachmann / Fürs Altern… In der Sprache brennt noch Licht.

Der Gedichtzyklus „Mein Blut ist dunkel wie Merlot“ umfasst 29 Gedichte, in denen der Autor über das Leben in seiner ganzen Komplexität von Werden, Hoffnung, Liebe, Trauer, Vergänglichkeit nachdenkt. Von Lebenslust, Reisen, Essen und von den besten Weinen schwärmt der Poet, aber der aufmerksame Leser wird auch den Wermutstropfen in den Gedichten finden. In „Am Ufer verblutet das Herz“ erwähnt der Dichter Verlorengegangene / Länder, gefälschte Heimaten. Der „Unbeheimatete“ nimmt seine Erinnerungen mit, wohin die Reise auch geht, ob nach Frankreich, ans Ionische Meer, ins Ritz nach Kapstadt, nach Kreta oder Südtirol. Was immer auch geschehen ist, das Banat bleibt ein Sehnsuchtsort. In „Banater Wind“ bekennt der Dichter: Ich schwärme… / Für den Mohn und die Kornblumen, / … Das kühle Wasser aus der Tiefe / Des Dorfbrunnens. 

Im Zyklus „Ins Blaue blühen die Magnolien“, der aus 14 Gedichten besteht, wird der Dichter zum Suchenden, indem er über das Leben und das Vergehen nachdenkt. Wunderschön und zart sind die Verse in dem Liebesgedicht „Weiße Nächte“, wenn es heißt: Dein Haar liegt biblisch / Auf dem Polster / Wie eine Herde / wilder Ziegen. In „Eine Depression“ klagt er über den Verfall des Schönen, wenn die Magnolie verblüht. Blatt für Blatt wirft sie weg, / Opfert die Gefallenen, lässt es / Schneien für diesen zarten / Teppich in Weiß und Rosa. Eine schöne Meditation des suchenden Dichters finden wir in „Vom Suchen und Finden des Brauchbaren“: Ins Blaue blüht die Magnolie / … Und du suchst die Zeit und findest nichts, / Du siehst nur, dass du nichts siehst.

Im Zyklus „Steckschuss im Genick“ geht es um Krieg, Tod, Flucht und Zerstörung. Das Gedicht „Unterm Stiefel“ ist dem jüdisch-ungarischen Poeten Miklós Radnóti gewidmet, der am 9. November 1944 auf einem Marsch der Zwangsarbeiter getötet wurde. Es knackt unter dem Stiefel, knallt, / Rotes Zeug sickert in den / Graben, Steckschuss im Genick klafft / Ein Loch. Ergreifend ist das Gedicht „Weihnachten im Feld“, dem Vater gewidmet. Briefe von der Front, geschrieben aus Stalingrad. / Die Heimat ist in Gedanken / Weit weg, entfernter als das Ende / Der Welt im russischen Schnee. Weitere Gedichte befassen sich mit den Jugoslawien-Kriegen (1991-2001) oder mit den sogenannten Rosenkriegen der englischen Thronfolger im 15. Jahrhundert. Der Krieg hat keine Sieger, nur Verlierer.

Im Gedichtzyklus „Ein Wackerstein aus Deutschland“, der aus 16 Gedichten besteht, bringt der Autor eine Hommage den von ihm verehrten Dichtern Paul Celan und Bertolt Brecht. Auch wendet er sich mit einer Reihe Briefen an Schriftsteller, Städte, biblische Gestalten. Der Autor stellt Fragen, wird zum Suchenden. Die Gedichte „Paris“ und „Anklopfen: Am Grab von Celan“ sind dem großen Dichter Paul Celan gewidmet, dessen Poesie die Lyrik einer ganzen Generation geprägt hat. Du hast das Wort / Gerichtet / An uns, gegen / Die Verzweiflung. Vergessen / Werden wir / Nichts, die Sprache / Wird uns / Daran hindern, / Erinnern. Hier / Bringe ich dir diesen Stein / Es ist ein Wackerstein / aus Deutschland.  Horst Samson findet einen Gegenvers zu dem Vers Der Tod ist ein Meister aus Deutschland aus Celans „Todesfuge“. Auf jüdische Gräber werden kleine Steine zum Zeichen der Ehrerbietung für den Verstorbenen gelegt.

In „Monologe mit Brecht und Celan“ weist der Autor auf die Wichtigkeit der Werke dieser Schriftsteller hin, und nennt diese … Offenbarung / In den Buchstaben. Horst Samson bekennt sich zur Sprache als seine Heimat. Er ist ein Dichter, der nicht nur Missstände wahrnimmt, sondern er will Den Blitz einfangen, wie er in „Zündeln“ gesteht. Der Vergänglichkeit setzt er das Bleibende der Sprache entgegen. In „Verlieren“ heißt es: Im Mantel der Ewigkeit / Versteckt sich / Die Sprache.

Im Zyklus „Die Sprache fliegt nachts“, der aus 15 Gedichten besteht, rückt die Sprache noch näher ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In „Monolog über die Erde“ wird auf die Kraft der Sprache hingewiesen, gerade in den Bedingungen der Diktatur: Die Sprache gibt nicht nach / Sie mischt sich ein, / kämpft sich durch, … überschreitet / Grenzen im Gedächtnis.
Berührend sind die Worte, die Horst Samson der wunderbaren Dichterin Hilde Domin zum 80. Geburtstag im Gedicht „Wind“ widmet. Die Wörter sind verzauberte / Vögel, heimwehgefiedert / Halten sie mich in den Lüften aufrecht / Fest – die Sprache fliegt nachts, sage ich / Dem Geburtstagskind, auf dunklen Wegen / Mit mir. Ins Offene. Sie lächelt, / Hölderlin, sagt sie, nickt.

Der letzte Zyklus, bestehend aus 14 Gedichten, trägt den Titel „Es ist wie ein zugefrorener See“ und befasst sich mit dem Schreibprozess. Beim Schreiben ist der Dichter mit sich allein. Im Gedicht „Selbstverhör“ schreibt der Autor: Verschlagene Sprache, Einzelhaft / … Du wendest dich / Weg, wartest auf den Oberst, / Verhörst die Stille im Raum, / Nichts gesteht sie.

Mit der Sprache in der Diktatur befasst sich auch das Gedicht „Zweifel verschwinde aus mir“. Es ist sechs Freunden (Balthasar Waitz, Herta Müller, Helmuth Frauendorfer, Johann Lippet, Richard Wagner und William Totok) gewidmet, die im September 1984 zusammen mit Horst Samson einen Protestbrief unterschrieben haben, in welchem die jungen Schriftsteller aus Temeswar das brutale Verhör des Kollegen Helmuth Frauendorfer anprangern, sowie auch die weiteren Repressalien gegen die deutschen Schriftsteller. Horst Samson war der Sprecher der Gruppe. Die Folgen waren drastisch, Samson erhielt Schreibverbot und Morddrohungen. Im Gedicht ruft der Autor die alten Weggefährten auf, sich zu erinnern, wie man für die Freiheit gekämpft hat. Er spricht vom Erinnern als Ausstellungen im eigenen / Kopf, diesem ältesten Museum der Welt, / Über dem Schillers ewige Sonne leuchtet… Schiller, der Schriftsteller der Freiheit! Was aber ist davon geblieben? … denn andere sind wir und älter / Geworden wie die Fluglinien der Graugänse.

Sehr schön sind die Gedichte, die Horst Samson der Familie widmet, immer wieder seiner Frau Edda und dem Sohn Elvis, aber auch Vater und Mutter. In dem Gedicht „Unter stillem Himmel“ ist die Mutter in einem schwierigen Moment, auf dem Totenbett beschrieben. Diese menschliche Nähe, die der Dichter seinen Lesern gewährt, ist sehr berührend.  … das Alter, / Murmelt Mutter auf dem Totenbett, / Ist nicht schön, es ist wie ein zugefrorener See.

Im Finale kehrt der Dichter nochmals an die Anfänge seines Schreibens zurück. Im Gedicht „Wanderer im Regen“ heißt es: Der Himmel über der Bega / Hing eines Tages voller Sätze… Das ist schön, denn daraus entstanden wunderbare Gedichte, die uns mit ihrer kraftvollen Sprache in Höhen und Tiefen versetzen, die Kälte und die Schönheit der Existenz vor Augen führen, erschüttern und verzaubern.

Horst Samson: In der Sprache brennt noch Licht. Gedichte. Ludwigsburg: Pop Verlag, 2021. 195 Seiten. ISBN: 978-3-86356-337-0. Preis: 19,90 Euro