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Jeder hat so seine Erwartungen: Temeswar, die Europäische Kulturhauptstadt 2023

Der Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz sprühte in Sachen Kulturhauptstadtjahr vor Zuversicht. Fotos: Marius Koity

Stadtführerin Ramona Lambing (Mitte) hielt ein beherztes Temeswar-Plädoyer, Angela Meyer-Barg („Hamburger Abendblatt“) und Johannes Jetschgo („Oberösterreichische Nachrichten“) schrieben interessiert mit.

Der Schriftsteller und Journalist Balthasar Waitz (rechts) liest aus der „Pipatsch“ vom 31. August den Mundarttext „Wer oder was is e Schrapnell?“ vor; links Jochen Marmit vom Saarländischen Rundfunk.

„Die ganze Stadt ist eine Baustelle“, sagt Taxifahrer George auf dem Weg vom Temeswarer Flughafen ins Hotel Savoy. Tatsächlich ist links eine Straße aufgerissen, während rechts gerade ein Gründerzeitgebäude eingerüstet wird. „Hat alles mit der Kulturhauptstadt zu tun, da gibt es große Erwartungen“, sagt der Chauffeur.

Temeswar ist gemeinsam mit Elefsina/Eleusis in Griechenland und Veszprém/Weißbrunn in Ungarn eine der drei Europäischen Kulturhauptstädte 2023. Eigentlich sollte Temeswar schon 2021 eine Drehscheibe des kulturellen Austauschs auf höchstem Niveau sein. Wegen Corona hatte die Europäische Kommission rechtzeitig eine Verschiebung des Ganzjahresfestivals auf 2023 vorgeschlagen – und die Stadt ergriff diese ausgestreckte Hand. Allerdings spricht im Stadtbild immer noch nichts vom Großereignis. Vertreter deutscher und österreichischer Medien, die sich in der ersten Septemberhälfte mit der großzügigen Unterstützung des Deutschen Kulturforums östliches Europa aus Potsdam in Temeswar umsehen konnten, waren da recht ratlos.

„Keine Sorge, wird schon“ lautet hingegen die Haltung des aus Deutschland stammenden Temeswarer Bürgermeisters Dominic Fritz. Eigentlich will er die Kulturhauptstadt nicht mit innenpolitischen rumänischen Debatten vermischt sehen, kommt aber nicht umhin einzuräumen, dass ihm das Leben im zentralistisch verwalteten Rumänien von übergeordneten Strukturen wie dem Kreis Temesch und der Regierung selbst ganz schön schwer gemacht werde. Das ökoliberale Stadtoberhaupt scheint, um den Politkrimi in einem Satz zusammenzufassen, aus Bukarester Sicht wohl in der falschen Partei zu sein und will auch keine Seiten wechseln, und falls 2023 ein Erfolg wird, könnte das zumindest in Temeswar eine Vorentscheidung für das rumänische Superwahljahr 2024 sein. Das wiederum vor dem Hintergrund, dass Fritz kommunalpolitisch ohne Not in das eine oder andere Fettnäpfchen getreten sei und ihm in seinem Reformdrang zudem handwerkliche Fehler unterlaufen seien, wie ihm aus der rumäniendeutschen Gemeinschaft bescheinigt wird.

Fritz brennt jedenfalls für das Kulturhauptstadtjahr: „Das ist ein Instrument, das uns Flügel gibt“, sagt er. Zum einen gelte es, in der wirtschaftlich dynamischen Stadt mit Zuwanderern aus allen Landesteilen mit den Mitteln der Kultur eine Gemeinschaft zu bilden, in welcher jeder nach seiner Fasson und in Wohlstand selig werden kann. Zum anderen sollen Gäste lernen, dass im mehrsprachigen, multiethnischen und multikonfessionellen Temeswar Europa lange vor der gleichnamigen Union gelebt habe. Fritz: „Wir glauben, dass unsere Geschichte Europa inspirieren kann.“

Im schlichten Kulturhauptstadtjahr-Projektzentrum ist zu erfahren, dass man auf den entsprechenden Veranstaltungen nicht weniger als eine Million Besucher erwarte. Für den 17. bis 19. Februar 2023 sei ein großes Eröffnungswochenende angesetzt. In die Programmkarten lässt man sich allerdings nicht schauen. Verwiesen wird auf Vereinbarungen mit den beiden anderen Kulturhauptstädten, wonach gemeinsam erst ab November Details veröffentlicht werden sollen. Auftakt der Charmeoffensive in Deutschland soll am 8. November eine große Pressekonferenz in der Rumänischen Botschaft in Berlin sein. Projektzentrums-Direktorin Alexandra Rigler kommt vor den deutschen und österreichischen Journalisten nicht umhin einzuräumen: „We have a lot of work to do“. Es ist noch viel Arbeit zu erledigen.

Ein Vorhaben der neu aufblühenden Städtepartnerschaft zwischen dem thüringischen Gera und Temeswar ist jedenfalls ein Leuchtturmprojekt des Kulturhauptstadtjahres, wie Fritz auf Nachfrage bestätigt. Er ist Thüringern wie Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) für die Fürsprache auf deutscher Seite ausdrücklich dankbar, geht es doch um eine paritätisch finanzierte, mehr als 700000 Euro teure und auch sonst außergewöhnliche Initiative. So studieren das Theater Altenburg-Gera und die Banater Philharmonie aus Temeswar Arnold Schönbergs selten aufgeführte Gurre-Lieder ein. Es wirken auch die Temeswarer Oper sowie die Konzertchöre der Musikgymnasien Rutheneum aus Gera und Ion Vidu aus Temeswar mit. Rund 200 Sängerinnen und Sänger, ein knapp 150-köpfiges Orchester, fünf Gesangssolisten und ein Sprecher werden in rund einem Jahr binnen weniger Tage sowohl in Gera als auch in Temeswar je zweimal auf der Bühne stehen. (Hierüber soll noch gesondert berichtet werden.)

Mit wem auch immer man spricht in Temeswar – jeder hat so seine Erwartungen an das Kulturhauptstadtjahr. Südosteuropa-Referentin Ingeborg Szöllösi vom Deutschen Kulturforum östliches Europa machte die deutschen und österreichischen Journalisten unter anderem auch mit den Kollegen Siegfried Thiel und Balthasar Waitz von der „Allgemeinen Deutschen Zeitung“/„Banater Zeitung“, mit den zeitkritischen Publizisten Werner Kremm und Dan Cărămida-riu, mit Ovidiu Ganţ und Johann Fernbach vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien, mit Lenauschuldirektorin Helene Wolf, mit Diözesanarchivar Claudiu Călin und Domherr Nikola Lauš, nicht zuletzt mit Lucian Vărşăndan vom Deutschen Staatstheater Temeswar sowie mit Christian von Albrichsfeld, dem gebürtigen Siebenbürger Sachsen und Chef des Temeswarer 10000-Mitarbeiter-Betriebs Continental Automotive Rumänien, bekannt. Einen bleibenden Eindruck bei den Berichterstattern von Medien wie Bayerischer und Saarländischer Rundfunk, „Oberösterreichische Nachrichten“ und „Der Freitag“, dpa und KNA, „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Hamburger Abendblatt“ und „Ost-thüringer Zeitung“ hinterließ mit seiner Lebensgeschichte zudem Ignaz Bernhard Fischer, der Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten. Klasse war die Stadtführung der gebürtigen Orzydorferin Ramona Lambing, Geschäftsführerin der Passage Travel Concepts GmbH Saarbrücken/Temeswar, die zur großen Überraschung der Reisegruppe nicht zuletzt eine Stadtrundfahrt mit der historischen Straßenbahn organisiert hatte.

Was ist mit Taxifahrer George, wird er unter der Million Besucher sein? „Ja“, sagt er. Wenn er Zeit haben wird. Und wenn etwas für seinen Geschmack bezahlbar sein wird. Das Hotel Savoy ist jedenfalls zu empfehlen. Am besten nach einem Zimmer im Hinterhaus fragen.