Schreibers Arbeit nach den Methoden von Weisweiler zahlte sich mehr als aus: „Ich habe nur die Hälfte davon angewandt und trotzdem entstand der Eindruck, wir würden alleine auf dem Platz stehen, so überlegen agierten wir.“ Einmal fragte ihn der berühmte UTA-Trainer Coco Dumitrescu erstaunt, nachdem Unirea ein Testspiel im Trainingslager in Herkulesbad gegen die große UTA gewonnen hatte: „Neamţule, was stellst Du mit Deinen Spielern an, weil sie so viel rennen?“
Während der damaligen Zeit waren die Trainingsmethoden von Hennes Weisweiler ein großes Tabu im kommunistischen Rumänien. Weder „Neue Banater Zeitung“, „Neuer Weg“, „Sportul“ noch „Drapelul Roşu“ berichteten darüber. Dass ein banatschwäbischer Trainer aus einer sozialistischen Musterortschaft, wie es sie Triebswetter nun einmal war, nach kapitalistischen Methoden trainiert – das durfte auf keinen Fall erwähnt werden.
Dank der emsigen Triebswetterer wurden im Gemüse- und Obstbau Rekorderträge erzielt. Die 14,4 Hektar großen Treibhäuser brachten einen Gewinn von 38 Millionen Lei, die 7 Hektar Pfirsichplantagen sieben Millionen. Folgerichtig besuchte am 3. Juli 1970 der Generalsekretär der Rumänischen Kommunistischen Partei Nicolae Ceauşescu Triebswetter. Die beliebte Fachzeitung „Sportul“ bezeichnete in der Überschrift des Beitrages in ihrem Almanach Unirea als „Mannschaft der Millionen-Kooperative“. Gleich fünfmal bekam die LPG den Arbeitsorden erster Klasse und einmal den höchsten Orden „Held der Sozialistischen Arbeit“ verliehen. Hinzu kamen fünfzig Diplome für Spitzenerträge im Gemüse- und Obstgarten, im Kuhstall und auf dem Weizenfeld. Im Dorf hat es 1975 laut „Sportul“ 400 neue Häuser gegeben. Bei den vielen Millionen Lei war klar, dass genügend Geld für den Fußball übrigblieb. Ohne die enormen Summen, über die nie in den damaligen Medien geschrieben wurde, wäre das „Fußballwunder von Triebswetter“ niemals realisierbar gewesen. Der Erfolg hatte seinen Preis: So verdiente ein Unirea-Spieler in der Aufstiegssaison 1971/72 an Gehalt und Prämien circa dreimal soviel im Monat als ein Arbeiter in der LPG und IAS.
Schärfster Konkurrent von Unirea im Kampf um den Aufstieg in die B-Liga war Metalul Oţelu Roșu (Ferdinandsberg). Letztendlich machte Triebswetter mit einem Punkt Vorsprung das Rennen und stieg 1975 nach drei Jahren ins Unterhaus auf. Für die Ferdinandsberger hat das Scheitern bis heute einen faden Beigeschmack. So schrieb Adrian Gerhard, Autor des Buches „Von der Legende zur Wahrheit – hundert Jahre Fußball in Oţelu Rosu 1920 – 2020“ im Blog metalulotelurosu.wordpress.com: „Es wurde spekuliert, dass sich eine kleine Gruppe von Metalul-Spielern wegen einiger materieller Vorteile an Triebswetter verkauft hat. In der Saison 1974/75 war Metalul Triebswetter als Ganzes überlegen, von Aufgebot, Spielweise, Organisation sowie Anhängern her und hatte ein um 22 Treffer besseres Torverhältnis. Nach dem Scheitern verließen der Trainer und fünf Spieler Metalul.“ Gheorghe Popa notierte in seinem Buch „110 Jahre Fußball im Banat“: „In Triebswetter wurden die Schiedsrichter kaiserlich behandelt.“
Großen Anteil an Unireas Aufstieg in die B-Liga hatte Adrian Manea, der ein Tor gegen den Erzrivalen Oţelu Roșu erzielte – und dafür fürstlich belohnt wurde. So bekam er von der LPG auf einen Schlag hundert Arbeitstage gutgeschrieben. Ein Arbeitstag wurde damals mit 45 Lei bezahlt. Demnach erhielt Manea allein für ein Tor 4500 Lei! Im kommunistischen Rumänien war das sehr viel Geld. Nicht mal die Großen Steaua und Dinamo haben soviel für einen Treffer bezahlt.
Manea kam 1973 mit 20 Jahren aus Bukarest nach Triebswetter. Der Funktionär Traian Tomescu vom Rumänischen Fußball-Verband hatte ihn vermittelt, so wie er es mit vielen Talenten tat, aus denen Schreiber eine schlagkräftige Truppe formte. Einen Star gab es bei ihm nicht. „Der hätte die anderen Spieler verdorben“, sagte der Trainer.
Von Manea war er sehr angetan: „Er gilt als bester Fußballer, den Triebswetter je hatte, mit einem besonderen Instinkt.“ Der rechte Mittelfeldspieler war laufstark, technisch versiert und hatte einen knallharten Schuss. Er kam nach der ersten C-Ligasaison zu Unirea, stieg mit dem Team in die B-Liga auf und nach einem Jahr als Tabellenletzter mit 17 Punkten aus 34 Spielen und 21:62 Toren wieder ab. Anfang 1980 wechselte er zu Poli Temeswar in die A-Liga. Mit der Studentenelf gewann er sechs Monate später den Rumänienpokal durch einen 2:1-Sieg im Finale über Steaua. Ebenfalls 1980 gelang ihm das wichtige Auswärtstor bei Celtic Glasgow. Poli verlor zwar das Hinspiel in der ersten Runde des Europapokals der Pokalsieger mit 1:2, gewann im Rückspiel sensationell 1:0 und warf den schottischen Traditionsklub dank des Auswärtstores von Manea aus dem Wettbewerb.
Von 1985 bis 1987 habe ich Adi Manea als routinierten Denker und Lenker bei UTA Arad in der B-Liga erlebt, über deren Spiele ich als Sportredakteur für die „Neue Banater Zeitung“ berichtet habe. Um drei Uhr in der Auferstehungsnacht des vergangenen orthodoxen Osterfestes ist Manea an einem Gehirntumor gestorben. Er wurde nur 68 Jahre alt. Gott hab ihn selig.
Adi war nicht der einzige Rumäne bei Unirea Triebswetter, sondern einer von vielen. Unter den Spielern, die in die C-Liga und später eine Klasse höher aufgestiegen sind, war kein einziger Banater Schwabe. Neben Trainer Schreiber gab es aber noch einige im Verein wie Assistenzcoach Richard Wolf, den ich aus seiner Zeit als Sportlehrer in meinem Geburtsort Großjetscha kenne, Kassenwart Jakob Kiefer, Mannschaftsarzt Dr. Karl Koch, Zeugwart Adam Rischar und Spielbeobachter Franz Doron. Eine treibende Rolle spielte Diplomingenieur Heinz Vogel. Der Direktor des Schweinemastbetriebs in Birda stellte nicht nur die Auswärtsbusse für Anhänger und Mannschaft bereit. Sie bestand neben vielen Rumänen noch aus wenigen Ungarn.
In der sieben Kilometer entfernten Gemeinde Lovrin, zu der Triebswetter damals gehörte, war es genau umgekehrt. Die Handballer von Ştiinţa stiegen 1970 in die A-Liga auf. Beim 9:9-Remis im Auftaktspiel gegen Poli Temeswar standen von zwölf Lovriner Spielern zehn Banater Schwaben im Aufgebot plus zwei Rumänen. Und der Trainer von Ştiinţa war ebenfalls banatschwäbischer Herkunft.
Trotzdem hatten auch viele Banater Schwaben Anteil am Aufschwung von Unirea Triebswetter. „Die meisten Einwohner waren Vereinsmitglieder und zahlten einen Monatsbeitrag zwischen 25 und 50 Lei“, erinnerte sich Schreiber. Für ihn nahm die Episode Unirea nach zehn Jahren ein Ende, als er sich 1978 bei einem Turnier im jugoslawischen Subotica von der Mannschaft absetzte und in die Bundesrepublik Deutschland gelangte. „Ich habe diesen Schritt aus Furcht getan, dass meine Kinder bei einem eventuellen Fluchtversuch hätten erwischt werden können“, so Schreiber. Später kam Frau Inge mit Tochter Karin und Sohn Ottmar nach. Die Familie ließ sich in Traunreut nieder, wo sie auch heute noch lebt. Einige Zeit betreute Schreiber die Kicker von TuS Traunreut und arbeitete in der Qualitätssicherung einer Elektronikfirma.
Doch auch ohne ihn ging es mit dem Fußball in Triebswetter weiter. Ab 1976 spielte Unirea bis 1992 durchgehend in der C-Liga, als die Anzahl der Mannschaften durch eine Verbandsreform verkleinert wurde und die Rot-Weißen in die Kreismeisterschaft absteigen mussten. Von dort ging՚s runter in die Promotionsliga, die unterste Spielklasse in Rumänien. 2017 schaffte der Verein die Rückkehr in die Temescher Kreismeisterschaft, der vierten Liga, wo man in der vergangenen Saison Siebter von zwanzig Teilnehmern geworden ist. Ebenfalls 2017 wurde eine Jugendabteilung gegründet. In Zukunft will der Klub vermehrt auf hoffnungsvolle Talente setzen – so wie es Willi Schreiber einst getan hat. „Wir haben alle Voraussetzungen für eine Leistung bei diesem Verein, ich sage mal, von der dritten bis zur zweiten Liga“, meint der neue Spielertrainer Dănuţ Bilia.
Fazit: Die Glanzzeiten von Unirea sind zwar vorbei – aber es könnten bald neue anbrechen. Das Stadion wurde renoviert, bekam Flutlicht, einen Kunstrasenplatz und einen so guten Rasen wie früher. Davon kann sich Willi Schreiber oft überzeugen. Er hat sein einstiges Haus in Triebswetter zurückerworben, sanieren lassen und verbringt fast jedes Jahr einige Tage dort. So wird es auch diesmal sein. Bald geht՚s in die alte Heimat, wo am 27./28. August die Jubiläumsfeier „250 Jahre Triebswetter“ veranstaltet wird. Im Ort leben noch 39 Deutsche, aus Mischehen steigt ihre Zahl auf 70.
Um sich über den rumänischen Fußball zu informieren, müsste Schreiber aber nicht ins Banat fahren. Zuhause in Oberbayern empfängt er im Fernsehen mehrere rumänische Sportsender, ist bestens informiert. Und manchmal juckt es ihn in den Beinen, obwohl er sich nur noch mit dem Rollator fortbewegen kann. Schließlich rostet alte Liebe nicht.
Er spricht auch heute noch ehrfurchtsvoll von seinem großen Vorbild Hennes Weisweiler, der seit 39 Jahren tot ist und nach dem die 2011 von Köln an die Sportschule Hennef verlegte Trainerakademie des DFB benannt wurde. Doch so etwas Absurdes wie Weisweiler wäre Schreiber niemals passiert. Da hätten bestimmt die Funken gesprüht. Und wie! Am 23. Juni 1973 traf Trainer Weisweiler in Düsseldorf mit Borussia Mönchengladbach im Finale um den DFB-Pokal vor 70000 Zuschauern auf den 1. FC Köln. Es war das letzte Spiel von Gladbachs Regisseur Günter Netzer vor seinem Wechsel zu Real Madrid. Der Transfer war kurz vorher publik geworden. Vielleicht war deshalb das Verhältnis zwischen beiden Sturköpfen nicht mehr gut. Weisweiler behauptete, Netzer sei nach einer Verletzung nicht fit und ließ ihn auf der Bank schmoren. Dieser bestritt, nicht spielen zu können. Auch die Mannschaft wünschte, dass Netzer kickt. Als der Coach Netzer dann doch einwechseln wollte, verweigerte dieser es. Das Endspiel ging beim Stand von 1:1 in die Verlängerung. Und Netzer wollte sich unbedingt mit dem Pokalsieg verabschieden. Er sprach mit Teamkollegen, gab Anweisungen an der Seitenlinie, lief sich warm, die Anhänger riefen nach ihm. Weisweiler war machtlos, und Netzer stellte ihn vor vollendete Tatsachen: „Ich spiel mal jetzt!“ Man höre und staune: Netzer wechselte sich selber ein. Drei Minuten danach gelang ihm der 2:1-Siegtreffer. Jahre später sagte Netzer ganz ohne Bescheidenheit: „Diese Art Aktion geschieht nur um große Spieler herum, die sich damit auch unsterblich machen. Das war das ganze Glück eines Fußballerlebens in zwei Sekunden reingepackt. Ich hab danach nie mehr so viel Glück gehabt.“
Willi Schreiber hatte ebenfalls viel Glück. Auf ihn trifft der Spruch des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth Graf von Moltke zu: „Glück hat auf die Dauer doch zumeist wohl nur der Tüchtige.“ Sonst wären Schreibers große Erfolge nicht zustande gekommen. Deshalb erinnert sich die Fußballwelt gerne an ihn. „Ich freue mich, dass ich nicht in Vergessenheit geraten bin“, erklärte er.
Laut einer Legende kehrt derjenige nach Punta Arenas ans Ende der Welt zurück, der dort auf der Plaza de Armas die Zehen der Ureinwohnerskulpturen auf der Statue unterhalb von Fernando Magellan berührt hat. Deshalb steht fest: Wir werden wiederkommen. Entweder zu einer Kreuzfahrt ans Kap Horn, wo sich Atlantik und Pazifik umarmen, oder in die 1400 Kilometer entfernte Antarktis. Wenn es soweit sein wird, werde ich am Denkmal von Magellan an Schreiber denken. Weil Trainer wie Seefahrer nicht an der Küste geblieben sind und neue Horizonte entdeckt haben. Wie sagte der griechische Philosoph Aristoteles: „Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen.“ Das haben Fernando Magellan und Willi Schreiber eindrucksvoll getan. Weshalb sie unvergessen bleiben.
Kommen Sie gut durch die Zeit!