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Flüchtlingsschicksal und Heimatfindung

Eingangsportal des größten oberösterreichischen DP-Lagers: Siedlung 121 Haid. Quelle: OÖ Landesarchiv

Peter Potye lebt seit 1962 in Haid.

„Gertianosch ist meine Heimat, Ansfelden mein Zuhause“, bekundete Peter Potye gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“, die vor drei Jahren über das außergewöhnliche und langjährige Engagement der Brüder Peter und Josef Potye in ihrer alten Heimat berichteten. Über das von ihnen 1990 ins Leben gerufene Projekt „Ansfeldner Hilfe für Gertianosch“ und die Leistungen der beiden in Haid beheimateten Brüder – stichpunktartig seien genannt: unzählige Hilfslieferungen, Errichtung eines Denkmals für die Opfer von Krieg, Flucht und Deportation auf dem Ortsfriedhof, Vermittlung eines Feuerwehrwagens an die Gemeinde, Restaurierung der katholischen Kirche – war zuweilen auch in unserer Zeitung zu lesen.

Peter Potye, Jahrgang 1925, wurde mit 17 Jahren zum Kriegsdienst eingezogen. Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Gefangenschaft. Daraus entlassen wurde er am 22. April 1946 im Lager Haid, einem Ortsgebiet der Gemeinde Ansfelden nahe Linz. Das rund 160 Baracken umfassende Lager war 1941 errichtet worden. Die dort internierten 6000 französischen und italienischen Zwangsarbeiter waren beim Bau der Reichsautobahn München-Salzburg-Wien und der Hermann-Göring-Werke in Linz eingesetzt. Nach Kriegsende wurde das NS-Arbeitslager in ein Kriegsgefangenenlager der Alliierten umfunktioniert. Im Dezember 1946 wurden die ersten volksdeutschen Flüchtlinge, hauptsächlich aus Südosteuropa, in das Barackenlager Haid eingewiesen, das die amtliche Bezeichnung „DP Siedlung 121“ führte (DP steht für Displaced Persons). Es entstand das größte Flüchtlingslager Oberösterreichs, in dem mehr als 5000 Menschen auf engstem Raum (ein Quadratkilometer Grundfläche) lebten. Auch der aus Lenauheim stammende ehemalige Banatia-Turnlehrer und nachmalige bekannte Schriftsteller Hans Wolfram Hockl (1912-1998) lebte acht Jahre lang in diesem Lager. Peter Potye zog nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft zwar nach Linz-Ebelsberg, ließ sich jedoch 1962 in Haid nieder, wo er auch heute noch lebt.

Trotz größter Nöte und Entbehrungen aller Art ist es den Menschen mit Mut und Fleiß, mit Optimismus und Engagement gelungen, aus dem tristen Barackenghetto eine blühende Barackensiedlung zu machen. Gegen Ende der 1950er Jahre und in den Jahren danach verliert sich das Bild des Barackenlagers allmählich, die Siedlung ging langsam im Ortsbild der Gemeinde auf. Das Barackenlager von damals, das für so viele Menschen wichtigster Bezugspunkt und Basis für ihr neues Leben war, geriet in der Öffentlichkeit in Vergessenheit. Um die Geschichte der ehemaligen „DP Siedlung 121 Haid“ für die Nachwelt zu erhalten und den historische Hintergrund des Stadtteils Haid zu dokumentieren, fasste die Stadtgemeinde Ansfelden im Juni 2011 den Beschluss, ein „Oral History“-Projekt in Form eines Films und einer Ausstellung über das legendäre Barackenlager in Auftrag zu geben. Als zwecks Abwicklung des Projekts ein Geschichtsverein gegründet wurde, war Peter Potye von Anfang an dabei. Als Vorstandsmitglied des Vereins leistete er seinen Beitrag zur erfolgreichen Verwirklichung des Film- und Ausstellungsprojekts. Es war eine große Herausforderung, Dokumente, Berichte und Fotomaterial zusammenzutragen, Zeitzeugen zu finden, die notwendigen Sponsor- und Fördergelder zu beschaffen und die administrativen Aufgaben zu bewältigen. Doch der Geschichtsverein unter Obfrau Maria Weiss hat diese Herausforderungen gemeistert.

Der im Mai 2013 präsentierte 30-Minuten-Film „Vertreibung und Neubeginn. DP Siedlung 121 Haid“ ist ein eindrucksvolles zeitgeschichtliches Dokument. Der Film, von der renommierten Linzer Agentur für Unternehmensgeschichte „rubicom“ gestaltet, vermittelt anhand historischen Bildmaterials und ausgewählter Zeitzeugeninterviews (unter anderem mit Peter Potye) einen soliden Überblick über die Lagergeschichte, den Alltag der Menschen, die Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote im Lager, die Entwicklung von Gewerbe und Handel usw. Was im Film besonders gut zum Ausdruck kommt, ist einerseits der große Einsatz des Lagerseelsorgers Paul Wagner, dem besonders die Jugend sehr am Herzen lag, und andererseits das Bemühen der Erwachsenen, trotz der schweren Zeit, den Kindern ein Mindestmaß an Entfaltung zu gewährleisten. Der Zusammenhalt der jungen Menschen von damals wirkt bis heute nach und ist die Basis der seit 1982 periodisch stattfindenden „Haider Treffen“. Eine besondere Note erhält der Film durch die hin und wieder eingestreuten Kommentare von Dr. Jürgen Müller-Hohagen aus Dachau, dessen Arbeits- und Forschungsschwerpunkt auf der Untersuchung der seelischen Nachwirkungen des Nationalsozialismus liegt. Behutsam erläutert er, wie sich Flucht und Vertreibung auswirken, was Menschen fühlen und erleben, wenn plötzlich alles anders ist, wie sie mit der Notlage, in die sie unverschuldet geraten sind, umzugehen wissen und was die Folgen im weiteren Leben sind. Der Film dokumentiert eindrucksvoll, wie Heimatfindung und Integration stattfindet. Indem er den Folgen von Flucht und Vertreibung – ein nach wie vor aktuelles Problem – nachspürt, weist der Film auch einen starken Bezug zur Gegenwart auf.

Ergänzend zu dem Film wurde eine Ausstellung erarbeitet, die im November 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Auf zehn Paneelen zeigt sie in Bildern und Texten die Geschichte des Lagers und das Alltagsleben dort. Damit verdeutlicht die Ausstellung, wie Haid für viele Menschen zum Zufluchtsort und dann nach und nach zur zweiten Heimat geworden ist.

Film und Wanderausstellung ergänzen und veranschaulichen die im Laufe der Jahre erschienenen Publikationen zum Thema „Barackenlager Haid“ und sind ein probates Medium, die Erinnerung daran wachzuhalten und der heutigen Generation Zeitgeschichte nahezubringen. Sie dokumentieren das Schicksal heimatvertriebener Volksdeutscher und damit ein Stück weit auch banat- und donauschwäbische Geschichte.