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Auf den Spuren der Donauschwaben (Teil 3)

Mit dem Schiff durch die Donauenge am Eisernen Tor; Blick auf das orthodoxe Kloster Mraconia am rumänischen Donauufer

Bei der Theresienbastion in Temeswar weist der Stadtführer auf eine Reliefdarstellung der Festungsanlage hin. Fotos: Halrun Reinholz

Verblasster Glanz in Herkulesbad, eines der ältesten Kur- und Heilbäder Europas: Die einstige Kuranlage verfällt zusehends

Anders als in Ungarn und Jugoslawien gab es in Rumänien keine Vertreibung der deutschen Minderheitengruppen. Auch hier genoss die „Volksgruppe“ durch die Partnerschaft des rumänischen faschistischen Regimes mit Hitlerdeutschland eine Zeit der kulturellen Freizügigkeit und Prosperität unter nationalsozialistischem Einfluss, wie in Ungarn endete diese Freundschaft aber abrupt, als die rumänische Regierung im August 1944 die Seiten wechselte und die Deutschen zu Sündenböcken gestempelt wurden. Kaum eine Familie entging der Zwangsverschleppung in die Sowjetunion. Anfang der 1950er Jahre kam noch die Deportationswelle in die Bărăgan-Steppe im Osten Rumäniens, von der auch viele Banater Schwaben betroffen waren.

Die Banater Schwaben waren nur eine der deutschen Minderheitengruppen in dem nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Groß-Rumänien. Sie und die Siebenbürger Sachsen stellten die größten deutschen Gruppen, aber auch innerhalb des Banats gab es keine einheitliche Besiedlung. Unsere erste Station in Rumänien war Reschitza, das urbane Zentrum der Berglanddeutschen – die zwar geographisch ins Banat gehören, sich aber nicht zu den „Donauschwaben“ zählen. Das Banater Bergland wurde von den Habsburgern gezielt mit Arbeitskräften für den Bergbau besiedelt, die man aus dafür bekannten Regionen in Österreich – der Steiermark, Kärnten, Tirol – angeworben hatte. In Reschitza entstand ein Industriezentrum, wo auch noch in kommunistischer Zeit Stahl und Maschinen hergestellt wurden. Eine Lokomotivenausstellung vor Ort zeigt die Entwicklung dieses einstmals bedeutenden Industriezweiges.

Die Region wurde von der Habsburger Regierung sehr gefördert: Wir fuhren die heute noch mit Linienverkehr betriebene Strecke zwischen Orawitza und Anina mit ihren 14 Tunnels, die einst der „kleine“ oder „Banater Semmering“ genannt wurde. Auch ein Zeichen der Verbundenheit ist das Theater in Orawitza, eine maßstabsgetreue (1:6) Nachbildung des „alten“ Wiener Burgtheaters mit 150 Sitzplätzen und 50 Stehplätzen. Es ist das älteste Theatergebäude auf dem Gebiet des heutigen Rumänien und ein sprechendes Zeugnis dafür, dass man den von Wien oder Graz in die östliche Pampa entsandten Verwaltungsbeamten und Führungskräften den gewohnten Komfort und das kulturelle Niveau der Heimat bieten wollte, wobei das Theater auch ein wichtiger gesellschaftlicher Treffpunkt war.

Auch unsere nächste Station, der Kurort Herkulesbad, lässt ahnen, wie man seinerzeit hier gesellschaftlichen Verpflichtungen in vornehmem Ambiente nachging. Schon in der  Römerzeit sollen hier Thermalquellen genutzt worden sein, Kaiser Franz Joseph und seine Frau Sissi haben viel zur Förderung des Kurorts beigetragen. Doch Herkulesbad ist ein eklatantes Negativbeispiel des Umgangs mit kulturellem Erbe: Nach der Wende wurden die Hotelgebäude leichtfertig an Investoren verkauft, die sie verfallen ließen und die heute teilweise nicht mehr auffindbar sind. Ein Studententeam von der Temeswarer Hochschule für Architektur hat zumindest die Schäden an den Gebäuden erfasst und versucht, den Bestand zu sichern. Eine Stiftung wurde gegründet, die die Rettung der Bausubstanz zum Ziel hat. Der Kurbetrieb läuft deshalb trotzdem weiter, ein neuer Ortsteil nutzt die Quellen. Dennoch ein trauriges Kapitel.

Unsere Reise führte wieder an die Donau – den Abschnitt, der die Grenze zwischen Serbien und Rumänien bildet. Hier passiert sie das „Eiserne Tor“, eine Engstelle, die von beiden Ländern schon in den 1970er Jahren für den gemeinsamen Bau eines Wasserkraftwerks genutzt wurde. Eine Fahrt mit dem Schiff führte uns bis zum Kasan-Pass, vorbei an der „Tabula Traiana“ und einem gigantischen Denkmal für den „Dakerkönig“ Decebal, der in der kommunistischen Geschichtsinterpretation das Symbol für die Eigenständigkeit und die Kontinuität der Rumänen vor Ort war. Die imposante Flusslandschaft wird heute auf beiden Seiten als Erholungsgebiet touristisch genutzt. Lange Jahre war es grenz-nahes Sperrgebiet für Rumänen und zog trotzdem zahlreiche Wagemutige an, die den Grenzfluss illegal durchquerten – oft mit tödlichem Ausgang.

Der Kontakt zu den „echten“ Banater Schwaben ergab sich in Nitzkydorf. Dass sich dort in diesen Tagen Banater Schwaben aufhielten, hatte mit einer Veranstaltung zu tun, die hier am folgenden Wochenende stattfinden sollte: Kirchweih, der Höhepunkt im Jahreslauf der Donauschwaben. Doch die Schwaben aus Nitzkydorf sind längst ausgewandert, zwei Familien gibt es dort nur noch. Stattdessen haben sich mittlerweile Rumänen aus anderen Regionen dort angesiedelt, die einen guten Kontakt zu den in Deutschland als „Heimatortsgemeinschaft“ organisierten Ex-Nitzkydorfern pflegen. Schon zum zweiten Mal fanden in Nitzkydorf gemeinsame „Kulturtage“ statt, mit Vorträgen, Lesungen (zweisprachig!) – und auch mit der Feier der Kirchweih. Die Kirchweihpaare werden von der rumänischen Dorfjugend „gestellt“ – sie tragen dafür die banatschwäbische Tracht und lernen die Tänze und Gepflogenheiten, die nicht ihre eigenen sind. Der junge Rumänisch-Lehrer hat es sich zur Aufgabe gemacht, die frühere Kultur des Dorfes zu dokumentieren und zu pflegen. Anstoß war ihm die Erkenntnis, dass dieses Dorf die Nobelpreisträgerin Herta Müller hervorgebracht hat. Er hat in der Schule ein Museum eingerichtet und pflegt einen guten Kontakt zur Heimatortsgemeinschaft in Deutschland, die ihrerseits jede materielle und ideelle Unterstützung bietet. Unser Besuch traf die Akteure gerade bei der Vorbereitung der Kirchweih an – ehemalige Nitzkydorferinnen (für die Kulturtage war ein ganzer Bus aus Deutschland angereist) saßen zusammen und „putzten“ die Hüte für die Kerweihbuben und den Strauß für die Vortänzer. Wie bei den echten Kerweihvorbereitungen gab es Kuchen und Schnaps für die Gäste. Rechtzeitig zur Kirchweih hat man auch die Wegenstein-Orgel in der Kirche renoviert, sodass wir eine Kostprobe des neuen Klangs genießen durften.

Der nächste Tag führte uns zum wichtigsten Wallfahrtsort der Banater Schwaben: der erst kürzlich renovierten Basilika Maria Radna. Nicht nur aus dem rumänischen Banat, von überallher pilgerten die Gläubigen an diesen Ort. Wir kamen zur „deutschen Wallfahrt“, seit einigen Jahren eingeführt, um die ausgewanderten Banater auf einen bestimmten Termin zu „kanalisieren“, an dem der Gottesdienst in deutscher Sprache abgehalten wird. Früher hatte jedes Banater Dorf seinen festen Termin, genau wie die ungarischen, kroatischen und sonstigen Pilger aus den verschiedenen Orten jeweils an bestimmten Tagen kamen.

Die „deutsche Wallfahrt“ ist auch ein Treffpunkt der Heimgekehrten: Auf dem Parkplatz stehen dann
Autos mit deutschen Kennzeichen und nach dem festlichen Gottesdienst kann man im neuen Pilgerzentrum essen. Domkapitular Andreas Reinholz, Pfarrer des Wallfahrtsortes Maria Radna, fand trotz des Trubels noch Zeit, uns eine kurze Kirchenführung zu machen, bevor auch wir mit der Masse der Pilger verköstigt wurden.

Den Schlusspunkt der Reise bildete die Banater Hauptstadt Temeswar, rumänisch Timişoara. Eine der rumänischen Städte, wo sich Firmen angesiedelt haben, wo es Arbeitsplätze gibt – und wo Arbeitgeber (noch) eine Auswahl an gut ausgebildeten und Deutsch beziehungsweise Englisch sprechenden Fachkräften haben. Traian hatte uns bereits im Bus erzählt, wie viele Fachkräfte das Land verlassen, weil sie für ihre Kinder keine Perspektive sehen. Auch Leute, die sich fest vorgenommen hatten, zu bleiben, resignieren nach und nach. Nicht nur Erdbeerpflücker und Bauarbeiter, auch Ärzte, Ingenieure, Informatiker kehren ihrem Land den Rücken. In Temeswar ist davon auf den ersten Blick nichts zu merken, die Stadt strahlt Lebensfreude aus und ist gerade dabei, sich für die Kulturhauptstadt 2021 herauszuputzen.

Unser Reiseleiter Alex ist offenbar gewohnt, potenzielle Investoren zu führen, denen er die Standortvorteile anpreist, das tut er auch bei uns. Doch die Stärke der Stadt liegt in ihrer multikulturellen Vergangenheit. Ein Teil der Festungsanlage, die Theresienbastion, erinnert ebenso an die Habsburger Zeit wie der barocke Domplatz mit zwei Kathedralen: der katholischen und der serbisch-orthodoxen. Die rumänische Kathedrale an ganz anderer Stelle markiert das „neue“ Stadtzentrum der nach 1918 rumänisch gewordenen Stadt. An die einstige deutsche Mehrheitsbevölkerung erinnert noch die deutsche Schule, das Nikolaus-Lenau-Lyzeum, wo heute sechszügig muttersprachlicher Unterricht vom Vorschulalter bis zum Abitur stattfindet. Wie in Baja gibt es hier auch eine „Spezialabteilung“ für das deutsche Abitur. Bis in die 1980er Jahre fand hier noch ein echter muttersprach-licher Unterricht mit muttersprachlichen Lehrern und überwiegend (aber nicht nur) muttersprachlichen Schülern statt. Wohl die einzige Schule auf der Welt, die gleich zwei Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Heute gibt es kaum noch sprachlich kompetente Fachlehrer, doch der Zustrom ist ungebrochen, die Schülerzahlen sprechen für sich.

Zum Abschied von Temeswar und von den Donauschwaben hatte Traian genau den richtigen Ort ausgewählt, das „Haus der Großmutter“. So heißt ein Restaurant, das Banater Küche anbietet und dabei ganz gezielt Banater Hausmannskost, die nicht auf eine Nation beschränkt geblieben ist. Spinat mit Eierbrot, Kürbisgemüse oder Zwetschgenknödel stehen auf der Karte. Die Betreiber sind Rumänen, doch hier zeigt sich auf eindrucksvolle Weise, was man im Banat voneinander gelernt und übernommen hat.  

Ein Fazit: „Zögernd bröckelt der Stein“

Die Reise in die Gebiete der Donauschwaben war, wir hatten es schon geahnt, eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Mit Geschichte, mit Gemeinsamkeit, mit Spuren von Österreich, von deutschen Regionen. Aber auch mit Tragödien, Nationalismus, Gewalt, Zerstörung – und Exodus. Ich habe als Überschrift für dieses Fazit eine Zeile der „Siebenbürgischen Elegie“ von Adolf Meschendörfer gewählt. Ein Autor, der die schleichende Endzeitstimmung in Siebenbürgen bereits 1927 hellsichtig voraussah. Anders rinnt die Zeit in diesen Regionen und ja, der Stein bröckelt, aber er tut es (mehr oder weniger) „zögernd“. Wir waren in der Lage, im Laufe dieser Reise Spuren zu sichern und Zusammenhänge zu verstehen, die mit der nächsten Generation vielleicht nicht mehr da sein werden. Eine nostalgische Reise, die uns viel gelehrt hat – nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft.