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Das Einrichtungsprojekt des Grafen Mercy (Teil 2)

Eigenhändige Unterschrift Mercys: „Le comte de Mercy“

Der Behördenweg des „Einrichtungsprojekts“

Mercy hielt sich in seinem Einrichtungsentwurf an die Vorgaben für die künftige Regierungsform des Banats, die von Prinz Eugen schon kurz nach der Eroberung der Festung Temeswar artikuliert wurde: Die beiden zentralen Hofstellen – Hofkriegsrat und kaiserliche Hofkammer – waren sich darin einig, dass die Herrschaft im eroberten Grenzgebiet nur durch den kooperativen Schulterschluss von Militär- und Kameralbeamten gesichert werden kann. In der kurzen Einleitung des „Einrichtungsprojekts“ legt Mercy Wert darauf, noch einmal auf die rechtlichen Entwicklungsvoraussetzungen der künftigen Provinz hinzuweisen. Diese ergaben sich aus der von den zentralen Hofstellen angestrebten Rechtsstellung. Der kommandierende General verweist auf die Einmaligkeit des ständelosen Gebiets – ein Land in dem es weder Adel, noch einen privilegierten Klerus gibt. Nach dem Rückzug der Osmanen seien nur „schismatische (orthodoxe – Anm. d. Verf.) Bauern mit ihren ordinari Dorfrichtern zurückh geblieben“. Landes- und Grundherrschaft decken sich hier, „alle Einkünfte und Regalien samt Erdreich“ zählen zum kaiserlichen Immediatbesitz, was dem politischen Handeln vergleichsweise ungeahnte Gestaltungsräume eröffnete.

Trotz gesundheitlicher Einschränkungen – im Sommer 1717 hatte er einen Schlaganfall erlitten – konnte Mercy seine Position konsolidieren. Da noch keine kaiserliche Bestätigung für den kommandierenden General vorlag, verlängerte Prinz Eugen am 6. Oktober 1717 seinen militärischen Auftrag im Banat. Die vom Kaiser einen Tag darauf genehmigte Instruktion für die ins Leben gerufene „banatische Einrichtungskommission“ erweiterte seine Zuständigkeit in kameralen Angelegenheiten, die im Einvernehmen mit Kallanek behandelt werden mussten. Dessen ungeachtet hielt die Hofkammer weiterhin an ihrer ausschließlichen Kompetenz in Finanzfragen fest. Der kamerale Einrichtungskommissar Kallanek stand bei seiner Ankunft vor vollendeten Tatsachen, die Weichenstellung war durch das vorliegende, die kaiserlichen Finanzen mitberücksichtigende „Einrichtungsprojekt“ faktisch vollzogen.

Die von Mercy notgedrungen eigenmächtig durchgeführte Einrichtung des Kamerale wurde von der Hofkammer beanstandet. Der aus Esseg (Osijek) eingetroffene Einrichtungskommissar fühlte sich von Mercy bevormundet und gehindert, seiner Instruktion nachzukommen und die ihm zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. In einem Begleitschreiben zur Zusendung des „Einrichtungsprojekts“ vom 9. Dezember 1717 äußerte der „Prinzipalkommissär“ und höchste Repräsentant der Hofkammer im eroberten Gebiet seine Bedenken. In den Gremien der Hofkammer breitete sich allmählich Misstrauen gegen die Militärverwaltung aus. Intensive Beratungen über die Fortführung der Einrichtungsbemühungen setzten in der innerhalb der Hofkammer konstituierten „Kommission für ungarische und neoacquistische Angelegenheiten“ ein. Die dort abgearbeiteten Punkte verweisen auf Mercys „Einrichtungsprojekt“ als Grundlage der Beratungen. Allmählich kam auch die Hofkammer zur Erkenntnis, dass an den von Mercy für das Jahr 1718 getroffenen Anordnungen nicht vorbeigegangen werden konnte. Künftighin sollten jedoch die Grundsätze der Kallanek erteilten Instruktionen eingehalten werden.

Mercy hatte im Winter 1717/18 Gelegenheit, seine Vorstellungen dem Oberbefehlshaber der Armee Prinz Eugen von Savoyen-Carignan, zugleich auch Präsident des Hofkriegsrates, darzulegen. Die mündliche Berichterstattung Mercys über die Situation im Banat floss am 25. März 1718 in einen ausführlichen Vortrag Prinz Eugens an den Kaiser ein, in dem er die Maßnahmen zur Truppenverpflegung rechtfertigte. Angesprochen wurde auch die Regulierung der Zivil-, Kameral- und Justizangelegenheiten durch die in Temeswar ansässige „gemeinschäftliche“ militärisch-kamerale Kommission. Aufgabe der Kommission sei die Ausarbeitung von Vorschlägen für die künftige Einrichtung der Provinzialverwaltung. Prinz Eugen verwies darauf, dass das von Mercy vorgelegte „Einrichtungsprojekt“ lediglich als Gesprächsgrundlage diene und Gegenvorschläge der Hofkammer keineswegs ausschließe. Mehrere Punkte seines Vortrags verweisen indirekt auf die im Einrichtungsprojekt“ enthaltenen Vorschläge. Die kaiserliche Resolution auf den Vortrag enthielt einige kritische Anmerkungen, die auf die Berücksichtigung der Bedenken der Hofkammer gegen die Militärverwaltung schließen lassen. Hinsichtlich der Zivileinrichtung des Banats legte der Kaiser großen Wert darauf, dass bei der Einrichtungskommission der politische und ökonomische Bereich „gemeinschaftlich tractiret (behandelt) werden“. Damit wertete die kaiserliche Resolution die Machtposition der Hofkammer in der gemeinsamen Einrichtungskommission auf, ohne die Vorrangstellung des Militärs in Frage zu stellen.

Im Kontext der Beschwerden der Hofkammer gegen die Dominanz des Militärs beschäftigten sich sowohl Hofkammer als auch Hofkriegsrat mit dem „Einrichtungsprojekt“, nun konnte es nicht mehr ignoriert werden. Das Schriftstück wurde zur Bezugsgrundlage gemeinsamer Erörterungen der Wiener Zentralstellen. Am 21. Mai 1718 wurde ein von Prinz Eugen gezeichnetes gemeinsames Referat Kaiser Karl VI. zur Genehmigung vorgelegt, der es am 30. Mai billigte. Damit wurde Mercys Denkschrift mit einigen Präzisierungen und Ergänzungen voll und ganz genehmigt. Ein kaiserlicher Erlass an den Kommandierenden General Mercy als auch an die dortige Kameralkommission setzte das „Einrichtungsprojekt“ faktisch in Kraft.  Am 21. Juli 1718 wurde auf der Grundlage des tatsächlichen Besitzstandes (lat. uti possidetis) der Frieden mit dem Osmanischen Reich im innerserbischen Passarowitz (Požarevac) abgeschlossen. Das Habsburgerreich erreichte seine größte territoriale Ausdehnung und stieg zur Großmacht in Südosteuropa auf. Zum neuen, dem Haus Österreich zugekommenen Gebietserwerb zählte nicht nur das Temeswarer Banat, sondern auch die Festung Belgrad mit dem nördlichen Innerserbien und die Kleine Walachei (Oltenien).

Mit dem Abschluss des Friedens entfielen auch die letzten völkerrechtlichen Hürden für eine definitive Entscheidung hinsichtlich der staatsrechtlichen Stellung des Banats, seine Regierungsform und Organisationsstruktur. Am 3. September 1718 wurde die kaiserliche Resolution, durch welche die Verwaltung des Banats ihre endgültige Form erhielt, verabschiedet. Ein Dekret bestimmte die Befugnisse des Präsidenten der Landesadministration und kommandierenden Generals Mercy. Am 7. September 1718 wurde eine vom Hofkriegsrat ausgefertigte Instruktion verabschiedet, deren Adressat die neu installierte Landesadministration war.

Einrichtung der Landesadministration

Das Temeswarer Banat war ein Ergebnis des habsburgischen Hausmachtstrebens und nicht des Reichsgedankens. Der schleichende Machtverlust des Kaisers im römisch-deutschen Reich konnte durch die territoriale Ausbreitung im Südosten ausgeglichen werden. Aus dem Gebietserwerb des Krieges wuchs eine neue Territorialstruktur heraus. Das neu eroberte Gebiet wurde vom Wiener Hof als absolut unveräußerliches königliches Gut betrachtet, somit als eine Kammerdomäne, über die der Landesherr, zugleich auch alleiniger Gutsherr, allein und uneingeschränkt verfügte. Diese Doppelposition des Herrschers als Landes- und Grundherr wurde im Laufe der Existenz des Territoriums stets hervorgekehrt. Das Alleinstellungsmerkmal war für die Entwicklung des Banats im 18. Jahrhundert und für die Ansiedlungspolitik des Wiener Hofes bestimmend. Aus der territorialpolitischen und besitzrechtlichen Stellung der neuen Provinz wurde der Anspruch abgeleitet, das neu eroberte Gebiet den Wiener Zentraleinrichtungen nachzuordnen. Privatpersonen, einschließlich hohe Militär- und Kameralbeamte der Provinzialverwaltung, konnten hier keinen erblichen Besitz erwerben. Das Land wurde für freie eingesessene oder zugewanderte Erbpächter parzelliert.

An der Spitze des Territorialstaates stand der absolutistische Landesfürst – Kaiser und König zugleich –, der sich auf sein Heer und die Administration verließ. Die Temeswarer Landesadministration, in deren Ratsgremium das militärische Element überwog, war die Trägerin der staatlichen Hoheitsrechte und auch der sonst durch die Landesgrundherrschaft ausgeübten Rechte. Lediglich in der Stadt Temeswar gab es eine bescheidene autonome Magistratsverwaltung. Die weisungsgebundene Landesadministration hatte an die Neoacquistische Kommission zu berichten, die den Auftrag hatte, die Verwaltungen des noch nicht vollständig geordneten neu eroberten Gebiets im Einvernehmen mit den zentralen Hofstellen – Hofkriegsrat, kaiserliche Hofkammer – zu koordinieren. Der Hofkriegsrat war die oberste Militärverwaltungsbehörde. Die Verteidigung der neu erworbenen Gebiete war mit massiver militärischer Präsenz und dem kostenintensiven Festungsbau verbunden. Es lag daher nahe, die dazu nötigen Mittel, soweit möglich, aus diesen Gebieten selbst zu besorgen. Als Kriegsschauplatz und frontnahe Etappe hatte das Land große und drückende Lasten zu tragen. Das angesichts umfangreicher Flüchtlingsbewegungen spärlich bevölkerte Gebiet musste in den Wintermonaten 1716 und 1717 eine beschwerliche Leistung für den Unterhalt und die Verpflegung der in Temeswar und im südlichen Banat stationierten Regimenter erbringen. Militärexzesse bestimmten den Alltag. Die kaiserliche Hofkammer war mit der Verwaltung der Staatseinnahmen und –ausgaben betraut. Die Kompetenzabgrenzung des Hofkriegsrats zur Hofkammer blieb lange Zeit unklar und führte zu Spannungen im Handeln der Verwaltung. In die Beratungen zur Organisation der Temeswarer Landesadministration wurde neben den beiden Hofstellen auch die Universalbankalität einbezogen.

Den institutionellen Rahmen der Verwaltung bildeten die bürokratisch strukturierten Behörden auf zentraler, Provinz- und Distriktsebene. Den Wiener Zentralstellen nachgeordnet, beschränkte sich das Regieren auf Verwaltungstätigkeiten im engeren Sinn. Zentraler Inhalt der Verwaltung des Provinzialgebiets war die territorialpolitische Gliederung, wobei die Distrikte die Gebietskörperschaften darstellten. Mit der Territorialverwaltung ging auch die Verwaltung des Kameralbesitzes und der Kameraleinkünfte – der gesamte Grund und Boden, Wälder, Gewässer, Bergwerke, staatliche Manufakturen, Steuerabgaben und Regaleinnahmen – einher. In den ersten Jahren der kaiserlichen Herrschaft richtete sich die Provinzialpolitik am Maßnahmenkatalog des „Einrichtungsprojekts“ aus, das auch als Vorbild für den Aufbau der Verwaltung im kaiserlichen Serbien diente.

Nach ihrer Konstituierung begann innerhalb der Temeswarer Landesadministration ein Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung von Administration, Politik und Recht. Kennzeichnend für das Territorium blieben jedoch bis zur Trennung von Militär- und Zivilverwaltung 1751/53 weite Überschneidungszonen, für die nicht eindeutig festgelegt war, ob sie in die Zuständigkeit der Hofkammer oder des Militärs gehörten.

In der Herausbildung von Ordnungsvorstellungen der Wiener Hofstellen hinsichtlich des Temeswarer Banats kommt Mercys „Einrichtungsprojekt“ eine herausragende Bedeutung zu.

Fazit

Die Denkschrift hat sowohl die Festlegung der Regierungsform des Temeswarer Banats wie auch die Funktionsweise der schrittweise entstehenden Verwaltung beeinflusst. Ihre zukunftsweisenden Tendenzen sind nicht zu übersehen, wenn sie sich auch auf zeitlich begrenzte Maßnahmen merkantilpolitischen Zuschnitts, nämlich auf das Jahr 1718, beschränkte. Die Verwirklichung der darin enthaltenen Vorschläge ebnete jedoch nach der Rückkehr von Mercy aus dem italienischen Feldzug 1720 den Weg für weit reichende Vorkehrungen. Die Weichen für die Erschließung des Landes und die deutsche Ansiedlung waren gestellt.