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Mit Leib und Seele Konstrukteur

Josef Michels und Ehefrau inmitten der Großfamilie. In der letzten Reihe 2. v.l. Ortrun Michels, verheiratete Kastel; 3. v.l. Gudrun Michels, verheiratete Winkler; ganz rechts im Liegestuhl Hartwig Michels. Die Aufnahme entstand 1979 in Temeswar, im Garten des Hauses Schweizergasse 45. Fotos aus dem Familienbesitz

Dipl.-Ing. Josef Stefan Michels (1910-1987)

Erinnerungen an Josef Michels (1910-1987), den „Vater des rumänischen Kranbaus“ - Nachdem Astronauten aus den Vereinigten Staaten im Juli 1969 auf dem Mond gelandet waren, raffte sich die politische Führung Rumäniens dazu auf, den Raketenpionier Hermann Oberth (1894-1989) auszuzeichnen, der ein Siebenbürger Sachse war und als „Vater der Weltraumfahrt“ galt; die Universität Klausenburg durfte ihm 1972 die Ehrendoktorwürde verleihen. Dem Temeswarer Maschinenbauingenieur Josef Stefan Michels (1910-1987) wurde keine vergleichbare Ehrung zuteil, obwohl seine Erfindungen der Industrie Rumäniens mit Sicherheit mehr genutzt haben als Oberths Forschungen. Der rumänische Staat hat seine Verdienste bloß mit zwei Medaillen – 1964 und 1971 – gewürdigt.

Sein ehemaliger Kollege Dipl.-Ing. Helmuth Schneider über die Tätigkeit beim 1949 gegründeten Maschinenbau-Institut in Temeswar: „In kürzester Zeit rückte er zum ersten und wichtigsten Mann auf. Sein Können, sein Fleiß, sein Wissen und seine beharrliche Arbeit führten dazu, dass alle technischen Fäden bei ihm zusammenliefen. Alle großen Arbeiten, Entwürfe von Großmaschinen, wie sie niemals zuvor in Rumänien gebaut worden waren, hat er angeleitet, betreut, konstruktive Lösungen begutachtet und häufig selbst aus-gearbeitet. Nicht selten kam die Beauftragung dafür von einem der oft wechselnden Minister für Maschinenbau persönlich. Nicht die großtuerisch-wortgewandten Vertrauensleute, sondern der wortkarge, bescheidene, von und für seine Arbeit lebende ,neamţʻ hat ohne viel Auf-hebens die schwierigsten Aufgaben gelöst.“

Damals befand sich Josef Michels auf der Höhe seines beruflichen Werdegangs. Er hatte schon eine
außergewöhnliche und abwechslungsreiche technische Karriere absolviert.

Elf Jahre fürs Erdöl

Josef Michels besuchte das Realgymnasium in seiner Geburtsstadt Temeswar und anschließend das dortige Polytechnikum, Fachrichtung Maschinenbau und Elektrotechnik. Ein Auslandsstudium kam nach dem frühen Tod seines Vaters, des Kaufmanns und Gastwirts Josef Michels, nicht in Frage. Im Gegenteil: Mit 18 Jahren musste er sich sein Studium selbst finanzieren, deshalb hat er nachts gelernt und tagsüber Nachhilfestunden gegeben. Trotzdem fand er damals noch Muße, um auf der Geige zu spielen, und – zusammen mit seiner späteren Ehefrau – auf dem Klavier. Sie besuchten oft Bälle. Man weiß noch, dass er ein sportbegeisterter junger Mann war, der sich im Fechten, Tennisspielen und Reckturnen übte und auch für das Wandern im Gebirge begeisterte. Seine spätere Ehefrau Ernestine Katharina Müller studierte Malerei. Im Januar 1935 legte er das Staatsexamen als Diplom-Elektro-Maschineningenieur ab.

Der berufliche Werdegang von Josef Michels begann, wenn wir von einem Jahr Lehrtätigkeit an einer Fachschule absehen, bei der Lokomotiven- und Triebwagenfabrik „Malaxa“ in Bukarest, wo er als
Betriebsingenieur arbeitete. Von dort gelangte er zur Technischen Direk-tion der Erdölgesellschaft „Astra Română“ in Câmpina, das war eine Tochtergesellschaft des englisch-holländischen Unternehmens „Royal Dutch Shell Company“. Dem Laien verschlägt es den Atem, wenn er zur Kenntnis nimmt, womit er sich im Laufe von acht langen Jahren beschäftigte: mit dem Studium, der
Berechnung, dem Entwurf und der Verbesserung von Bohr- und Fördergeräten, Anlagen für Bohrdampf-
maschinen, Dampfturbinenanlagen, Diesel- und Elektromotoren, Hochdruckanlagen, Verpumpungsanlagen für Wasser und Öl, Wasserreinigungsanlagen, Gaskompressoranlagen, Ölbehältern und Tankwagen, Verladeanlagen, Stahlkonstruktionen, Sondenmessgeräten, feinmechanischen Instrumenten, Desbezinierungsanlagen und anderen Raffinerieanlagen. Einige seiner Erfindungen auf diesem Gebiet konnte er patentieren. Er war Mitglied des rumänischen Normenausschusses für die Vereinheitlichung sämtlicher Bohrgeräte, Leitungsrohre, Ventile und Schieber.

Aber da brach in Europa der Krieg aus, und in diesem Krieg ging es auch um Petroleum. Im Juni 1941 hat der Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion begonnen, an dem Rumänien teilnahm. Im Spätsommer 1943, ein halbes Jahr nach der Schlacht von Stalingrad, die die Wende einleitete, begann die anglo-amerikanische Luftwaffe die Erdölfelder im Prahova-Tal zu bombardieren, um die Versorgung der Wehrmacht mit Erdöl zu behindern. Die ältere Tochter der Familie Michels, Gudrun, erblickte das Licht der Welt in Câmpina, das war noch 1937, Sohn Hartwig in Kronstadt 1941, die jüngere Tochter Ortrun aber – man schrieb das Jahr 1943 – in Temeswar.

Lange bevor die Wehrmacht Rumänien räumen musste, schon im Jahre 1943, wurde Josef Michels zusammen mit einer Gruppe deutscher Erdölfachleute nach Deutschland verbracht und dem Erdölforschungsinstitut der Technischen Hochschule Hannover zugeteilt, dem damaligen „Reichsinstitut für Erdölforschung“. Dort sollte er seine Forschungen zur Schussdurchlöcherung der Verrohrung von Erdölsonden fortsetzen, denn die neuen Perforierungsverfahren erwiesen sich als außerordentlich wichtig für die Steigerung der Erdölproduktion. Seine diesbezüglichen Erfindungen wurden in Deutschland patentiert.

Weiß jemand, dass Josef Michels in seiner Jugend Gedichte verfasst hat? Während seines Aufenthalts in Deutschland warf er fast jeden Tag eins aufs Papier und schickte es seiner Frau.

Dann, der Krieg war vorbei, arbeitete er als Erdölsachverständiger für die Bestimmung der Kriegsschäden der Shell-Raffinerie „Hamburg-Harburg“. Erst im Jahre 1947 konnte er nach Rumänien zurückkehren und seine Familie wiedersehen.

Anderthalb Normen

Der Kriegsheimkehrer hat klein angefangen: als Hilfskraft im Handarbeitsladen seiner Frau und als Prokurist einer kleinen Firma. Zu Hause war Schmalhans Küchenmeister. Im Handarbeitsladen wurden unter anderem Osterhasen aus Papiermaschee hergestellt, die den Kopf drehen und ein Zuckerei legen konnten, wenn man sie am Schwanz zog; die wurden bemalt und auf dem Flohmarkt verkauft.
Aber schon im Jahre 1949 begründete Josef Michels zusammen mit Prof. Dr.-Ing. Ştefan Nădăşan das „Entwurfsinstitut für Maschinen“ (Institutul de Proiectări de Mașini, I.P.R.O.M.) und leitete dort vier Jahre lang die Maschinenbau-Abteilung. 1951 war er einer der Mitbegründer der Temeswarer Zweigstelle der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, innerhalb derer er sich als Forschungsleiter betätigte.

Als das Entwurfsinstitut 1954 aufgelöst wurde, wechselte er zum Maschinenbaubetrieb „Banater Metallurgische Industrie“ über und stieg dort zum Chefkonstrukteur auf. (Den Temeswarern ist dieser Großbetrieb unter dem Namen „Mechanische Werke Temeswar“ – rumänisch Uzinele Mecanice Timișoara, abgekürzt U.M.T. – in Erinnerung.) 1960 kehrte er zum wiedereröffneten Ingenieurbüro zurück, das sich auf Kranbau und Fördertechnik spezialisierte und zum leitenden Institut für Fördertechnik entwickelte. Durch die Tätigkeit in diesem Institut erwarb er sich landesweit die Hochachtung der Spezialisten, in Fachkreisen galt er als der „Vater des rumänischen Kranbaus“. Er stieg vom Abteilungsleiter zum Technischen Rat und zum Haupt-Entwurfs-Ingenieur auf (die in Rumänien höchste Qualifikationsstufe für einen Ingenieur).

„Mein Vater hat“, so erinnert sich Ortrun, „fast immer anderthalb Normen gearbeitet. Vormittags in der U.M.T. und nach einem Mittagsschläfchen in der Akademie bei Professor Nădăşan. Von dort kam er um neun Uhr oder zehn Uhr abends heim. Sonntags arbeitete er den ganzen Tag zu Hause, denn am Samstag brachte er riesige Zeichnungen von Kränen mit, um die Berechnungen zu überprüfen. Uns Kindern erklärte er nebenbei, wie die Kräne funktionieren: wie die Laufkatzen entlang den Schienen laufen, wie die Lasten gehoben und transportiert werden. Er konnte sehr anschaulich erklären, davon war ich fasziniert.“

Für die Fähigkeit, anschaulich zu erklären, wurde Josef Michels auch von den Mitarbeitern geschätzt. „Alles, was wir können“, sagten später Gustav Rastätter, Helmuth Schneider, Waldemar Schneider und andere, „haben wir von Herrn Michels gelernt.“ Besondere Freundschaft verband den Erfinder mit Dipl.-Ing. Eduard Kreiling, dem Cheftechnologen der „Mechanischen Werke“, und mit Dr.-Ing. Josef Appeltauer, erst Assistent, dann Oberassistent, Dozent, zuletzt ordentlicher Professor für Festigkeitslehre und Elastizitätstheorie an der Baufakultät.

Weil ans Arbeiten gewöhnt, konnte er sich nach der Pensionierung nicht vom Zeichentisch trennen, sondern setzte seine berufliche Tätigkeit noch jahrelang in derselben Funktion fort.

Transporter mit Luftkissen

Josef Michels ist im selben Jahr geboren wie mein Vater, Hartwig Michels sechs Monate vor mir, Ortrun Michels im selben Jahr wie meine Schwester Rosl. Ich ging mit Hartwig zur Schule – erst waren wir
zusammen in der Übungsschule der Josefstädter Lehrerbildungsanstalt, kurz „Päda“ genannt, dann im
Lenau-Lyzeum. Wir liefen gemeinsam Schlittschuh und nahmen beide an den Skiausflügen zum Semenik teil. Natürlich lernte ich seine Eltern kennen, allerdings sah ich das Familienoberhaupt aus dem oben angegebenen Grund selten.

Obwohl sich seine intensive berufliche Tätigkeit sogar über die Sonntage ausdehnte, wollte Josef
Michels die Familie nicht vernachlässigen. Er und seine Frau bastelten mit den Kindern, zum Beispiel Kunstblumen aus Leder, für die er die Stanzen mit Hartwig im Keller selbst anfertigte. Er führte Hartwig in die Radiotechnik ein, ließ ihn mit der Laubsäge arbeiten und assistierte, wenn dieser alte Motoren zerlegte. Dabei pflegte er den Kindern zu sagen: „Als Maschinenbauer erschaffst du jeden Tag etwas Neues, was man braucht.“ Es ist also nicht verwunderlich, dass alle drei sich für den Beruf des Maschinenbauers entschieden. „Das war bei den Michels-Kindern Berufung“, sollte Gudrun auf der Kulturtagung der Landsmannschaft 1998 in Sindelfingen feststellen, wo sie über Ingenieure, Erfinder und Techniker aus dem Banat und ihre Leistungen referierte.

Josef Michels weckte auch die Lust seiner Kinder am Wandern und Bergsteigen. Ein Ausflug, an den Ortrun sich gerne erinnert, führte sie ins Retezat-Gebirge. In Mußestunden erzählte er gern von seinen Großeltern, die im jugoslawischen Teil des Banats, nämlich in Kudritz, Weinbauern waren.

Hartwig hat, um seine Chancen bei der Aufnahmeprüfung am Polytechnikum zu verbessern, sich zunächst in die Fachschule für Dreher eingeschrieben, denn im kommunistisch regierten Rumänien galt ein Dreher als „Arbeiter“ und wurde im Vergleich zum „Kind eines Intellektuellen“ bevorzugt. Übrigens war er mit dieser Strategie nicht der Einzige aus unserem Jahrgang, und die Rechnung ist aufgegangen.

Hartwig arbeitete dann beim selben Forschungsinstitut wie sein Vater, er trat in dessen Fußstapfen. Beim Institut avancierte er vom Forscher zum Forschungsgruppenleiter und Hauptforscher, vom Gruppenleiter zum Sachverständigen für Sicherheitstechnik und Prüfung von Kranen, zuletzt zum Abteilungsleiter für Forschung und Entwicklung. Seine Erfolge im Kranbau wurden mit mehreren Auszeichnungen gewürdigt. Unter anderem entwickelte er eine Vorrichtung, die Autokräne vor dem Umfallen bewahrt. Als ich mich im September 1978 an Ort und Stelle dokumentierte, um ihn im „Neuen Weg“ vorzustellen, stand diese Leistung im Vordergrund. Die Reportage sollte mit dem Titel „Kein Autokran fällt mehr um“ erscheinen, doch aus Platzgründen lautete der Titel schließlich „Kein Autokran fällt um“ (was natürlich nicht stimmt). Nebenbei zeigte Hartwig mir eine Erfindung, durch die er weltberühmt werden sollte, nämlich einen Transporter mit Luftkissen. „Auf ebener Fläche kannst du ihn mit einer Gänsefeder fortschieben.“ Eben suchte er nach einem publikumswirksamen Namen. Unglücklicherweise passte dieses Projekt nicht ins Profil des Instituts.

Ortrun, die sich in Mathe und Chemie auszeichnete, sollte gar nicht studieren; sie bestand ohne Wissen der Eltern die Aufnahmeprüfung bei der Fakultät für Landmaschinenbau und wechselte später zur Fakultät für Maschinenbau über, in die Abteilung Hydraulische Maschinen. Nach der Staatsprüfung erhielt sie eine Stelle als Assistentin und fühlte sich in ihrem Element.Beim Lehrstuhl für hydraulische Maschinen lernte Ortrun Michels ihren späteren Ehemann Rudolf Kastel kennen. Als sie ihn den Eltern vorstellte, rief Josef Michels aus: „Willkommen, noch ein Maschinenbauer in der Familie!“

Dann gelang es Hartwig während eines Urlaubsaufenthalts in Ungarn im Sommer 1981, mit Frau und Kindern über Jugoslawien und Österreich nach Deutschland zu flüchten. Im selben Jahr überquerte Rudolf Kastel die grüne Grenze zu Jugoslawien. Wie dieses Abenteuer abgelaufen ist, schilderte er in seinem Beitrag zum Erinnerungsbuch „Jein, Genossen!“, das Dr. Hans Gehl und ich zusammengestellt haben.

Schon 1982 gründete Hartwig zusammen mit seinem ehemaligen Schulfreund, dem Kaufmann Dr. Knud Klingler, in Nürnberg die Firma DELU – „Deutsche Luftkissen-Transportgeräte-Technik“. Sie entwickelte sich zum Marktführer, zu ihren Kunden gehören auch Großfirmen wie DaimlerChrysler Aerospace, Siemens, BMW, Deutsche Bahn, Mercedes Benz, MAN und Dupont.

Ihre Transportfahrzeuge sind luftkissengestützte Flurförderfahrzeuge, welche Lasten bis zu 1000 Tonnen direkt oder mittels Transportpaletten aufnehmen und verfahren können. Um ein Beispiel zu geben: Die viele Tonnen schweren Spiegelteleskope der Sternwarte in der Atacama-Wüste in Chile werden auf Luftkissen aus der Firma DELU fortbewegt. Die Luftkissentechnik ist energiesparend, leise und umweltschonend. Sie erfordert niedrige Investitions- und Betriebskosten im Vergleich zu konventionellen Lösungen. Bei der Internationalen Ausstellung „Ideen – Erfindungen – Neuheiten“ in Nürnberg 1988 erhielt Hartwig für seine Luftkissen-Systeme eine Goldmedaille.

Vertretungen von DELU gibt es heute in China, Finnland, Indien, Israel, Italien, Japan, Norwegen,
Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Singapur, Südkorea, Thailand, Ungarn und in den USA.

Bei der Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Sindelfingen 1998 hat Hartwig seine Firma vorgestellt (vgl. Hartwig Michels: Bahnbrechende Technologie. Transportgeräte auf Luftgleitkissen, in: 34. Kulturtagung 1998 im Haus der Donauschwaben Sindelfingen. Dokumentation, Stuttgart 1999, S. 35-41).

Nachdem Rudolf Kastel geflohen war, durfte Ortrun nach 15 Jahren Lehrtätigkeit am Polytechnikum nicht mehr vortragen; man duldete sie als Aushilfskraft. Erst ein gutes Jahr später konnte sie mit den Kindern ausreisen. In Deutschland unterrichtete sie 15 Jahre lang an der Nürnberger Rudolf-Diesel-Fachschule für Techniker, wobei sie, wie in Rumänien, die Fächer Kraft- und Arbeitsmaschinen, Physik und Technische Mechanik vortrug.

Josef Michels, der 1982 in die Bundesrepublik aussiedelte, konnte die Anfänge der Firma DELU noch erleben und mit seiner Erfahrung aushelfen. Er hatte sieben Enkelkinder und hat sich gern mit ihnen beschäftigt: gespielt, gebastelt, vorgelesen, erzählt. Er starb am 13. Oktober 1987 in Nürnberg im Alter von 77 Jahren.