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Beispielhafte Integration der Banater Schwaben

Prof. Dr. Anton Sterbling, aus Großsanktnikolaus stammender Soziologe, sprach beim Festakt im Senatssaal des Bayerischen Landtags über die beispielhafte Integration der Banater Schwaben. Fotos: Walter Tonţa

Anlässlich der 18. Kultur- und Heimattage der Banater Schwaben in Bayern lud der Landesverband Bayern am 20. Juni zu einem Festakt im Bayerischen Landtag unter dem Motto „70 Jahre Banater Schwaben in Bayern. Gelungene Integration − Gelebte Tradition“ ein.

Die gelungene Integration von Zuwanderern ist nicht das Selbstverständliche, sondern wohl eher das Unwahrscheinliche. Jedenfalls erscheint ein solcher Vorgang komplex, voraussetzungsreich und schwierig. Das gilt selbst, wenn die Ziel- oder Aufnahmegesellschaften vorzügliche Eingliederungsbedingungen und eine große Integrationsbereitschaft aufweisen. Diese realistische und für manche vermutlich sogar ungehörige Feststellung ist aus der Perspektive gesicherter sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse indes nahezu trivial und findet bereits bei Émile Durkheim, Max Weber oder Talcott Parsons eine grundlegende Begründung.

Vor diesem Hintergrund möchte ich kurz skizzieren, was dafür spricht, dass die Eingliederung der Banater Schwaben in der Bundesrepublik Deutschland und im Freistaat Bayern als geradezu beispielhaft betrachtet werden kann. Welche spezifischen Voraussetzungen der Aussiedler, aber auch welche besonderen Bedingungen der bundesdeutschen Gesellschaft dafür maßgeblich erscheinen. Und inwiefern diese spezifische Bedingungskonstellation in einem allgemeineren Sinne eine Erklärungsmöglichkeit für den Erfolg oder Misserfolg von Integrationsprozessen auch anderer Migrantengruppen bietet. Denn angesichts massiver Migrations- und Flüchtlingsströme, die wir gegenwärtig erleben, ist – in den Worten Graf Kielmanseggs ausgedrückt – die „Ratlosigkeit“ der
Politik groß. Ein entscheidender „Kompass“, der hierbei für eine wirklich verantwortungsvolle Haltung zur Verfügung steht, kann nur eine realistische Einschätzung der Integrationsfähigkeit solcher Zuwanderer bilden.

Was spricht für eine gelungene Integration der Banater Schwaben?

Die soziale Integration der Banater Schwaben in der Bundesrepublik Deutschland, nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute, kann als weit-gehend gelungen – ja, geradezu als mustergültig – angesehen werden. Die erfolgreiche Integration lässt sich sowohl an „objektiven“ Lebensgegebenheiten ablesen, insbesondere an einer guten beruflichen und wirtschaftlichen Eingliederung, an einem sichtlichen Wohlstand oder auch an überdurchschnittlichen Schul- und Bildungsergebnissen der Aussiedlerkinder der ersten und zweiten Generation. Ebenso lässt sie sich unter subjektiven Betrachtungsgesichtspunkten wie der Zufriedenheit mit der gesellschaftlichen Aufnahme und materiellen Lebenslage, der sozialen Integration und der weitgehenden Identifikation mit der deutschen Gesellschaft und der Loyalität dieser gegenüber ausdrücklich feststellen.

Mit berechtigtem Stolz wird zudem darauf verwiesen, dass aus den Reihen der Banater Schwaben in den letzten Jahren mit Herta Müller und Stefan Hell gleich zwei aus dem Banat stammende deutsche Nobelpreisträger hervorgegangen sind. Dies ist schon sehr bemerkenswert, aber sicherlich nicht ganz zufällig, kann man doch zugleich auf eine Reihe anderer in der deutschen Gegenwartsliteratur recht bekannter und anerkannter Schriftsteller und ebenso auch auf geachtete Journalisten und Künstler, produktive Wissenschaftler und erfolgreiche Unternehmer aus dem Kreis der Banater Schwaben hinweisen. Und nicht zuletzt auf viele sehr tüchtige Facharbeiter und Handwerker, die seit Jahrzehnten große Anerkennung für ihren Fleiß und ihre Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland und im Freistaat Bayern gefunden haben.

Welches waren die spezifischen Voraussetzungen, welches die besonderen Aufnahmebedingungen der Banater Schwaben?

Wenn der Eingliederungsprozess der meisten deutschen Aussiedler aus Rumänien, insbesondere soweit dieser vor der Massenaussiedlung 1990 erfolgte, als weitgehend gelungen angesehen werden kann, so lag dies an einer ganz bestimmten Bedingungskonstellation, die hier – in aller gebotenen Kürze – anzusprechen ist.

Die aus dem Banat stammenden deutschen Aussiedler brachten zumeist eine hohe Leistungsbereitschaft, eine solide Schulbildung und vielfach gute berufliche Qualifikationen mit. Man kann auch sagen, sie verfügten noch weitgehend über eine traditional geprägte Arbeitsmoral, die sie sich nicht nur trotz, sondern gleichsam auch gegen die Zumutungen „sozialistischer“ Beschäftigungsgegebenheiten und Arbeitsweisen in Rumänien bewahrt haben.

Hinzu kamen in den meisten Fällen gute deutsche Sprachkenntnisse, viele kulturelle und sozialmoralische Gemeinsamkeiten – zumindest mit eher konservativ orientierten oder dem „Integrationsmilieu“ oder „Harmoniemilieu“ (siehe hierzu die Anmerkung am Ende des Beitrags) zuzurechnenden Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung – sowie eine starke Identifikation der Aussiedler mit „Deutschland“ und eine hohe Loyalitätsbereitschaft dem freiheitlich-demokratischen deutschen Staat gegenüber.

Diese vorteilhaften kognitiven, normativen und affektuellen Voraussetzungen trafen in der Bundesrepublik Deutschland auf ebenso günstige Aufnahmebedingungen: Eine bevorzugte Bewegung der Aussiedlerströme in wirtschaftsstrukturell dynamische Gebiete, insbesondere Bayerns und Baden-Württembergs, in denen ohnehin bereits häufig Familienangehörige, Verwandte oder Landsleute lebten, ermöglichten zumeist eine rasche „lebensweltliche“ Anpassung und berufliche Integra-tion. Diese wurden durch gezielte Eingliederungsmaßnahmen in der ersten Zeit der Aussiedlung unterstützt, wobei natürlich auch die rasche Einbürgerung und Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme eine wichtige integrationsförderliche Rolle spielten. Auch sollten die zumeist rasch nach der Aussiedlung erworbenen politischen Partizipationsrechte, die ein Gefühl der Dazugehörigkeit zu einer attraktiven staatlichen organisierten Gesellschaft vermittelten und bestärkten, nicht übersehen werden.

Was die soziale Integration im engeren Sinne betrifft, so spielt die räumliche Verlagerung und Restrukturierung des landsmannschaftlichen Milieus und die damit gegebene Möglichkeit einer fortbestehenden Integration oder Reintegration auf dieser Ebene in vielen Fällen eine wichtige Rolle. Nicht nur enge Familien- und Verwandtschaftsbindungen, sondern auch fortgesetzte und weitergepflegte Beziehungen zu Landsleuten, insbesondere der eigenen Ortsgemeinde, haben in diesem Zusammenhang eine große soziale Tragweite und Relevanz. Dies lässt sich an alltäglichen „lebensweltlichen“ Interaktions- und Kommunikationsbeziehungen, sozialen Verkehrskreisen, Gestaltungsformen des geselligen Lebens, aber auch an festgefügten Freundschafts-, Bekanntschafts- und Heiratsmustern deutlich ablesen.

Wichtige Voraussetzungen dieser räumlichen Verlagerung, Restrukturierung und Anpassung der soziokulturellen Milieus müssen zunächst in den vorgängigen Gegebenheiten und Lebensumständen der Deutschen in Rumänien gesehen werden. Als zunächst noch stark traditional orientierte, aber dann zunehmend sozial und psychisch mobilisierte, aber nur begrenzt in die rumänische sozialistische Gesellschaft integrierte, durch die nationalistische Politik des Ceauşescu-Regimes zusätzlich diskriminierte Minderheit, haben sich die Banater Schwaben, insbesondere auch in der Folge und den Rückwirkungen des fortschreitenden Aussiedlungsprozesses immer stärker an der Bundesrepublik Deutschland als relevante „Bezugsgesellschaft“ orientiert und in ihren Lebensplanungen und Handlungsmustern ausgerichtet.

Auch der verbandförmigen landsmannschaftlichen Organisation kam bei der erfolgreich verlaufenen Integration eine erhebliche Bedeutung zu. Die landsmannschaftlichen Organisationsstrukturen weisen eine teils locker verkoppelte, teils funktional verschränkte Doppelgliederung auf verschiedenen Ebenen auf. Sie stellen sich – unter organisationstheoretischen Gesichtspunkten betrachtet – als ein in geeigneter Weise differenziertes und effizient zusammenwirkendes integrationsförderliches Organisationsgefüge dar. Einerseits besteht eine Gliederung der Heimatortsgemeinden, die auf die Herkunftsorte im Banat bezogen ist, sowie eine Zusammenfassung derselben in der Gesamtorganisation der „Landsmannschaft der Banater Schwaben“, die wiederum dem „Bund der Vertriebenen“ angehört; andererseits bezieht sich die Organisationsgliederung auf einzelne Orte, Städte, Regionen und Bundesländer, in denen die Aussiedler heute wohnen. Die Landsmannschaft und ihre Untergliederungen verfügen über verschiedene Kommunikationsmedien und soziale Netzwerke. Sie unterstützten und unterstützen gezielt die Eingliederungsprozesse und Interessen der Landsleute. Sie sind zudem Träger vielfältiger kultureller Aktivitäten – nicht zuletzt im Hinblick auf historische Erinnerungsarbeit und Heimatkulturpflege, aber auch hinsichtlich gegenwärtiger kultureller und sonstiger Kontakte zur „alten Heimat“ – und ebenso Initiatoren geselliger und anderer Freizeitveranstaltungen. Die „Landsmannschaft der Banater Schwaben“, wie andere Landsmannschaften der Deutschen aus dem östlichen und südöstlichen Europa, hat zudem auf den verschiedenen Ebenen mehr oder weniger fest institutionalisierte Kontakte zu Parteien, Ämtern, Behörden und kulturellen Einrichtungen und erfährt auf diese Weise eine zusätzliche Wirkungsmacht, Legitimierung und Stabilisierung. Und sie erhält natürlich auch verdiente Anerkennung für die zweifellos beachtlichen Beiträge zur Integration der Aussiedler, die diese Bemühungen zugleich weiter stützen und fördern.

Zur Bedingungskonstellation erfolgreicher und scheiternder Integrationsprozesse – Lehren aus dem Beispiel der Banater Schwaben

Am Beispiel der Banater Schwaben lässt sich geradezu mustergültig aufzeigen, wie spezifische individuelle und kollektive Voraussetzungen vieler Aussiedler im Zusammenspiel mit günstigen Aufnahmebedingungen der bundesdeutschen Gesellschaft und entsprechenden Wirkungen, Mustern und Verschränkungsbeziehungen sozialer Integrationsmechanismen auf den verschiedenen Ebenen den sicherlich eindrucksvollen Erfolg ihrer Eingliederung in die bundesdeutsche Gesellschaft erklärbar machen. Daraus lassen sich verallgemeinernde Grundzüge einer Bedingungskonstellation erfolgreicher Integration anderer Migrantengruppen überhaupt ableiten, aber auch Gründe des geradezu zwangsläufigen Scheiterns von Integrationsbestrebungen erkennbar machen.

Auf der einen Seite sind – ganz pointiert – eine mehr oder weniger ausgeprägte Leistungsorientierung und Leistungsbereitschaft, geeignete berufliche und schulische Qualifikationen, gute Sprachkenntnisse und andere kulturelle Voraussetzungen zu nennen; auf der anderen Seite realistische Chancen der Teilhabe am Wohlstand, also berufliche und wirtschaftliche Betätigungschancen und notfalls auch befristete Eingliederungshilfen, aufstiegsoffene Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, die Einbeziehung in die letztlich auf Leistung und Gegenleistung beruhenden solidarischen Systeme der sozialen Sicherung und nicht zuletzt politische und gesellschaftliche Mitwirkungsmöglichkeiten.

Eine unverzichtbare Bedingung gelungener Integration ist allerdings auch die weitgehende Übereinstimmung in grundlegenden Wertfragen unserer freiheitlich-demokratischen Kultur und Gesellschaft als notwendige Voraussetzung der Akzeptanz ihrer normativen und institutionellen Ordnung. Eine erfolgreiche gesellschaftliche Integration setzt die weitgehende Zustimmung und
Internalisierung der fundamentalen Werteordnung der Aufnahmegesellschaft voraus. Dies kann weder durch großzügige Wohlstandsteil-habe kompensiert werden, noch reichen beflissene Sprachkenntnisse dazu aus. Eine Sicherheit, Berechenbarkeit und Gerechtigkeit für die Bürger gewährleistende Rechtsordnung lässt sich nicht allein anreiz- und sanktionsgestützt aufrechterhalten, sondern muss sich auf einen von möglichst allen Bevölkerungsteilen mitgetragenen Wertekonsens stützen. Legitimität und Funktionsfähigkeit einer politischen und institutionellen Ordnung kann auf Dauer also nur auf „Wertintegration“ und einer entsprechend fundierten Identifikation und Loyalität der Bürger beruhen. Eine gelungene Integration – so zeigt auch das Beispiel der Banater Schwaben – ist ohne diese kulturelle Grundlage undenkbar. Das Gegenteil davon sind normative Doppelstrukturen und „Parallelgesellschaften“ und ihre Folgekosten auf allen Seiten, in der Erscheinungsform von Anomieproblemen und tiefgreifenden gesellschaftlichen Spannungen und Konflikten, die
sozial und politisch kaum zu bewältigen sind, wie die nicht- oder ungenügend integrierten Migranten der dritten, vierten oder fünften Generation in vielen tristen und nicht selten auch „brennenden“ Vororten französischer, niederländischer oder englischer Großstädte anschaulich zeigen.

Das Beispiel der Banater Schwaben lässt erkennen, dass die Integration von Zuwanderern durchaus erfolgreich verlaufen kann, aber dabei stets an spezifische Voraussetzungen der Migranten wie auch an günstige Eingliederungsbedingungen geknüpft ist. Der entscheidende Punkt einer erfolgreichen gesellschaftlichen Integration bildet aus der Sicht der Soziologie die weitgehende Akzeptanzfähigkeit und -bereitschaft der gegebenen Wertordnung der Aufnahmegesellschaft als Grundlage der „Wertintegration“ oder auch – längerfristig betrachtet – der Aushandlung eines neuen gesamtgesellschaftlichen „Wertkonsens“. Nur im Lichte dieser Erkenntnisse und der Betrachtung ihrer praktischen Konsequenzen ist eine Zuwanderungspolitik kurz-, mittel- und langfristig tatsächlich als hinreichend verantwortungsvoll zu betrachten.

Anmerkung: In seiner Untersuchung über die „Erlebnisgesellschaft“ unterschied Gerhard Schulze bei den Jüngeren (unter 40 Jahren) zwischen einem „Selbstverwirklichungsmilieu“ und einem „Unterhaltungsmilieu“ und bei den Älteren zwischen einem „Niveaumilieu“, einem „Integrationsmilieu“ und einem „Harmoniemilieu“. Die sozialmoralischen Orientierungen und ästhetischen Präferenzen der deutschen Aussiedler kommen häufig den Merkmalen nahe, die er hauptsächlich beim „Integrationsmilieu“ und beim „Harmoniemilieu“ identifizierte. Siehe: Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M. - New York 1992.