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Die Erinnerung aus Treue zu unserer Geschichte wachhalten

Alt-Erzbischof Robert Zollitsch (rechts) verfolgt die Volkstanzvorführung einer serbischen Schülergruppe aus seinem Geburtsort Filipowa in der Batschka. Foto: Stefan P. Teppert

Die in Stuttgart ansässige „Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen“ – bestehend aus der sudetendeutschen Ackermann-Gemeinde, dem donauschwäbischen St. Gerhardswerk und dem Hilfsbund karpatendeutscher Katholiken – hatte zur 67. Vertriebenenwallfahrt auf den Schönenberg bei Ellwangen Spitzenvertreter aus Kirche und Politik eingeladen. 500 Katholiken besuchten am 7. Juni das mit acht Zelebranten gefeierte Hochamt mit anschließender Glaubenskundgebung an dem herausgehobenen, die Landschaft prägenden Ort.

Als Auftakt zur Wallfahrt gab es am Vortag eine Buchpräsentation. Christine Czaja, älteste Tochter des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Herbert Czaja, stellte den 2014 erschienenen Band „Hochschule und Priesterseminar Königstein“ vor. Das Buch des Tübinger Zeit- und Kirchenhistorikers Prof. Dr. Rainer Bendel arbeitet die prägende Rolle und fundamentale Bedeutung Königsteins als Mutterhaus und kirchliche Heimat für viele Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg heraus und ist ein aufwändig recherchiertes Standardwerk zur Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche, zur Rekrutierung und Ausbildung des Priesternachwuchses und damit zur Integrationsgeschichte der Vertriebenen in (West-)Deutschland.

Vor dem Portal der Wallfahrtskirche begrüßte am Sonntagmorgen Ellwangens Oberbürgermeister Karl Hilsenbeck die versammelten Wallfahrer, wobei die Trachten- und Fahnenträger ein Blickfang waren. Die Heimatvertriebenen hätten durch ihr regelmäßiges Erscheinen der Stadt immer neue Impulse verliehen, so Hilsenbeck. In der beliebten Wallfahrtskirche „Unsere Liebe Frau“, einem Juwel barocker Baukunst, eröffnete Dekan Matthias Koschar aus Tuttlingen mit Hauptzelebrant Alt-Erzbischof Robert Zollitsch und sechs weiteren Geistlichen die Eucharistiefeier. Gott verdichte sich an bestimmten Orten – ihn in der Welt zu spüren sei der Sinn von Wallfahrten, sagte der Bischöfliche Beauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Einen „faszinierenden Festsaal Gottes“ nannte Zollitsch in seiner Predigt die Kirche auf dem Schönenberg, sie lenke den Blick über diese Welt hinaus auf die Herrlichkeit des Himmels. Nach allen entsetzlichen Leiden, die gerade die Heimatvertriebenen am Ende des Zweiten Weltkriegs zu erdulden hatten, sei es keineswegs selbstverständlich gewesen, dass sie den Glauben nicht verloren, sondern die Nähe Gottes suchten, Maria als mächtige Fürsprecherin verehrten und zu Wallfahrten aufbrachen. Deren Zweck bestehe nicht allein im Gottesdienst, sondern auch in der Pflege der Gemeinschaft untereinander sowie der Erinnerung, denn mit ihrem Versiegen wäre zugleich der Quell von Anteilnahme und Zuwendung entschwunden. Wir halten die Erinnerung nicht aus einem Gefühl der Rache heraus und auch nicht aus falscher Nostalgie wach, betonte Zollitsch. „Wir tun dies nicht als Ewig-Gestrige. Wir tun dies aus Treue zu unserer Geschichte. Wir tun dies, weil wir dazu beitragen wollen, dass solches Unrecht und solch unmenschliche, menschenverachtende Vertreibungen in Europa nie mehr geschehen.“

Der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz wies auf den Weitblick der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ von 1950 hin, die von den katholischen Vertriebenenverbänden ausgegangen war. Mit ihrem Verzicht auf Rache und Vergeltung, ihrem Blick auf ein vereintes Europa sei sie ihrer Zeit weit voraus gewesen. Dank der europäischen Einigung dürften wir die längste Friedensperiode unseres Kontinents erleben. Diese Geschichte von Versöhnung und Frieden fortzuschreiben, sei Auftrag gerade der Vertriebenen und ihrer Nachkommen. Zollitsch mahnte, nicht europamüde zu werden. Ausgerechnet Franziskus, der Papst aus Südamerika, habe eindringlich darauf hingewiesen, was wir an Europa haben. Es sei ein „kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit“, ein „Vorbild-Kontinent“ und ein „Sehnsuchtsort der Welt“, erwachsen „aus der fortwährenden Begegnung zwischen Himmel und Erde“. Siebzig Jahre nach der großen Vertreibungswelle klopfen abermals Tausende heimatloser Menschen bei uns an. „Ich bin dankbar“, sagte Zollitsch, „dass der Großteil der deutschen Bevölkerung offen ist für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Wir entsprechen damit als Christen nicht zuletzt dem Auftrag Jesu.“

„Jeder muss seinen Glauben frei leben dürfen“, verlangte Volker Kauder, der von Donauschwaben aus Jugoslawien abstammende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, als Redner der Glaubenskund-gebung, eine Forderung, die er bereits früher erhoben und auch im Deutschen Bundestag zum Thema gemacht hatte. Europa bedeute nicht nur gemeinsame Währung, sondern sei eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft, geprägt durch die christlich-jüdische Tradition. Religionsfreiheit in unserem Land heiße auch, dass die Juden Synagogen und die Muslime Moscheen bauen dürfen. Was in ihnen gepredigt wird, dürfe allerdings nicht gegen unsere Verfassung verstoßen, so Kauder. Das zentrale Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit beanspruche seine Gültigkeit auch außerhalb Europas. In vielen Ländern sei es aber darum schlecht bestellt. Kauder erwähnte in diesem Zusammenhang die Christenverfolgungen in verschiedenen asiatischen und afrikanischen Staaten. Weil Christen die weltweit am stärksten verfolgte Religionsgruppe sind, sollte es für uns, die wir in Freiheit leben, Verpflichtung sein, uns für diese bedrängten Menschen einzusetzen.
Nirgendwo gebe es Freiheit, wo es keine Religionsfreiheit gibt, sagte der profilierte Bundestagsabgeordnete. Zutiefst verurteilte er Repressionen, Gräueltaten und Vertreibungen durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Aber ein bisschen von der Glaubensstärke der Christen und Jesiden in Mossul täte der „Glaubenslaschheit“ in Deutschland gut, fügte er hinzu. Er habe keine Sorge, dass uns eine Islamisierung unmittelbar bevorstehe, sondern fürchte vielmehr die zunehmende Entchristianisierung in unserem Land.

Die Wallfahrt, musikalisch vom Musikverein Rattstadt vor dem Exerzitienhaus eröffnet, vom Stuttgarter Chor der Banater Schwaben unter Leitung von Hildegard Mojem unter anderem mit einer Messe von Michael Haydn festlich begleitet, fand danach im Freien ihre Fortsetzung. Zur sichtlichen Freude von Robert Zollitsch führte eine Schülertanzgruppe serbische Volkstänze vor. Die Jugendlichen waren mit ihren Begleitern aus Filipowa (heute Bački Gračać), dem Geburtsort von Zollitsch, gekommen.

Nach dem Mittagessen konnten die Pilger ein Podiumsgespräch zwischen dem Volksvertreter Kauder und dem Kirchenmann Zollitsch zum Thema „Damit Fremde Heimat finden“ besuchen und Fragen stellen. Offenes Singen in der Kirche leitete dann über zu einer Marienandacht, deren Schriftlesung und Ansprache der Geistliche Beirat des St. Gerhards-Werkes, Pfarrer Peter Zillich, übernahm. Wie alljährlich klang die Wallfahrt mit Lobgesängen aus.