Nachruf auf unsere Moritzfelder Lehrerin Christine Ludwig: Bestürzt und betroffen erfuhren wir Moritzfelder, dass unsere ehemalige Lehrerin Christine Ludwig, geb. Wolf, am 7. November 2023 von uns gegangen ist. Die Nachricht machte die Runde. Sätze wie „ich hab ihr viel zu verdanken, oder: „ich han se gere g’hat“, zeugen von ihrer einzigartigen Persönlichkeit. Was in der Traueranzeige ihrer Familie stand, empfinden wir auch so: „Ein großes und gütiges Herz hat überraschend und viel zu früh aufgehört zu schlagen.“
Am 1. Juli 1938 wurde Christine Wolf in Temeswar geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte und zur Schule ging. In Klausenburg besuchte sie die Hochschule und studierte Romanistik und Psychologie. Nach Beendigung der Hochschule wurde sie 1961 nach Șoșdea eingeteilt, ein kleines rumänisches Dorf neben Moritzfeld. Durch eine glückliche Fügung des Schicksals wechselte sie nach ein paar Wochen nach Moritzfeld und hat es nie bereut. „Sie hat in den schönsten 16 Jahren ihres Lebens ihre ganze Fantasie, Kreativität und Kraft für die Moritzfelder Schule eingesetzt.“, sagt ihr Mann im Rückblick. Ihr Ziel war stets, die deutsche Sprache und Kultur für die Kinder im Dorf zu erhalten. Die junge Lehrerein fand in Moritzfeld ein gutes Fundament vor, das die Grundschullehrerin Anna Dasinger gelegt hatte. Darauf konnte sie mit ihren neuen Ideen und pädagogischen Fähigkeiten aufbauen. Sie schüttete ihr ganzes Füllhorn von Wissen und Engagement über die Moritzfelder Schüler aus. Christa Ludwig unterrichtete die Fächer Rumänisch und Bildende Kunst, als Klassenlehrerin hinterließ sie in den Herzen ihrer Schülerinnen und Schüler ihre eigene Prägung.
Ihre Unterrichtsstunden gestaltete sie anschaulich und interessant. Geduldig vermittelte sie uns die rumänische Grammatik und wenn sie ärgerlich wurde, sagte sie: „Ich gebe euch alles mură-n gură, aber kauen müsst ihr selber!“ Durch ihre Begeisterung weckte Frau Ludwig auch in uns die Liebe zur Literatur – sie stellte uns aus ihrer gut ausgestatteten Bibliothek großzügig Bücher zur Verfügung. Durch ihren Unterricht waren die Schüler aus Moritzfeld bestens für die Prüfungen an den Lyzeen vorbereitet. Inspiriert von ihren Lehrmethoden haben sich viele ihrer Schülerinnen für einen pädagogischen Beruf entschieden, ihr Vorbild wirkte weiter.
Im Kunstunterricht förderte sie unsere Fantasie und den Sinn für Ästhetik. Mit viel Hingabe brachte sie uns die ganze Palette der Kunsttechniken bei, vom Aquarell bis zum Stilleben. Ihre Kreativität und Handfertigkeit setzte sie fächerübergreifend ein und lehrte uns, dekorative Dinge anzufertigen. Eine herausfordernde Gemeinschaftsarbeit war die komplette Herstellung einer schwäbischen Tracht im Puppenformat. Zum Schluss bekam die Puppe einen Namen und einen Dauerplatz als Zuschauerin im Klassenzimmer.
Unvergessen bleiben ihre äußerst spannenden Klassenstunden zu umfassenden Themen aller Art. Allgemeinbildung war ihr Anliegen, deshalb kamen Gedichte und Geschichten, Lebensweisheiten und Sprüche zum Einsatz. Sie vermittelte uns Werte und Empathie, Esskultur und Benimmregeln, aber auch Praktisches und Nützliches für den Alltag. Ihr Motto: „Neugierig sein, lernen, lesen“ lebte sie uns stets vor.
Doch sie lehrte uns auch, über den „Heft-Rand“ hinauszuschauen. Da sie selber gern reiste, organisierte sie Schulreisen zu den Sehenswürdigkeiten der Umgebung, in die Orte des Banater Berglands und bis nach Bukarest. Sie sorgte dafür, dass Fahrten nach Hatzfeld und Lenauheim stets mit einem Besuch in den Museen verbunden waren. Eine willkommene Gelegenheit zu reisen, waren auch unsere Schulaufführungen.
Denn eine weitere Herzensangelegenheit von Christa Ludwig war die Bühne, vor allem das Ballett. Sie organisierte Aufführungen mit den Schülern, deren Niveau weit über eine Schülervorstellung hinausging. Die Choreographien waren breit gefächert, vom akrobatischen Fächertanz bis zum schwäbischen Volkstanz. Die Kostüme mussten bis ins Detail stimmen. Dabei half ihr Katharina Thees, die eine private „Hobby-Nähstube“ betrieb und nach ihren Ideen die Kostüme austüftelte. Einfache Stoffe wurden kunstvoll veredelt, gefärbt, besprüht, bemalt, gewalzt oder mit Wandfarbe bearbeitet.
Die Vorliebe für Auftritte und Kostüme bewies Christine Ludwig auch bei der Organisation fantasievoller Maskenbälle.
Ihre musischen Neigungen zeigte Christine Ludwig bei Märchenspielen oder literarisch-musikalischen Montagen auf der Schulbühne. Dadurch wurden immer mehr Eltern angespornt, ihre Kinder in den privaten Musikunterricht der Notre-Dame Schwester Irmgard zu schicken, damit sie im Schülerorchester mitmachen können. Viele beeindruckende Aufführungen mit Theater, Musik und Tanz bleiben uns allen in bester Erinnerung, zum Beispiel das Ballett „An der schönen blauen Donau“ (1965), oder Theateraufführungen wie „Die vier Jahreszeiten“, „Die Puppenfee“ und viele andere. Die Krönung war das Stück „Die Schneekönigin“, dafür musste ein aufwendiges Bühnenbild angefertigt werden. In der Werkstatt des Dorfes wurden die Holz- und Metallbauten dafür hergestellt.
Bei der Umsetzung ihrer Vorhaben war sie stets bedacht, auch die Fähigkeiten und Talente der Eltern einzubinden. Überzeugend hat sie das ganze Dorf am Kulturleben beteiligt und die Gemeinschaft gefördert. So organisierte sie „Bunte Abende“ mit den Erwachsenen und brachte die „Geschichte der Gemeinde Moritzfeld“ in lebenden Bildern zur Aufführung. Auch in den umliegenden Städten, wie Gataia, Liebling, Karansebesch, und auf der Bühne der Temeswarer Oper fanden die kulturellen Darbietungen großen Anklang. Die authentische Wiedergabe der „Moritzfelder Kerweih“ erntete auf der Reschitzaer Freiluftbühne großen Beifall.
Ein besonderes Anliegen war für Christine Ludwig die Pflege des schwäbischen Volksguts. Aufwendige Volkstänze waren der Höhepunkt bei jedem Abschlussfest. Bei der schwäbischen Tracht musste jedes Detail stimmen, von den Riemenschuhen bis zur Gretchenfrisur und dem schwarzen Samtband mit Kreuzchen oder Medaillon. Mit unseren perfekt choreografierten Volkstänzen, die wie am Schnürchen klappten, nahmen wir in Detta am regionalen Wettbewerb teil und wurden trotz starker (rumänischer) Konkurrenz mit dem 1. Preis belohnt.
Dass diese Leistung und Ausdauer auch in die Zukunft wirken würde und wir die Tradition des Volkstanzes nach der Auswanderung fortführen sollten, haben wir damals nicht geahnt. Fünf Trachtenträgerinnen aus Moritzfeld gründeten 1988 die Tanzgruppe des Kreisverbands Esslingen und führten in ihrer Moritzfelder Tracht den ersten Bändertanz beim Landestrachtenfest Göppingen vor. Gleichzeitig gründete Familie Boger auch eine Kindertanzgruppe, was Christine Ludwig mit großer Freude aus der Banater Post erfuhr und sich dabei an ihre Zeit als Lehrerin erinnerte. 1995 hatten wir beim Heimattreffen in Rastatt Gelegenheit, Frau Ludwig die neu gegründete Tanzgruppe der HOG Moritzfeld vorzuführen. Aus Anlass der Gründung der Tanzgruppe stellten wir fest, dass die Tanzfiguren, die uns Frau Ludwig beigebracht hatte, nach 30 Jahren noch alle abrufbar waren. Nach nur fünf Proben konnten zwölf Moritzfelder Paare mit demselben Akkordeonspieler, der uns in Moritzfeld begleitet hat, die Tanzfiguren aus ihrer Schulzeit darbieten. Gerührt und voller Stolz begutachtete Christine Ludwig damals mit Genuss die späten Früchte ihrer Arbeit.
Christine Ludwig hielt mit vielen ehemaligen Schülern eine herzliche Verbindung. Zu Weihnachten und zu Ostern verschickte sie kunstvoll gestaltete Grußkarten mit ergreifenden Texten, die zu Herzen gingen.
Unser 50-jähriges Treffen konnte 2020 wegen Corona nicht stattfinden und so gab es auch kein Wiedersehen mit unserer ehemaligen Lehrerin Christine Ludwig. „Die Wolf kummt“, riefen die Späher, wenn sie sich vor dem Unterricht dem Klassenzimmer näherte. Jetzt kommt sie nicht mehr und is für immer aus unserer Mitte gegangen.
Auf das perfekte und eindrucksvolle „Schlussbild“ einer Tanzchoreographie legte sie bei den Aufführungen immer großen Wert. Möge dieser Nachruf sie uns wie ein gutes „Schlussbild“ stets in Erinnerung rufen.
Im Namen aller Moritzfelder gilt unsere Anteilnahme ihrer Familie.
Stets über den Heft-Rand hinausgeschaut
Verbandsleben Erstellt von Dietlinde und Hans Boger