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Ein überwältigendes Fest

Anlässlich der Jubiläumsfeier wurde nach 30 Jahren wieder ein Kirchweihfest in Neupetsch begangen. Einsender der Fotos: Peter Rieser

Der Bürgermeister der Gemeinde Peciu-Nou Gabriel Drăgan ernannte (v.l.) Elfriede Beck, zweite Vorsitzende der HOG Ulmbach-Neupetsch, die Rechberghauser Bürgermeisterin Claudia Dörner und Peter Rieser, Vorsitzender der HOG Ulmbach-Neupetsch, zu Ehrenbürgern.

Anlässlich der 300-Jahr-Feier der Gemeinde Ulmbach-Neupetsch gestaltete die Grafikerin mit Ulmbacher Wurzeln Iris Ott obiges Bild. Dieses Bild überstrahlte als Banner den Ort und wurde dem Bürgermeister der Gemeinde Peciu-Nou (Neupetsch) als Geschenk für sein Bürgermeisterbüro überreicht. Einen ausführlichen Bericht zu den Feierlichkeiten in Neupetsch finden Sie auf Seite 8 dieser Ausgabe.Grafik: Iris Ott

Sie verblassen nicht, die Erinnerungen an die Zeit in der alten Heimat. Sie werden lediglich vom Alltag in den Hintergrund gedrängt. Gelegentlich aber brechen sie umso heftiger aus und überwältigen uns mit ihrer Wucht. Eine dieser seltenen Gelegenheiten war die Fahrt der HOG Ulmbach-Neupetsch Anfang Juni ins Banat: zur 300-Jahr-Feier nach Neupetsch und zu den Heimattagen der Banater Deutschen in die europäische Kulturhauptstadt Temeswar. 
Der 2. Juni war der Tag der Jubiläen: Gemeinsam mit den inzwischen fast ausschließlich rumänischen Bewohnern der Gemeinde feierten wir 300 Jahre seit der Ankunft der ersten deutschen Siedler, 690 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung von „Uybech“ in den Archiven des Vatikans und 160 Jahre Neupetscher Postamt. Den absoluten Glanz verlieh diesem Festtag jedoch das traditionelle Kirchweihfest, das wir nach über 30 Jahren Abstinenz wieder in der alten Heimat feiern durften. Es war ein überwältigendes Fest – sowohl für die über 200 aus Deutschland angereisten ehemaligen Ulmbacher als auch für die fast 2000 Gäste aus der Bevölkerung der heutigen rumänischen Gemeinde Peciu-Nou. 
Doch vor jeder Feier stand schon immer die Arbeit – auch bei unseren Ahnen. Deren Arbeit, ihrer Opfer und ihrer Leiden wurde gedacht bei der Eröffnung der Feierlichkeiten auf dem katholischen Friedhof unserer Heimatgemeinde. „Ich bin mir unschlüssig, ob wir feiern oder gedenken sollen. Feiern, dass wir mit Stolz auf drei Jahrhunderte Ujbetscher Tradition zurückblicken dürfen oder gedenken, dass diese Tradition noch vor der Jahrtausendwende ihr Ende gefunden hat. Im Zweifelsfall tun wir eben beides – wozu ich euch alle herzlich einlade.“ Bei flirrender Hitze hielt Peter Rieser seine ergreifende Ansprache. Gedanken schweiften in die Vergangenheit und ließen uns das Vermächtnis unserer Ahnen mit Respekt, Wehmut und Dankbarkeit verinnerlichen. Beeindruckend untermalt wurden die Worte durch die Klänge der „Original Banater Schwabenkapelle“ mit Kapellmeister Peter Pohl. Das Volkslied „Die Donau fließt“ aus der Zeit der Einwanderung ins Banat hatte deren musikalischer Leiter Mathias Mittler hervorragend für Blaskapelle arrangiert. Das wiederholt eingebaute Zwischenspiel betonte die Tragik des Volksliedes und fand den Weg zu Herz und Seele der Zuhörer: „Mein Schatz hat auch sein Glück probiert, / doch nicht zum Zeitvertreib: / ‚Und eh’ der Holler ‘s drittmal blüht, /  so hol ich dich als Weib!‘ / Und sieben, sieben lange Jahr, / die sind jetzt nun hinab, / ich wollt, ich wär‘ bei meinem Schatz, / doch niemand weiß – sein Grab.“  Nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick über 300 Jahre schloss sich der Kreis mit den von Landsmann Erwin Kupi auf einer Tafel am Friedhofseingang verfassten Verse: zu uns‘ren ahnen/ziehen wir/verlassen euch/wie ihr auch damals/eure väter/zerstreuen uns/wie einst das korn/aus euren händen/um das zu suchen/was ihr hier gefunden. 
Peter Rieser schlug auch eine Brücke zur rumänischen Literatur: „Unsere Zukunft betreffend, will ich noch eine Parallele zu einem meiner rumänischen Lieblingsgedichte aus der Schulzeit ziehen, ‚Moartea căprioarei’ von Nicolae Labiș. Mitten in einer Hungersnot nimmt der Vater das Kind mit auf die Jagd und erlegt ein Rehkitz. Das Kind weint vor Mitleid mit dem armen Tier. Doch der Hunger ist groß. Labiș beschreibt den Zwiespalt mit einfachen Worten: Plâng. Mănânc și plâng. Mănânc! Das heißt: Ich weine. Ich esse und weine. Ich esse. Und so ähnlich wird es auch uns ergehen: Wir werden um die alte Heimat weinen und gleichzeitig den durch unsere Arbeit aufgebauten Wohlstand genießen. Wir werden Weinen. Genießen und weinen. Genießen!“ 
Abschließend legten die Schwestern Amina und Melissa Milles einen Kranz am Kriegerdenkmal nieder. Auch bei der Gedenktafel an der Wand der Friedhofskapelle wurde an die Deportierten und Verschleppten gedacht. Vincent de Diago (7) zündete eine Kerze an. Sein Uropa ist im Bărăgan gestorben, sein Opa dort geboren. Welch eine gedankliche Zeitreise! Nach dem Ende der Gedenkfeier verweilten noch viele Gäste auf dem von Vasile Cădărean im Auftrag unserer HOG vorbildlich gepflegten Friedhof und besuchten die Gräber ihrer Verwandten und Vorfahren. 
Auf dem Festplatz zwischen Schule und Kulturhaus lockte bereits der Duft der legendären „mici“. Für die Trachtenträger standen einige Räume im Schulgebäude zum Ankleiden zur Verfügung. Astrid Weisz und Adi Ardelean von Radio Temeswar durften als prominente „Zaungäste“ ihre gewieften Reporterblicke in die Umzugsräume werfen und der „Kirchweihmutter“ Elfriede Beck kompetente Auskünfte über die Ulmbacher Kirchweihtracht entlocken. Davor hatten sie vor dem Kriegerdenkmal ein Interview mit dem HOG-Vorsitzenden Peter Rieser geführt.
Nach der Mittagspause empfing Bürgermeister Gabriel Drăgan die Ehrengäste vor dem Rathaus: Bürgermeisterin Claudia Dörner aus Rechberghausen, Regina Lochner, die deutsche Konsulin in Temeswar, geistliche Würdenträger und Priester der örtlichen Konfessionen und aus dem Bărăgan, Gemeinderäte und Medienvertreter.
Als erstes übergab Peter Rieser, Vorsitzender der HOG Ulmbach-Neupetsch, Bürgermeister Gabriel Drăgan den bereits im Mai seitens der Heimatortsgemeinschaft vor dem Rathaus gesteckten traditionellen Maibaum. Der Bürgermeister bedankte sich mit einem obligatorischen Umtrunk für Ehrengäste und Musikanten. Es folgten kurze Ansprachen, in denen die Konsulin Regine Lochner, Peter Rieser, Claudia Dörner und Gabriel Drăgan ihre Genugtuung über die gute Zusammenarbeit zwischen den ehemaligen und den heutigen Bewohnern sowie zwischen den Rathäusern von Ulmbach /Peciu-Nou und Rechberghausen zum Ausdruck brachten. Man lobte die Organisatoren und äußerte die Hoffnung auf weitere gemeinsame Veranstaltungen in den kommenden Jahren. Besonders herzlich wurden die Trachtenträger, die Musikkapelle und die vielen deutschen Gäste begrüßt. 
Das Vortänzerpaar Tina und Michael Beck lud alle Besucher zum Jubiläumskirchweihfest ein. Zum Abschluss des festlichen Empfangs erklang ein Marsch, zu dessen Klängen Trachtenpaare und Gäste wie einst vor Jahren geschlossen zur katholischen Kirche zogen. Als sich Kirchenglocken mit der Marschmusik vereinten, wurden die ersten versteckten Tränen weggewischt. 
Die Ulmbacher Kirche füllte sich bis zum letzten Platz. Deutsche, Rumänen und Serben saßen eng aneinandergereiht in den Kirchenbänken. Im Altarraum hatten die Pfarrer unterschiedlicher Konfessionen ihre Plätze eingenommen. Zelebriert wurde der Festgottesdienst von Msgr. Johann Dirschl, Generalvikar der Diözese Temeswar und ehemaliger Pfarrer von Neupetsch, unter Assistenz seiner Mitbrüder, darunter auch der derzeitige Neupetscher Seelsorger, Pfarrer Simon Ciubotaru. Bemerkenswert die Anwesenheit der drei orthodoxen Pfarrer aus dem entfernten Roseți, einem der ehemaligen Verschleppungsorte unserer Landsleute im Bărăgan. Die Kirchweihpaare umrahmten mit ihren Ulmbacher Trachten malerisch den Altarraum. Die Fürbitten wurden in deutscher und rumänischer Sprache von Karin Rieser, Tina Beck, Helga Merstorf und Elfriede Beck vorgetragen. Der Tenor der Fürbitten war die Verbundenheit mit der Heimat. Und die Stimmen dieser im Laufe der letzten Jahrzehnte gewandelten Heimat wurden uns in den Gebeten und Ansprachen der anwesenden Geistlichen der verschiedenen Konfessionen zuteil. Sie brachten ihre Wertschätzung und Bewunderung für unser jahrhundertelanges Wirken auf diesem gesegneten Fleckchen Erde zum Ausdruck.
Für eine Überraschung sorgte die Bläsergruppe unter der Leitung von Mathias Mittler: keine Orgelklänge, kein Gesang. Die Gruber-Messe, die beim Kirchweih-Festgottesdienst zur Tradition geworden ist, erklang zum ersten Mal instrumental. 
Mit dem traditionellen „Friedensfürst“ verabschiedeten unsere Musiker die Festgemeinde und geleiteten sie anschließend mit zünftiger Marschmusik zum Festplatz in der Ortsmitte. Die Kirchweihrufe gipfelten schließlich in einem der Mittagshitze trotzenden „Ecksteck“. Bei dem im Kreis getanzten Reigen mit Ähnlichkeit zur rumänischen Hora gesellten sich auch viele Rumänen und Serben zum traditionellen Kirchweihspaß. „Obwohl es sich um eine von der deutschen Gemeinschaft geprägten Feier handelte, wollten wir, dass es eine Veranstaltung für alle Bürger unserer Gemeinde ist, unabhängig von ihrer ethnischen, religiösen oder politischen Zugehörigkeit. Aus demselben Grund enthielt das Programm deutsche, serbische und rumänische Musik, denn die heutigen Einwohner sind stolz darauf, die Erinnerung an ihre deutschen Vorgänger weiterzutragen“, betonte die Gemeindeleitung.  
Dass wir unsere Traditionen und unsere banatschwäbische Kultur unseren vor 300 Jahren angesiedelten Vorfahren zu verdanken haben, wird durch die Gedenktafel an der Hauswand des Kulturheims verdeutlicht. Diese von der Gemeinde Peciu Nou gespendete Tafel wurde von der Konsulin Regina Lochner, dem Bürgermeister Gabriel Drăgan und vom Vorsitzenden der HOG Ulmbach Peter Rieser feierlich enthüllt.
Im Inneren des Kulturheims war zur Feier des Tages eine historische Ausstellung mit alten Fotos, Kleidungsstücken und Haushaltsgegenständen zu besichtigen. Der örtliche Lehrer Ovidiu Dorobanțu stellte Bilder aus einem sehr persönlichen Projekt „Damals und heute“ aus, Fotos desselben Ortes in der Vergangenheit und Gegenwart. In Kopie wurde der Vermerk aus dem päpstlichen Zehntregister über die Zahlung der Abgabe durch den Priester Nikolaus im Jahr 1333 ausgestellt – die erste Erwähnung der Ortschaft Neupetsch. Anlässlich der Jubiläen wurde eine Gedenkmedaille herausgegeben, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen war. Neben der Medaille gab es zwei Gedenkbriefumschläge – einen rumänischen und einen deutschen – mit demselben Motiv und die dazugehörenden Briefmarken. Eine besondere Ehre für Organisatoren und Besucher war der Eintrag der Temeswarer Konsulin Regina Lochner in das Gästebuch der Ausstellung.
Am Nachmittag hatte Bürgermeister Gabriel Drăgan noch eine besondere Überraschung parat: Die Rechberghauser Bürgermeisterin Claudia Dörner, der HOG-Vorsitzende Peter Rieser und die 2. Vorsitzende Elfriede Beck wurden wegen ihrer Verdienste um das Bekanntmachen der Gemeinde im Ausland und für die Zusammenarbeit mit der heutigen Bürgerschaft und Gemeindeverwaltung zu Ehrenbürgern der Gemeinde Peciu Nou ernannt.  Der Rechberghauser Altbürgermeister Reiner Ruf ist bereits seit 2013 Ehrenbürger der Gemeinde Peciu-Nou. 
Nicht fehlen durfte natürlich das Kernstück eines jeden Kirchweihfestes: der Ulmbacher Kirchweihtanz. Auch die Ehrentänze kamen gut an. „Hut und Tichl“ gingen an den Hausherrn, Bürgermeister Gabriel Drăgan, und dessen Partnerin. 
Die Bewirtung durch die einheimische Bevölkerung war ebenso wie der gesamte Ablauf der Feierlichkeiten hervorragend organisiert. „Brot und Salz“ sowie der traditionelle „cozonac“ unterstrichen die Gastfreundschaft. Wie es der Zufall wollte, konnte Bürgermeister Drăgan an diesem Festtag auch seinen Geburtstag mit Gästen aus nah und fern ausgiebig feiern. Es fehlte an nichts! An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle rumänischen und serbischen Freunde, an Bürgermeister und Gemeinderat und an Dorin Imbrescu, den Kümmerer im Hintergrund, für den überaus großzügigen Empfang, den sie uns ehemaligen Mitbürgern bereitet haben! Vielen Dank auch im Namen der Rechberghäuser Bürgermeisterin Claudia Dörner, die bereits am Vortag während einer Führung durch Bürgermeister Gabriel Drăgan Gelegenheit hatte, die aufstrebende Gemeinde Peciu Nou, ihre Bürger und ihre Umgebung kennenzulernen.
Eine Hommage an unsere Ulmbacher Tradition brachten die rumänischen und serbischen Kinder- und Jugendtanzgruppen mit ihrem bunten Programm. Für die Kapelle gab es viel Lob und Applaus von unseren Landsleuten, aber auch von unseren ehemaligen Mitbürgern, die nach über 30 Jahren endlich wieder bei einem Kirchweihfest mitfeiern konnten.
In den folgenden Tagen beteiligte sich die Gemeinschaft der Ulmbacher in Temeswar zwei Tage lang mit überwältigendem Erfolg an den Großveranstaltungen im Rahmen der Heimattage der Banater Deutschen mit dem Motto: Zusammen in der europäischen Kulturhauptstadt. Die „Original Banater Schwabenkapelle“ spielte sich im Jagdwald in die Herzen der begeisterten Zuschauer und begleitete am Sonntag im Rahmen des großen Festzugs der Trachtenpaare die erfreulich große Gruppe der Ulmbacher. Die zahleichen blauen Ulmbach-T-Shirts waren der Ersatz für die am Vortag durch Regen und Morast unansehnlich gewordenen Trachten. 
Wir bedanken uns für die überraschend große Teilnahme unserer Landsleute an den Festlichkeiten in Ulmbach und Temeswar sowie bei allen Helfern und Trachtenträgern auch aus den Reihen unserer Familienangehörigen – die diese unvergessliche Reise erst möglich gemacht haben. Um nur einige zu nennen: Raphael Stuhl als Administrator der WhatsApp-Gruppe, Hans Rieser für die Foto-Video-Dokumentation, Rainer Wachsmann für die Bereitstellung der großen Trachtentransportkartons, Markus Wachsmann für die tragbare Verstärkeranlage. Besonders großzügig zeigten sich unsere Sponsorenfamilien Henriette und Erwin Kupi sowie Christine und Richard Seeler. Herzlichen Dank auch der Neupetscherin Simona Mihai für den Blumenschmuck und für ihre Teilnahme am Kirchweihfest in der Ulmbacher Mädchentracht. Dank auch an das Kulturwerk der Banater Schwaben in Bayern, das diese Veranstaltung gefördert hat. Die emotionsgeladene Jubiläumsfahrt wird allen Ulmbachern und unseren Gästen in bester Erinnerung bleiben. 
 

PS: Unsere Heimatortsgemeinschaft braucht einen neuen Vorstand mit möglichst jungen Mitgliedern. Der bisherige Vorstand stellt sich nicht mehr zur Wiederwahl und es wäre jammerschade, wenn unsere jahrzehntelang hervorragend funktionierende HOG von der landsmannschaftlichen Bildfläche verschwinden würde. Deshalb die eindringliche Bitte: Lasst es nicht so weit kommen und kandidiert für den neuen Vorstand, der in der Hauptversammlung vom 12. November, 14 Uhr, im Landgasthof zum Roten Ochsen in Rechberghausen gewählt werden soll.