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Heimat trägt man in sich

Anlässlich des 125. Geburtstages des Dichters Peter Barth wurde in seinem Heimatort Blumenthal eine Gedenkplatte angebracht.

Wie bei jeder Kirchweih segnet Pfarrer Ioan Cădărean auch in Blumenthal den Kirchweihstrauß. Links im Bild: Peter Trimper aus Charlottenburg Fotos: Astrid Weisz

Ein großer Reisebus, viele PKWs mit deutschem oder österreichischem Kennzeichen am Park vor der Kirche lassen vermuten, dass die deutschen Bewohner von Blumenthal wieder da sind. Vor der renovierten Bartholomäus-Kirche wird ein großer Rosmareinstrauß mit Bändern geschmückt. 
Die Trachtenpaare der Erwachsenentanzgruppe „Banater Kranz“ bleiben noch im Schatten der großen Pergola, denn das Thermometer zeigt schon kurz nach elf Uhr erbarmungslose 35 Grad. Zum Gottesdienst ruft das Kirchengeläut und es wird festlich in die Kirche eingezogen mit Kruzifix, dem Pfarrer Ioan Cădărean aus Lippa, der für die Gemeinde und weitere acht zuständig ist, dann die Kirchweihtrachtenpaare, allen voran ein jugendliches Paar von den Banater Rosmarein mit dem hergerichteten Rosmareinstrauß, danach folgen die Erwachsenen. „Ein Haus voll Glorie schauet“ wird als traditionelles Kirchweihlied von den Blumenthaler Musikanten auf Trompeten und Akkordeon angestimmt. Die Kirche wird voll, die Bänke sind restlos besetzt. Das gab es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr in der Temescher Heckengemeinde.
Die Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Blumenthal-Fibisch, Dorothea Schlimmer, ist umtriebig zu Gange, überwältigt von der zahlreichen Festgemeinschaft, und schätzt, dass rund einhundert Gäste aus dem Ausland gekommen sind. Hinzu kommen die Katholiken aus den Nachbargemeinden, Fibisch, Königshof, Lippa und sogar Peter Trimper aus Charlottenburg ist da, der einzige und letzte Schwabe in dem im Kreis angelegten Dorf. Laut Pfarrer Cădărean gibt es in Blumenthal selbst nur noch fünf bis sechs katholische Familien. Es gibt aber doppelten Anlass zum Feiern und zur Reise in die „alte Heimat“ oder in die Heimat der Eltern und Großeltern, denn auch junge Erwachsene und Kinder sind mitgekommen: das 250. Ansiedlungsjubiläum, das 2020 fällig gewesen wäre, und der 125. Geburtstag des Dichters und Apothekers Peter Barth, der an dem Tag fast noch mehr in den Mittelpunkt gestellt wird als das Kirchweihfest.
„Dieser Ort soll sich an einem schönen, sonnenbeschienenen, sanften Abhang vor einer ausgedehnten Wiese befunden haben. Sie ist den Blumenthalern als das Großtal bekannt. Das bezaubernde Panorama dieser üppig blühenden Blumenwiese soll den Ausschlag gegeben haben, das Dorf Blumenthal zu nennen,“ heißt es in der Ortsgeschichte auf der Webseite der Heimatortgemeinschaft der Blumenthaler und Fibischer. Allerdings soll sich schon in den ersten Ansiedlungsmonaten der Abhang wegen des lehmigen Bodens und der kalten Winde als unbewohnbar erwiesen haben, weshalb man auf die Anhöhe zog, auf der bis heute die Gemeinde zwischen Temeswar und Lippa liegt. Der Name wurde aber beibehalten.
Mit einem deutsch-rumänischen Gottesdienst, bei dem der Pfarrer von der Kanzel predigt, dass ein Ort nie zur Heimat wird ohne den Glauben und das Gottvertrauen, die mechanische Orgel gespielt von Horst Metzler, die getreten werden muss, damit Luft ins Gebälge und die Pfeifen kommt, nebst den Musikanten, die für den festlichen und zugleich nostalgischen Rahmen sorgen, gilt es zu danken und zu gedenken. Karin Metzler bringt es mit dem Ewigkeitsgedicht „Heimat“ von Ursula Wulf nach der Kommunion auf den Punkt: „Wir Menschen sind von Gott auf Heimat angelegt. Auf Gemeinschaft, Geborgenheit, die das Herz bewegt.“
Als Dank und zum Festanlass verteilt Dorothea Schlimmer kleine Gastgeschenke an die Obrigkeiten, die in die Organisation involviert waren: Kaffee, Schokolade und eine eigens geprägte Jubiläumsmedaille bekommen der Blumenthaler Bürgermeister Ioan Lupu, der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat, Dr. Johann Fernbach, sein Stellvertreter und Vorsitzender der Banater Berglanddeutschen, Erwin Josef Ţigla, der im Rahmen der Bücherreihe des Kultur- und Erwachsenenbildungsvereins „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“ schon 2007 die Herausgabe eines Gedichtbandes von Peter Barth mit rumänischen Übersetzungen und Scherenschnitten von Norbert Francisc Taugner aus Ferdinandsberg/Oţelu Roşu (hier wirkte Barth über mehrere Jahre als Apotheker) förderte, Pfarrer Ioan Cădărean, Diözesanarchivar Dr. Claudiu Călin und im Namen der Temeswarer Trachtengruppe Daniela Malanciuc (sowie die Verfasserin). Für die anderen Teilnehmer gibt es je einen „Schokoladen-Blumentaler“. 
In ihrer Dankesrede unterstreicht Dorothea Schlimmer: „Die Kirche ist für uns eine Heimat geworden, die Identität stiftet und die Menschen für ein ganzes Leben zusammenbindet. In dieser Kirche haben viele von uns hier Anwesenden die Ehe geschlossen, hunderte von Kindern wurden getauft, haben die Kommunion und die Firmung empfangen. Unvergessen bleiben für uns die Züge der Kirchweihpaare mit ihrem Rosmareinstrauß, die jedes Jahr am Kirchweihsonntag der Heimatkirche zu neuem Glanz verhalfen. Für uns ist Blumenthal und Fibisch ein Teil unseres Lebens gewesen, den wir nicht vergessen werden, der für immer einen Platz in unserem Herzen einnimmt. Denn nur der, der seine Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart begreifen und die Zukunft gestalten. Heimat ist Leben. Dieses Leben leben wir zurzeit in der Heimat unserer Ahnen, die wieder unsere Heimat geworden ist. Wir haben in Deutschland und Österreich unseren Platz gefunden. Unsere Kinder und Enkelkinder kennen leider unseren Heimatort Blumenthal nur mehr aus Erzählungen. Heimat ist kein geografischer Begriff. Man trägt sie in sich.“
Ein besonders ergreifender Moment spielt sich sodann ab: Dr. Mathias Plack, einst Arzt in Blumenthal, trägt aus dem abwechslungsreichen, oft nicht leichten Leben seines Freundes Peter Barth vor. Der Apotheker und Dichter sei der bedeutendste Sohn der Gemeinde. Die deutsche Sprache, seine Muttersprache, sei für ihn das wichtigste Bindeglied der Zusammengehörigkeit einer Gemeinschaft, die er immer wieder gepriesen haben soll, so Dr. Plack. „Peter Barth schrieb aus einem inneren Drang seine Gedichte, nicht auf Geheiß oder politisch zweckdienlich. Er hat sich nie politisch betätigt. So entstanden manchmal bis vier Gedichte an einem Tag, mehrere Tausend Gedichte im Laufe der Zeit. Die Vermarktung seiner Werke blieb ihm fremd. Zu Lebzeiten sind nur vier Gedichtbände erschienen und nach seinem Tod vier Bände, herausgegeben von seinen Verehrern.“ Der Vorsitzende der Banater Forums Dr. Johann Fernbach versprach, sich in Zukunft für die Herausgabe einer Peter-Barth-Anthologie einzusetzen.
Für alle ehemaligen Russlanddeportierten wird das Lied „Heimweh“ von Erwin Altenbach angestimmt. Zum Schluss der Messe segnet der Pfarrer noch traditionell den Rosmareinstrauß. Nach dem Schluss-Segen durchdringt die Gemeinschaft das traditionelle „Großer Gott wir loben dich“, das Lied „Glocken der Heimat“ hätte Erwin Altenbach gerne noch gesungen, erzählt er im Nachhinein. Zusammen mit seinem Bruder Josef machen sie schon seit früher Kindheit Musik, zu einer Zeit sogar in konkurrierenden Blaskapellen im Ort.
Die Heimatortsgemeinschaft hat mithilfe von Spenden und der finanziellen Unterstützung der Nachkommen des Dichters eine Gedenkplatte bei dem aus Perjamosch stammenden Bildhauer Walter Andreas Kirchner in Pforzheim in Auftrag gegeben, die an dem Festtag auf der Rückseite der Dreifaltigkeitssäule vor der Kirche enthüllt wird. Für diesen Moment hat sich die Schwiegertochter Peter Barths besonders vorbereitet und hat für die Blumenthaler, die heutigen Bewohner, eine klare Botschaft: Man solle seine ewige Ruhestätte auf dem Blumenthaler Friedhof in Ehren halten und, so oft man an der Gedenkplatte vorbeikäme, sagen: „Peter, du bist einer von uns“.
Zur Kirchweih wird nach dem Zeremoniell aufgespielt. Die Gruppe „Banater Kranz“ führt Tänze zunächst in Trachten und dann der Hitze wegen in Dirndln vor. Die Blumenthaler selbst haben höchstens festliche Dirndl angezogen. Trotzdem lassen sie es sich nicht nehmen, mit dem Strauß aufzumarschieren und zu rufen „Buwe, was han mer heit? – Kerweih!!!“
Der Bürgermeister Ioan Lupu, der sich mit den Gästen auf Deutsch und Schwowisch fließend unterhält, spendiert das Mittagessen, die Kirchengemeinde sorgt für Getränke und Kuchen und auch Kipfl werden genüsslich verzehrt. Trotz brütender Hitze wird getanzt und musiziert, Polka, Walzer und Schlager stehen auf dem Programm. 
Viele Blumenthaler sind schon lange nicht mehr im Heimatort gewesen und doch erkennen sie die Bewohner oder werden freudig erkannt. Es wird viel „verzählt“ und „gschwätzt“, hier und da sogar gejauchzt. Ein Kirchweihfest in Blumenthal, das hat es lange nicht mehr gegeben. Dass es zu einer neuen Tradition kommt, bezweifelt Bürgermeister Lupu ehrlich. Doch in freudiger Erinnerung wird dieser Tag auf jeden Fall bleiben.