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Fußspuren, Wurzeln und Identität. Kulturtag in Augsburg.

Gruppenfoto mit Referenten, Ehrengästen und Vorstand: vorne (v.l.): Luzian Geier, Kreisvorsitzende Dr. Hella Gerber, Halrun Reinholz, Sylvia Stierstorfer, MdL, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, Bezirksrätin Annemarie Probst; hinten (v.l.): Otmar Metzenrath, Franz Gerber, Dr. Walter Engel, Marius Koity, Andreas Jäckel, MdL, BdV Bezirksvorsitzender Schwaben, Bürgermeister Bernd Kränzle, Landesvorsitzender Harald Schlapansky und Erwin Lehretter. Foto: Maria & Peter Bergmann

Zum dritten Mal veranstaltete der Kreisverband Augsburg der Banater Schwaben einen Kulturtag. Die ersten zwei der Reihe, die dann von Corona unterbrochen wurde, waren Banater „Fußspuren“ bzw. den Wurzeln gewidmet, der jüngste vom 17. Juni hinterfragte die banatdeutsche Identität und präsentierte Persönlichkeiten, die Stützen dieses Zusammengehens und der Identitätsfestigung über die Zeiten waren.

Zur Einführung in das Thema wurden den Teilnehmern im Foyer des Hauses Sankt Ulrich Bilddokumentationen mit erklärenden Texten zur Banater Geschichte gezeigt, ausgehend von Alt-Temeswar bis in die Gegenwart. Zur Eröffnung war viel politische Prominenz gekommen, darunter die Oberbürgermeisterin der Stadt Eva Weber, Bürgermeister Bernd Kränzle, und aus München die Landtagsabgeordnete Sylvia Stierstorfer, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, die Grußworte überbrachten, sowie die bayerisch-schwäbische Bezirksrätin Annemarie Probst, eine gebürtige Warjascherin und der Landtagsabgeordnete Andreas Jäckel.
Im großen Festsaal des Hauses begrüßte anschließend die Kreisvorsitzende Dr. Hella Gerber, geboren in Nitzkydorf, die Gäste. Anhand einer Bildpräsentation zeigte die Journalistin Halrun Reinholz gerafft aussagekräftige Aspekte zur Kulturhauptstadt Temeswar 2023.

Dr. Walter Engel stellte den politischen und „Volksschriftsteller“ Adam Müller-Guttenbrunn vor als wichtigen geistig-kulturellen Identitätsstifter und -träger im Kontext der Zeit der ethnischen Bedrängnis für seine Heimatgemeinschaft. Es war kein Zufall, dass der Wiener Autor dann durch seine Trilogie einer zweiten bedeutenden Identitätsgestalt der Banater Deutschen ein Denkmal schuf, dem in Csatad/Lenauheim geborenen Vormärz-Dichter Nikolaus Lenau. Aus zeitlichen Gründen erwähnte Dr. Engel die zahlreichen publizistischen Arbeiten nur, die erst spät, im vergangenen Jahrhundert, in einem Auswahlband zugänglich gemacht wurden. Der Referent – er stammt aus Deutsch-Sanktmichael – beschränkte sich für das Tagungsthema auf drei der wichtigsten, gern gelesenen literarischen Schriften Guttenbrunns: das mehrfach aufgelegte und auch ins Rumänische übersetzte autobiographisch gefärbte Büchlein „Der kleine Schwab“ und die beiden historisch dokumentierten Romane „Der große Schwabenzug“ und „Meister Jakob und seine Kinder“, der durch die Dramatisierung von Schauspieler Hans Kehrer in die jüngste Gegenwart zurückgeholt wurde. Dr. Engel beschloss seinen Vortrag, der mit viel Beifall aufgenommen wurde, mit dem Bedauern, dass in diesem Gedenkjahr keine zentrale wissenschaftliche und würdigende Tagung zu Müller-Guttenbrunn in Deutschland vorgesehen ist.

Müller-Guttenbrunn bot dann auch den Übergang zum zweiten Vortrag, den der Journalist Marius Koity aus Gera (geboren in Großsanktnikolaus) zum Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn („AMG“) präsentierte. Er hatte als ehemaliges Mitglied dafür eine Dokumentation erarbeitet, verbunden mit seinen Erlebnissen und Erinnerungen an das letzte Jahrzehnt dieses Temeswarer deutschen Literaturkreises. Heute schätzte der damals junge Autor die Wirkung des Kreises u. a. wie folgt ein: „Der Temeswarer Literaturkreis ‚Adam Müller-Guttenbrunn‘ ist eine Institution der rumäniendeutschen Literatur nach 1945. Über die einstigen rumäniendeutschen Literaturkreise in Kronstadt, Bukarest und Hermannstadt spricht heute keiner mehr, der AMG-Kreis aus dem Banat wird hingegen immer wieder erwähnt.“ Das belegte der Referent ausführlich in seinen weiteren Darlegungen. Der Kreis zählte über Jahre bis zu 150 Mitglieder, nicht nur Schreibende, sondern auch Förderer, Literaturfreunde und Interessenten, durch die damals eine im Land einmalige Literaturpreis-Stiftung ermöglicht wurde. Selbst im Jahr der damaligen allgemeinen Auflösungserscheinungen konnte noch 1990 ein AMG-Literaturpreis verliehen werden: Oskar Bleiziffer war der Beste des letzten AMG-Lesejahres. Zwei Jahre später, 1992, wurde nach einer Unterbrechung ein neuer deutscher Literaturkreis in Temeswar gegründet, der sich abgrenzend den neuen Titel „Stafette“ gab und heute noch aktiv ist. 

Marius Koity, selbst Träger eines Förder- und eines Hauptpreises, ging selbstverständlich auch auf das große Interesse der „Securitate“ für den Kreis und seine Autoren ein, was die Ergebnisse zahlreicher Archiv-Recherchen der letzten Jahrzehnte belegen. Über seine eigene Akte im CNSAS-Archiv hat Koity ein Buch veröffentlicht. Das Resümee des Vortrags: „Wie enorm das Interesse der Securitate am AMG-Kreis sowohl vor 1984, als auch danach war, dokumentieren mittlerweile verschiedenste Veröffentlichungen. Gerade dieses Interesse nach 1984, also nach der Ära mit Nikolaus Berwanger, Richard Wagner, Horst Samson, Herta Müller, Johann Lippet & Co. zeigt, dass wir im AMG-Autoren- und Freundeskreis noch eine starke und wirkungsvolle Gemeinschaft waren. Ich bin stolz darauf, da mitgewirkt zu haben. Ich hoffe, dass sich früher oder später doch noch ein Doktorand findet, der die gesamte 32-jährige Geschichte des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“ fair und überhaupt einmal wissenschaftlich betrachtet.“ 
Es könnten aber auch unsere zuständigen Institutionen ein derartiges Projekt anregen. Bei einem wissenschaftlichen Vortrag über diesen Literaturkreis vor einigen Jahren in Augsburg wurden nur die jüngeren Autoren des Kreises vorgestellt und ihre Werke untersucht, über die Rolle des Literaturkreises als entscheidender Initiator, Förderer und Träger des literarischen Geschehens in deutscher Sprache im Banat war nichts gesagt worden.

Im dritten Tagungsreferat wurde von Luzian Geier eine weitere bedeutende banatdeutsche Persönlichkeit gewürdigt unter dem Titel: „Ein Lebenswerk für die geistige Heimat Banat. Erinnerung an Stefan Heinz/ Hans Kehrer, alias Vetter Matz vun Hopsenitz“. Zum Identitätsstifter Kehrer berief sich der Journalist einführend auf die heutzutage vielbesuchte Quelle Wikipedia. Aus der Internetseite zu Stefan Heinz, den man im Banat kaum unter diesem bürgerlichen Namen kannte, zitierte Geier: Laut Wikipedia war der vor 110 Jahren Geborene sogar „die volkstümlichste Persönlichkeit“ der Banater Schwaben. Seine Popularität lebt für unsere Generation auch nach seinem Tod weiter, ergänzte der Referent.
Zum Tagungsthema und in dem Zeitrahmen konnte das vielseitige Schaffen des Schauspielers und Autors über ein langes Leben nur angerissen und Schwerpunkte erwähnt werden. „Wichtig und vielseitig war Hans Kehrer als langjähriger und sehr beliebter Stammspieler des Temeswarer Deutschen Staatstheaters – hauptamtlich 20 Jahre, von 1953 bis 1973 – , dann als Autor von Bühnenstücken für dieses Theater, von denen hier nur das Drama „Meister Jakob und seine Kinder“  nach der Romanvorlage von Adam Müller-Guttenbrunn – Premiere war am 21. Oktober 1977 – erwähnt sei, eines der großen Erfolgsstücke der Temeswarer Bühne mit zahlreichen Aufführungen im Banat und Siebenbürgen. Zuletzt wurden Auszüge daraus während der Banater Heimattage 2023 im Temeswarer Adam Müller-Guttenbrunn-Haus am 3. Juni wieder aufgeführt.“

Die gern gelesenen Mundart-Serien vom Vetter Matz und sein Pipatsch-Dorfbesm in der Mundartbeilage, die heute noch erscheint und die er mitbegründet hat, seien hier nur am Rande erwähnt. Weil über Müller-Guttenbrunn und den AMG-Literaturkreis im letzten Jahrzehnt seines Bestehens referiert wurde, ging der Referent auf die Rolle von Kehrer diesbezüglich ein: Mit Kehrer in Verbindung muss daran erinnert werden, dass er mit Nikolaus Berwanger zu der Autorengeneration der Nachkriegszeit gehörte, die der deutschen Abteilung der Temeswarer Zweigstelle des Rumänischen Schriftstellerverbandes den Namen des politischen Schriftstellers aus Wien Adam Müller-Guttenbrunn gaben. Für sie war Müller-Guttenbrunn eine „Gestalt der Orientierung“, so Kehrer. Sie konnten den Behörden damals glaubhaft argumentieren, weshalb es der Name des in der Banater Gemeinde Guttenbrunn geborenen Schriftstellers sein sollte, dem die Stadtväter von Temeswar bereits Anfang der 20er Jahre bei der Umbenennung einen Straßennamen gewidmet hatten, der einen großen Zeile entlang der Bega in der Josefstadt (IV. Bezirk): Splaiul Müller-Guttenbrunn.

Kehrer zählte zu den aktivsten und streitbaren Mitgliedern des Literaturkreises bis kurz vor seiner (Aus)Reise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1980. Er war eine komplexe Persönlichkeit, in dessen Leben aus heutiger Sicht auch Schattenseiten ausgemacht werden können, wie in jedem Menschenleben. Was für uns zählt, ist das große und wertvolle Identität stiftende Schaffen für die Gemeinschaft! Daran wollen wir erinnern und dafür wurde ihm in Deutschland u. a. der Ehrenpreis 1984 des Donauschwäbischen Kulturpreises des Landes Baden-Württemberg und 2001 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse für seine Verdienste bei der Förderung der Banater deutschen Kultur in der alten und neuen Heimat verliehen. Der begabte Künstler und Autor starb am 18. Dezember 2009 in Berlin.

Zum Abschluss war der Vetter Matz im Originalton zu hören. Der damals fast 90jährige rezitierte die Ballade vom „Wasserschlupper“, eine Aufnahme, die seine Nichte Heidrun Hockl freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte.
Ein Höhepunkt dieser Kulturveranstaltungsreihe war auch diesmal das Konzert unter der Leitung von Franz Metz. Er hatte das Operettenprogramm unter das Motto „Klänge einer Stadt“ gestellt mit passendem Banat- und Temeswar-Bezug. Viele hörten wohl zum ersten Mal „Das Lied von Temeschwar“ aus der Franz-Lehár-Operette „Wo die Lerche singt“. Dankbar zollte das Publikum dem Lehár-Team aus München reichen Beifall.