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Fernweh mit Wurzeln im Südosten

Ilse Hehn auf der Tagung in Bad Kissingen im Jahr 2022 Foto: Helga Ritter

„Mein Land kommt als Überraschung vom Osten her“, lautet ein Bekenntnis von Ilse Hehn. Die stets muntere, kontaktfreudige bildende Künstlerin, Lyrikerin und Erzählerin versteht es seit vielen Jahren, die Überraschungen aus dem Osten mit den Erlebnissen im Westen kreativ zu verknüpfen und diesen Zusammentreffen künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Nun feierte sie in Ulm ihren 80. Geburtstag – voller Tatendrang und Plänen, die sie noch umsetzen will.

Ilse Hehn wurde am 15. Mai 1943 in Lovrin im Banat geboren, besuchte das Lyzeum in Temeswar und studierte anschließend an der Temeswarer Universität Bildende Kunst. Als Gymnasiallehrerein kam sie nach Mediasch, wo sie bis zu ihrer Ausreise 1992 blieb. Sie ließ sich mit ihrem Sohn in Ulm nieder, drückte erneut die Schulbank und landete schließlich als Dozentin für Kunst an der Ulmer Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik.

Schon in Rumänien war sie als Künstlerin in Erscheinung getreten – nicht nur im Bereich der ihr naheliegenden bildenden Künste, sondern auch als Lyrikerin, Erzählerin und Autorin von Kinderbüchern. Im Jahr 1988 erhielt sie den Adam-Müller-Guttenbrunn Preis in Temeswar und im gleichen Jahr den Preis für das beste deutsche Kinderbuch in Bukarest. Auch in der neuen heimatlichen Umgebung nahm sie aufmerksam die Bilder, Geräusche und Befindlichkeiten ihrer Umgebung auf und setzte sie künstlerisch um. Den „Blick für Kunstwerke im Großen und Kleinen“ bescheinigte ihr ein Rezensent. Schubladendenken ist ihr fremd, sie sucht Verbindungen, Zusammenhänge, Brücken. Für diese Haltung steht eines ihrer neueren künstlerischen Projekte, wo sie (mehr oder weniger) bekannte Kunstwerke „übermalte“ und mit Versen versah. Viele Ideen kommen ihr auch beim Reisen – eine Leidenschaft, die sie sicher auch der Abstinenz des Eingesperrtseins im kommunistischen Rumänien verdankt. Ihr zuletzt beim Pop-Verlag erschienenes Buch „Diese Tage ohne Datum“ ist, wie Herbert Bockel im Klappentext bescheinigt, „ein Gesamtkunstwerk, das die Vielfalt von Reiseerfahrungen in all ihren sinnlichen, gedanklichen und ästhetischen Facetten erfasst und in welchem kongenial die bildende und die Sprachkünstlerin Ilse Hehn zu Wort kommen.“ Anstelle eines Vorworts erinnert die Künstlerin an den von den Zähnen eines Reptils bewachten Winterschlaf, als die Sehnsucht nach der Ferne unter einer „Eisoberfläche“ erstarrt war. „Und Zeit, die Zähne im Hinterkopf, schielte Richtung Westen. Sie öffnete sich, als 1989 das Eis schmolz und die Donau wieder zu fließen begann. Weite kam zum Vorschein. (…) Und Merkur, Gott der Reisenden, entführte mich, tief in mir der beglückende, schmerzende Dolch Fernweh.“ Unter allen Reiszielen hat es ihr besonders Rom angetan, der Stadt widmete sie ein eigenes Reisebuch („Roms Flair in flagranti“).

Das Fernweh steht jedoch bei Ilse Hehn immer im Verhältnis zu ihrem realen Hintergrund, ihren „Wurzeln im Südosten“. Schon kurz nach ihrer Ausreise nahm sie die Stelle als Bundeskulturreferentin der Sathmarer Schwaben an. Sie ist Jurymitglied beim Donauschwäbischen Kulturpreis, dessen Preisträgerin sie selbst 2017 wurde. Schon davor wurden ihre Werke in Deutschland wie in Rumänien mehrfach ausgezeichnet. Von 2011 bis 2021 war sie Vizepräsidentin des Internationalen Exil P.E.N., der die Schriftsteller deutschsprachiger Länder im Exil vereint. In Ulm, der Stadt, die die Auswanderer einst auf ihren „Schachteln“ nach Südosten schickte, spürt sie diese Bindung, nicht zuletzt auch durch das Donauschwäbische Zentralmuseum, das vor Ort stets daran erinnert. In diesem Zusammenhang entstand 2013 in der Reihe „Heimat zum Anfassen“ der Bildband „Das Gedächtnis der Dinge“: Fotografien von Alltagsgegenständen der schwäbischen Lebenswelt, wie man sie heute nur noch im Museum findet, hat Ilse Hehn mit (ebenso musealen) Texten Banater Autoren verbunden. Doch Erinnerung ist nicht nur Nostalgie. Im selben Jahr entstand eine ganz andere Auseinandersetzung der Autorin mit der früheren Heimat, der Band „Irrlichter. Kopfpolizei Securitate“, den sie nach der Auseinandersetzung mit ihrer Akte zu Papier brachte.

Ilse Hehn ist stets eine Unterstützerin der Landsmannschaft gewesen, brachte sich bei Lesungen, Ausstellungen, Wortmeldungen immer wieder in die Kulturarbeit ein. Gerne besucht sie das Kultur- und Dokumentationszentrum unserer Landsmannschaft in Ulm. Dessen langjähriger Betreuer Eduard Krämer war ein Künstlerkollege, ein Ästhet wie sie, dessen Arbeit sie unterstützte. Die Landsmannschaft der Banater Schwaben gratuliert der Autorin und Künstlerin ganz herzlich zum 80. Geburtstag und wünscht ihr noch viele gesunde, ideenreiche und kreative Jahre!