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Auf den Spuren unserer Vorfahren in Lothringen

Die Veranstalter ließen eine Briefmarke und einen Sonderumschlag mit dem Motiv der Banater Puppe (La poupée du Banat) drucken. Die Puppe spielte eine wichtige Rolle bei der von Hans Lamesfeld nach dem Zweiten Weltkrieg initiierten Ansiedlung von Banater Schwaben in Frankreich.

Banater Teilnehmer und Referenten in Lunéville Fotos: Lia Wolf

Werner Wolf, Vorsitzender der HOG Triebswetter, und die Bürgermeisterin der Gemeinde Arracourt Michèle Kirsch präsentieren eine Auflistung der 1770 aus Arracourt ins Banat ausgewanderten Personen.

Tagung und Treffen der Nachfahren der im 18. Jahrhundert ins Banat ausgewanderten Lothringer in Lunéville

Endlich war es soweit! Nach einer längeren Vorbereitungs- und coronabedingten Wartezeit trafen sich die Nachkommen der im 18. Jahrhundert ausgewanderten Lothringer Siedler am 13. und 14. April 2023 in der französischen Stadt Lunéville. Mehr als 150 Interessenten aus Frankreich, Deutschland, Österreich, der Schweiz, den USA und Kanada folgten der Einladung von Daniel Hilaire, dem Präsidenten der Association des Lorrains du Banat. Die Migrationsgeschichte der vor 250 Jahren aus Lothringen, dem Elsaß und aus Luxemburg ins Banat ausgewanderten Siedler und ihrer Nachkommen war das Thema der mehrsprachigen Tagung von Spurensuchenden und Historikern, die in der imposanten Kapelle des Schlosses von Lunéville, bekannt auch als das „Lothringische Versailles“, stattfand.

Es war eine Premiere und bei dieser Gelegenheit wurde den Teilnehmern die Möglichkeit geboten, durch die Präsentation von „kleinen Familiengeschichten“, die zusammengenommen die große Geschichte des Banats erzählen, das Wiedersehen von Familien, die in Frankreich geblieben sind, und jene, die das Land verlassen haben, gebührend zu feiern.

Die größte Gruppe unter den Teilnehmern bildeten die Triebswetterer. Die Landsmannschaft der Banater Schwaben war durch ihren Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber mit Gattin Hiltrud vertreten.

Nach der Begrüßung der Gäste durch Daniel Hilaire, dem Hauptorganisator des Treffens, und Catherine Paillard, der Bürgermeisterin von Lunéville, präsentierte Hélène Say-Barbey, die Leiterin des Archivs des Departements Meurthe-et-Moselle, auf Schautafeln – die Ausstellung trug den Titel „Lorrains du Banat, une histoire de migrations“ (Die Lothringer im Banat, eine Migrationsgeschichte) – und in einem ausführlichen Referat auf Französisch die Auswanderung aus Lothringen im 18. Jahrhundert und die Rückwanderung der Lothringer Nachfahren unter dem Blumenthaler Hans Lamesfeld im 20. Jahrhundert. Diesem gelang es, von den nach 1945 in Österreich aus dem Banat stammenden staatenlosen Flüchtlingen ca. 10000 die Einreise nach Frankreich zu ermöglichen. Dabei spielte eine Puppe eine entscheidende Rolle: Lamesfeld schickte dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Robert Schumann zu Weihnachten 1947 eine Trachtenpuppe, in deren Kleid er einen Brief versteckt hatte. Darin bat er den gebürtigen Lothringer Schumann um Hilfe zur Rückführung von französischen Banater Flüchtlingen nach Frankreich. Das Bildnis dieser Puppe, „La poupée du Banat“, fand sich auf einer Briefmarke und einem Sonderumschlag wieder, die die Veranstalter aus Anlass des Treffens in Lunéville drucken ließen. 

Als Ehrengast war auch Stella Giry aus Paris, die Bewahrerin der Puppe, eingeladen. Sie ist die Enkelin von Hans Lamesfeld und dessen Frau, der Grabatzerin Elisabeth Sedlak. Dabei kam es zu einer nicht geplanten emotionalen Begegnung zwischen Stella Giry und den anwesenden Grabatzern Monika und Walter Schneider.

Die Gründungsgeschichte des Banater Heidedorfes Triebswetter weist eine Besonderheit auf: Die ersten Ansiedler waren Franzosen. Nachdem laut einer Studie von 1879 festgestellt worden war, dass die 200 in Triebswetter angesiedelten Familien mehrheitlich aus Lothringen und dem Elsaß stammten, wird Triebswetter auch heute noch als eines der vier „Franzosendörfer“ bezeichnet – neben Charleville, St. Hubert und Seultour. Als Nachfahren dieser Siedler präsentierten Werner Wolf, Vorsitzender der HOG Triebswetter, und Franz Balzer den Vortrag „Triebswetter, Nagyősz, Tomnatic – Lorrains du Banat“, in dem sie auf die Besonderheiten ihres Heimatortes eingingen und ihre persönlichen Ausreise- und Fluchtgeschichten schilderten. Karina Balzer hatte die Präsentation auch ins Französische und Englische übersetzt.

In seinem Referat über die „Franzosendörfer im Banat“ am Beispiel von Triebswetter ging der Historiker Dr. habil. Mathias Beer vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen auf die bereits erwähnte Besonderheit bei der Ansiedlung ein, nämlich, dass von den 200 angesiedelten Familien 192 aus Lothringen und dem Elsaß ausgewandert waren. Die Erstansiedler waren also Franzosen, die noch viele Jahre ihre Muttersprache pflegten. Ausgehend von dem heutigen Wissensstand stellte Dr. Beer noch offenen Fragen in den Raum, zum Beispiel auch die über den 1945 in Temeswar gegründeten Verein der Nachkommen französischer Kolonisten im Banat.

Ernst Meinhardt, Vorsitzender des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Landsmannschaft der Banater Schwaben und ehemaliger Redakteur bei der Deutaschen Welle, der sich seit vielen Jahren mit der vergessenen französischen Geschichte des Banats beschäftigt und schon mehrfach darüber schrieb und referierte, streifte in seinem Vortrag anhand seiner Familiengenealogie die Geschichte des Banats. Dabei tauchten viele uns auch heute noch bekannte Familiennamen auf, die auf die französischen Vorfahren hinweisen.

Nach einer stärkenden Mittagspause folgten im zweiten Teil der Tagung Vorträge und Wortmeldungen, die größtenteils in Französisch und ohne Übersetzung gehalten wurden.

Peter Mathieu aus den Vereinigten Staaten von Amerika berichtete sehr lebhaft und anschaulich in Englisch über die genealogische Abstammung und die gemeinsamen Wurzeln der Familie Mathieu in den „welschen“ Dörfern und die abenteuerliche Überfahrt seiner Vorfahren nach Amerika. Ergänzend berichtete seine Verwandte Susanne Matje aus Linz über die österreichische Linie der Familie.

Der Historiker und Buchautor Vincent Hadot behandelte in seinem Vortrag sehr ausführlich, aber auch unterhaltsam die der Banat-Auswanderung vorangegangene Emigration aus Lothringen im 17.und 18. Jahrhundert, die sowohl innerhalb Europas als auch nach Übersee stattfand. Die Familie Remillon brachte gleich vier „Cousins“ ans Rednerpult, um ihre weitverzweigte Familiengeschichte darzulegen. Willi Wottreng, Züricher Schriftsteller und Journalist, berichtete in seinem Vortrag „Famille Vautrin – Une famille Yéniche au Banat“ über seine Jahrzehnte dauernden Recherchen zur Herkunft und Geschichte seiner Vorfahren, die dem fahrenden Volk der Jenischen angehörten, wie auch zur Entwicklung seines Familiennamens. 

Zum Schluss wurden alle Teilnehmer zu einem Gruppenfoto auf die Bühne gebeten. Diese Veranstaltung hatte was Besonderes: Durch die Präsentationen und konstruktiven Gespräche konnten zahlreiche neue Bekanntschaften geschlossen und Kontakte geknüpft werden, um auch in Zukunft weiterhin in Verbindung zu bleiben.
Der erste Tag klang im Hotelrestaurant „Drei Pagen“ bei Speis und Trank in geselliger Runde aus.

Am zweiten Tag des Treffens, am 14. April, ging es mit dem Bus auf eine familienbiographische Erkundungsreise in die Gegend um Lunéville, durch Dörfer, aus denen viele Bewohner um 1770 ins Banat ausgewandert sind. Der Bus fuhr über Einville-au-Jard, Valhey, Bathelémont, Athienville, Bezange, Chambrey, Salonnes, Vic-sur-Seille, Moyenvic, Marsal, Dieuze und Guébling nach Arracourt, um dort die jetzigen Bewohner, Nachfahren der Verbliebenen, zu treffen. 

Wir besuchten die Dörfer, aus denen die Vorfahren der Tagungsteilnehmer kamen, und wurden überall von den amtierenden Bürgermeistern herzlich empfangen und bewirtet. Es war sehr beindruckend, wie gerührt die Nachfahren waren, die zum ersten Mal die Orte ihrer Herkunft besuchten.

In Arracourt angekommen, wurde die Besuchergruppe von Michèle Kirsch, der Bürgermeisterin der Gemeinde, aus der die meisten Familien ins Banat ausgewandert sind, empfangen. Im Festsaal des Rathauses von Arracourt fand das Treffen der „Cousins“ – Nachfahren der Lothringer Auswanderer, Rückkehrer und Verbliebenen – statt. Nach der Begrüßungsansprache der Bürgermeisterin, die sich bei den Organisatoren/Sponsoren des Treffens Daniel Hilaire und Jacques Lavoil, Präsident der „Communauté de Communes du Sânon“ bedankte, folgte ein kurzer Sketch in Platt (Sprache der Auswanderer), der danach in Französisch vorgetragen wurden, unter anderen von Denis Pierson, unserem deutschsprechenden Ansprechpartner in lothringischen Angelegenheiten. Des Weiteren gab es Vorträge von Michel Remillon aus Marsal, Landwirt und Geschichtsliebhaber, und von Vincent Hadot, wonach Daniel Hilaire die Abschlussrede hielt. Dabei überreichte dieser der Bürgermeisterin eine Liste mit den Personen und Familien, die aus Arracourt ins Banat ausgewandert sind. Diese Liste enthielt zahlreiche Namen, die den Triebswetterern geläufig sind, wie zum Beispiel Damas/Dama, Griffaton, Hamant/Haman, Lefort, Parisot/Parison, Renaud/Rennon. 

In den beiden Tagen dieses geschichtsträchtigen Treffens wurde uns, den aus Triebswetter stammenden, immer mehr klar, wie eng verbunden wir durch unsere gemeinsame lothringische Abstammung mit den anderen „Cousins“ weltweit sind. Spontan entstand die Idee, mittels der HOG Triebswetter eine Partnerschaft zwischen den Gemeinden Arracourt und Triebswetter/Tomnatic anzubahnen. Zum Schluss der Veranstaltung wurde dieser Vorschlag der Bürgermeisterin von Arracourt unterbreitet, die ihm begeistert zustimmte und eine weitere Zusammenarbeit im Hinblick auf die Verwirklichung dieses Vorhabens zusagte. Die HOG Triebswetter wird ihren Beitrag dazu leisten und nichts unversucht lassen, um den Plan in die Tat umzusetzen. 

Nach zwei sehr ereignisvollen Tagen kehrten wir wieder nach Deutschland zurück. Die Resonanz des Treffens in Lothringen war überwältigend, es gab nur positive Rückmeldungen.