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Gedanken zu den „Habseligkeiten“ der Aussiedler

Die Referenten Luzian Geier und Halrun Reinholz (mit Blumen) mit Ehrengästen, Mitgliedern des Augsburger Kreisvorstands und der Kochgruppe. Foto: Nikolaus Dornstauder

Auch in Augsburg konnten lange keine Veranstaltungen stattfinden. Der für 2020 geplante Kulturtag mit Feier des 70. Jubiläums des Kreisverbandes fiel Corona zum Opfer und konnte auch 2021 nicht nachgeholt werden. Doch im Vorstand des Kreisverbandes beschloss man nun kurzerhand, wenn schon keinen großen Kulturtag, so doch zumindest einen intimen Kulturabend aufs Programm zu setzen. Ein Thema war schnell gefunden: die Würdigung des Schriftstellers und Publizisten Richard Wagner, bekannt als Gründungsmitglied und „Kopf“ der Aktionsgruppe Banat, aus Anlass seines 70. Geburtstags. Der Vorschlag kam von Vorstandsmitglied Luzian Geier, der zu der Zeit des kurzen Bestehens der Aktionsgruppe Redakteur bei der Neuen Banater Zeitung war und die damals jungen Schriftsteller intensiv kannte und begleitete, zumal ihre Konflikte mit der Securitate sich bald dramatisch entwickelten. 

„Die Aussiedler und ihre Habseligkeiten“ nannte er seinen Vortrag in Anspielung auf den Titel eines Romans von Richard Wagner, „Habseligkeiten“ (Aufbau Verlag Berlin, 2004), den er als seinen Liebling unter den Werken des Schriftstellers bezeichnete. Geier zeichnete das Umfeld Wagners im Kreis der jungen Schriftsteller nach, deren Freundschaft und literarische Verbundenheit fast ausnahmslos im Lyzeum Großsanktnikolaus begann, motiviert von ihrer Deutschlehrerin Dorothea Götz (die später als Kulturredakteurin der NBZ Geiers Kollegin war). Mit poetischen Mitteln rebellierten die jungen Dichter gegen die Zwänge des sozialistischen Alltags, thematisierten aber auch die aus ihrer Sicht festgefahrenen Pfade der Banater Dorfstruktur. Ihre politische Einstellung war „links“, im Sinne der 68er Bewegung, sie lasen Brecht und rezipierten die Protestsongs von Bob Dylan und all den anderen, die über „Radio Freies Europa“ auf illegalem Weg rezipiert werden konnten. 

In der Temeswarer Germanistik-Fakultät kamen die meisten von ihnen als Studenten wieder zusammen. Der Kreis fand weitere Anhänger, unter anderem auch Herta Müller, die einige Jahre Wagners Lebensgefährtin und danach auch Ehefrau war. Luzian Geier zitierte sie mit dem Bekenntnis, dass sie ohne die Aktionsgruppe „weder ein Buch gelesen noch eins geschrieben“ hätte. Diese absolutistische Aussage hält er für übertrieben, nichtsdestotrotz sei der Einfluss Richard Wagners auf Herta Müller nicht zu unterschätzen. Wagner war, wie die anderen Schriftsteller auch, sowohl im Literaturkreis der Uni aktiv als auch in dem von Nikolaus Berwanger gegründeten Schriftstellerkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“, wo durchaus kontrovers und auch offen diskutiert wurde. Dass die jungen Literaten bald ins Visier der Securitate kamen, lag deshalb nahe. 

Geier hob in diesem Zusammenhang die Rolle Nikolaus Berwangers hervor, der damals Chefredakteur der NBZ und höchster Repräsentant der deutschen Minderheit im Kreis Temesch war und seine ganze Kraft in die Waagschale warf, um die schlimmsten Konsequenzen für die bereits inhaftierten jungen Schriftsteller abzuwehren. Er setzte sich auch dafür ein, dass Richard Wagner, der nach dem Studium seine Zuteilung als Deutschlehrer in Hunedoara erhielt, einen Redakteursposten beim Büro der Karpatenrundschau in Temeswar bekam. 

Richard Wagners Werk umfasst Lyrik, Prosa, aber auch Sachbücher, Essays und publizistische Texte. Der Referent zitierte daraus einiges an passender Stelle, hatte mich jedoch gebeten, im zweiten Teil ergänzend einige Texte vorzulesen, die einen Einblick in den Scharfsinn und die Vielseitigkeit des Schriftstellers bieten konnten. Aus dem Essay-Band „Habsburg“ las ich die Passage, wo Wagner auf die ihm eigene abwägende Art über die Rolle der Banater im Konglomerat der Habsburger Monarchie reflektiert. Für das breite Publikum noch ansprechender sind jedoch seine Romane. Die beiden unmittelbar nacheinander erschienenen Bücher „Ausreiseantrag“ und „Begrüßungsgeld“ haben für die Leser mit einem ähnlichen Erlebnishorizont wie Wagner, wie man an den Reaktionen des Publikums deutlich merken konnte, einen hohen Zustimmungswert. Auch „Die Muren von Wien“ und die „Habseligkeiten“ bieten eine Fülle von Zitaten, die einen sofort in die Situation eintauchen und sie nachvollziehen lässt. Und dann war tatsächlich auch die Stimme von Richard Wagner selbst zu hören: Auf der Schallplatte: „Junge deutsche Dichter aus dem Banat“, wohl in den 80er Jahren bei Electrecord aufgenommen, liest Richard Wagner drei seiner Gedichte. Da die Schallplatte im KDZ in Ulm digitalisiert vorliegt, konnte die Originalstimme Wagners vorgespielt werden.

Es war ein bewegender und würdiger Abend für Richard Wagner, der seit Jahren von schwerer Krankheit gezeichnet und deshalb nicht mehr in der Lage ist, selbst in Erscheinung zu treten. Die gut 40 Zuschauer im Augsburger Haus der Begegnung zeigten sich beeindruckt und dankbar für die Gelegenheit, wieder gemeinsam Kultur zu genießen. Zum Wohlfühl-Ambiente bei den anregenden Gesprächen danach trugen aber auch die leckeren belegten Brötchen bei, die in bewährter Manier von der Arbeitsgruppe Kochen und Backen des Kreisverbands unter der Regie von Tine Slavik bereitgestellt worden sind.