Wenige glaubten daran, dass zu Corona-Zeiten der traditionelle, vom Bund der Vertriebenen Baden-Württemberg ausgerichtete Tag der Heimat in diesem Jahr stattfinden kann. Und genau diese wenigen sollten recht behalten: Der Tag der Heimat wurde am 20. September begangen, zwar etwas anders als in den vergangenen Jahren, aber trotzdem sehr gelungen.
Auch in diesem Jahr wurde im Vorfeld der Festveranstaltung am Mahnmal für die Opfer von Flucht und Vertreibung vor dem Kursaal in Bad Cannstatt ein Kranz niedergelegt und der millionenfachen Opfer gedacht. Gestaltet wurde die Feier diesmal von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Wangen Beate Dietrich sprach ein Grußwort. Seit 1986 steht nun dieses Denkmal im Kurpark von Bad-Cannstatt als Symbol für das Schicksal der Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation und als ewige Mahnung. Geschaffen wurde es von der aus Pommern stammenden Bildhauerin Ingrid Seddig (1926-2008). Die Hälfte der Kosten wurde von der Stadt Stuttgart unter dem damaligen Oberbürgermeister Manfred Rommel übernommen, die andere Hälfte wurde von den im Bund der Vertriebenen vereinten Landsmannschaften aufgebracht.
Was war nun anders bei der Festveranstaltung in diesem Jahr?
Schon in seiner Eröffnungsrede erinnerte der Geschäftsführer des BdV-Landesverbandes Hartmut Liebscher an die coronabedingten Vorschriften, die während der Feier zu beachten seien. Dann stand zum ersten Mal der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister des Landes Baden-Württemberg als Festredner im Programm, der sich aber von Staatssekretär Wilfried Klenk MdL vertreten ließ. Ebenfalls zum ersten Mal fand die Veranstaltung im großen Beethovensaal der Liederhalle statt. Und drittens war das Programm etwas kürzer als sonst, hat aber an Qualität nichts eingebüßt.
Der Vorsitzende des BdV-Kreisverbandes Stuttgart Albert Reich begrüßte die Ehrengäste des diesjährigen Tages der Heimat, allen voran den Politischen Staatssekretär im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg Wilfried Klenk, dann die Bundestagsabgeordnete Karin Maag, den Landtagsabgeordneten Konrad Epple, den Oberbürgermeister von Backnang und CDU-Kandidat für das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters Dr. Frank Nopper, die Leitende Ministerialrätin im Innenministerium Dr. Christiane Meis, den Geschäftsführer des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen Dr. Mathias Beer, den Vorsitzenden der Heimat- und Trachtenverbände in Baden-Württemberg Reinhold Frank. Begrüßt wurden auch die Vertreter der landsmannschaftlichen Verbände, darunter auch der Landesvorsitzende der Banater Schwaben Richard Jäger und der Landeskulturreferent Hans Vastag.
Reich betonte in seiner Begrüßungsrede unter anderem, dass immer wieder von der verlorenen Heimat gesprochen werde, diese sei aber nicht verlorengegangen wie eine Brieftasche, sondern sei geraubt worden. Einen besonderen Dank richtete er an die Vorstände des Landesverbandes und Kreisverbandes Stuttgart des BdV sowie der Landsmannschaften, die durch ihren Einsatz diese Festveranstaltung ermöglicht haben, ebenso an den BdV-Landesgeschäftsführer Hartmut Liebscher und die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle für die organisatorische Arbeit.
In seiner Festrede erinnerte Staatssekretär Wilfried Klenk MdL – wie auch die BdV-Landesvorsitzende Iris Ripsam in ihrer Schlussrede – an die Verkündung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vor 70 Jahren und würdigte diese als ein wichtiges Dokument der Nachkriegszeit. Klenk setzte das Charta-Jubiläum mit zwei weiteren Jubiläen in diesem Jahr in Beziehung: der 75. Wiederkehr des Kriegsendes und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die sich zum dreißigsten Mal jährt.
„Deutschland wurde durch das Kriegsende am 8. Mai 1945 von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft befreit. Daher sprechen wir aus gutem Grund von einem ‚Tag der Befreiung‘. Freilich regt die Erinnerung an diesen Tag auch zur Besinnung, zum Nachdenken an: Wer auf die vielen, so unterschiedlichen Schicksale zurückblickt, die mit diesem Datum verbunden sind, dem wird es schwer ums Herz. Gerade für die Deutschen in den östlichen Reichsteilen und in den Siedlungsgebieten im östlichen Europa hielt das Kriegsende furchtbare Leidenserfahrungen bereit, etwa die Schrecken der Flüchtlingstrecks, der Vertreibungen und der Verschleppungen in Arbeits- und Vernichtungslager, die jahrzehntelange Unterdrückung in den Diktaturen, die im östlichen Europa auf den Krieg folgten, und der Schmerz des Heimatverlustes“, erklärte der Staatssekretär.
„So wie das Kriegsende am Anfang der Teilung unseres Vaterlandes stand, so war der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik vor 30 Jahren das Gegenstück dazu: der entscheidende rechtliche Schritt zum Wiederzusammenwachsen Deutschlands – ein seltener, reiner Freudentag in der Geschichte unseres Volkes“, so Staatssekretär Wilfried Klenk weiter.
Unter den diesjährigen Jubiläen sei der 5. August 1950 der geschichtliche Wendepunkt, der den 8. Mai 1945 mit dem 3. Oktober 1990 verbinde. „In der Charta der deutschen Heimatvertriebenen stand nicht die Forderung nach staatlichen Leistungen an erster Stelle, sondern das Versprechen, ‚durch harte, unermüdliche Arbeit‘ am Wiederaufbau Deutschlands und Europas mitzuwirken. Und die Heimatvertriebenen hielten Wort. Sie legten Hand an beim Wiederaufbau – in wirtschaftlicher wie auch
in politischer Hinsicht. So wurde Baden-Württemberg, so wurde Westdeutschland mit dem großen Engagement der deutschen Heimatvertriebenen ein wohlhabendes, ein friedfertiges und ein soziales Gemeinwesen, das auch bei den Deutschen in der DDR und weit darüber hinaus eine hohe Wertschätzung genoss.“
Mit dem in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen explizit verkündeten Verzicht auf Rache und Vergeltung hätten sich die Heimatvertriebenen auf den Weg der Verständigung und der gemeinsamen Aussöhnung mit unseren europäischen Nachbarn gemacht, sagte der Festredner. „Dies war ein wichtiger Beitrag dazu, dass in Mittel- und Osteuropa die historischen Ängste vor den Deutschen schwanden. So haben die deutschen Heimatvertriebenen mit ihrer Charta den Boden für den Beitritt der DDR, für die Wiedervereinigung Deutschlands mit bereitet.“
Dieses Signal der Heimatvertriebenen damals, aus dem Kreislauf der Gewalt aussteigen zu wollen, präge die Geschichte Deutschlands bis heute. „Wir haben allen Grund, für diese Entwicklung in unserem Vaterland in den letzten Jahrzehnten dankbar und auf den historischen Wendepunkt am 5. August 1950 stolz zu sein. Stolz und dankbar auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen und auf das, was daraus Fruchtbares für uns alle erwachsen ist“, sagte Staatssekretär Wilfried Klenk abschließend.
Angesichts der geltenden Vorschriften konnten sich in diesem Jahr keine großen Chöre und Tanzgruppen und auch keine Blasmusikkapellen an der Gestaltung des volkstümlichen Programms beteiligen. Dennoch ist es den mitwirkenden Formationen gelungen, ein abwechslungsreiches Programm darzubieten, das in bewährter Weise von Hartmut Liebscher moderiert wurde. Den musikalischen Auftakt gestalteten die Egerländer Familienmusik Hess und das Egerländer Alphornquartett unter der Leitung von Professor Arnim Rosin. Tänzerische Einlagen bot die Trachtengruppe der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend Baden-Württemberg, die mit vier Paaren in zwei Auftritten vier Tänze vorführte. Vier Auftritte hatte hingegen der Knabenchor Capella Vocalis aus Reutlingen unter der Leitung von Christian Bonath, der mit 25 von insgesamt 130 Sängern auf der Bühne stand und deutsche volkstümliche Lieder sowie Kunstlieder vortrug. Mit dem Schlusslied „Kein schöner Land“, ebenfalls vom Knabenchor gesungen, klang der diesjährige „abgespeckte“ Tag der Heimat unter dem Applaus der Anwesenden aus.