In den letzten Jahren äußerte Pfarrer Dr. Adolf Fugel mir gegenüber – wir waren seit unserer Volksschul- und Ministrantenzeit eng befreundet – wiederholt die Befürchtung, dass das Gesetz der Serie nun auch ihn einholen werde, zumal seine Geschwister im Alter von knapp über 70 das Zeitliche gesegnet hatten. Ich versuchte ihn stets aufzumuntern, was mir mitunter schwerfiel. Nun war ihm aber doch, nach langer schwerer Krankheit, der Weg in die Ewigkeit beschieden. Am 11. April schloss er für immer die Augen in einem Budapester Krankenhaus. Seinen Lebensabend hatte er in Gyál, einem Vorort von Budapest, verbracht.
Dolfi – wie wir ihn seit Kindertagen liebevoll nannten – erblickte am 23. Juli 1943 in Großsanktnikolaus in einer kinderreichen sathmarschwäbischen Familie aus Sukunden das Licht der Welt. Der aufgeweckte Junge besuchte zunächst die Volksschule in seinem Heimatort, wo er als eifriger Ministrant regelmäßig an den heiligen Messen und Andachten teilnahm. 1957 trennten sich dann unsere Lebenswege. Dolfi besuchte bis 1961 das Katholische Gymnasium in Karlsburg (Alba-Iulia), jedoch in den Sommerferien trafen wir uns und debattierten oft stundenlang über verschiedene religiöse und philosophische Themen.
Adolf Fugel geriet schon früh in die Fänge des berüchtigten rumänischen Geheimdienstes. Erstmals Bekanntschaft mit der Securitate machte er im Sommer 1963 in seinem Heimatort – Fugel war damals Student im fünften Semester an der Theologischen Hochschule in Karlsburg –, als er gewarnt wurde, in einer „staatsfeindlichen Kirche“ Pfarrer werden zu wollen. Sollte er es dennoch werden, müsse er loyal zum Staat stehen und bestimmte, dem Staate dienliche Aufgaben übernehmen. Worauf man damals hinaus wollte, ist uns heute klar. Doch es sollte anders kommen, als es sich die staatlichen Stellen vorgestellt hatten, denn Fugel war alles andere als eine leicht manipulierbare Person: Stark und standhaft im Glauben, ignorierte er die wiederholten Versuche, ihn als IM-Mann zu rekrutieren.
Adolf Fugel war nicht bereit, auch nur einen Millimeter nachzugeben. Seine Gesinnung, sein Ethos ließen es nicht zu, und von Angst konnte keine Rede sein: Er nahm alles in Kauf. Später erinnerte er sich an diese Zeit: „Je näher der Zeitpunkt der Priesterweihe heranrückte, umso mehr drängte man mich, ein sogenanntes ‚Engagement‘ zu unterschreiben, in dem ich mich verpflichte, in der zukünftigen Pfarrei ‚mit offenen Augen‘ zu leben und mögliche staatsfeindliche Tendenzen sofort zu melden. Dabei sollte ich auch einen weiteren ‚Informanten‘ beobachten. Das heißt, auch ich würde von einem anderen Informanten beobachtet werden. Als man annahm, dass ich mittlerweile Bescheid wissen müsste, was meine ‚Staatsbürgerpflicht‘ sei, legte man mir das Papier vor, das ich unterschreiben sollte. Und genau das tat ich nicht! Man drohte mir, ohrfeigte mich, hieß mich einen Verräter – dann wiederum sprach man versöhnend, väterlich. Man entließ mich, bestellte mich von Neuem. Immer wieder die gleiche Prozedur. Ich stand – Gott sei Dank! – schon zu nahe vor der Priesterweihe, eine Verhinderung ihrerseits hätte zu einem offenen Eklat geführt, und das wollten die ‚Herren in Zivil‘ nicht.“
Gottesmann und Menschenfreund
Nach Abschluss seines Philosophie- und Theologiestudiums wurde Adolf Fugel am 2. April 1967 in Karlsburg durch Bischof Áron Márton zum Priester geweiht. Zunächst wirkte der junge Theologe als Kaplan in Neuarad und Sanktanna. Erlebnisse dieser Anfangszeit seines geistlichen Wirkens fanden ihren Niederschlag in seinem Buch „Vikar in der Heimat Draculas“ (1987), das auch ein Spiegelbild der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse im kommunistischen Rumänien ist. Ab Juli 1969 versah Pfarrer Fugel die Seelsorge in der Gemeinde Uiwar. Die Securitate stellte ihm weiterhin nach, zumal der streitbare Geist von der Kanzel herab gegen das menschenverachtende kommunistische System wetterte und Kindern von Gläubigen der verbotenen griechisch-katholischen Kirche das Sakrament der Taufe spendete. Fugel berichtet: „Am 21. Januar 1971 klingelte zum ersten Mal ein Offizier in Zivil an der Pfarrhaustür in Uiwar. Er stellte sich als der Securitate-Beauftragte für den Klerus im Kreis Temesch vor und riet mir ganz ungeschminkt und ohne Umschweife, mit ihm zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit bestünde in der Unterschrift des schon lange fälligen ‚Engagements‘. Natürlich verneinte ich das mit dem Hinweis, dass ich die Unterschrift schon während des Studiums abgelehnt hatte. Das war der Anfang der schrecklichsten zweieinhalb Jahre meines Lebens. Ohne Unterbrechung wurde ich Monat für Monat mittels einer Postkarte irgendwohin bestellt (…). Und immer saßen dieselben Securitate-Offiziere da und warteten auf mich. Man tat am Anfang immer sehr freundlich, wurde brutal, drohte und kehrte zur freundlichen Rede zurück. (…) Das Schlimme war jedoch, dass ich darüber mit niemand reden konnte bzw. durfte. Ein unverhofft ausgesprochenes ‚verräterisches‘ Wort hätte den sicheren Tod bedeutet. Das ging so bis September 1973.“
Schließlich wurde Pfarrer Fugel Anfang 1974 des Landes verwiesen (siehe dazu das Kapitel „Das Ende des Kreuzweges“ in seinem im Jahr 2013 erschienenen Buch „In die Zeit gesprochen“). Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien wirkte Pfarrer Fugel einige Monate als Vikar in Lenzing am Attersee (Diözese Linz). Im August 1974 meldete er sich in Nürnberg, um als Aussiedler anerkannt zu werden. In Irslingen (nahe Rottweil), im Bistum Rottenburg-Stuttgart, übernahm er im Oktober 1974 die Pfarrstelle. Dort besuchte ich ihn im Februar 1975. In seinem geräumigen Pfarrhaus plauderten wir über Gott und die Welt, und bei ausgiebigen Spaziergängen und Fahrten in die Umgebung erörterten wir uns auf den Nägeln brennende Themen die alte und neue Heimat betreffend.
Gleich nach seiner Ankunft in Deutschland begann Pfarrer Fugel seine Semikloscher Landsleute zu sammeln und am Aufbau der Heimatortsgemeinschaft Großsanktnikolaus zu arbeiten. Gemeinsam mit Alfred Schira und dem Verfasser dieser Zeilen organisierte er im September 1975 das erste Heimattreffen in Ulm, das auch als Gründungstreffen der HOG gilt. Fugel übernahm den Vorsitz, den er bis Ende 1982 innehatte.
Obwohl er nun in Freiheit lebte, war Pfarrer Fugels physischer und psychischer Leidensweg noch lange nicht zu Ende, zumal er das in seiner Heimat Erlebte zu verdrängen versuchte. Bereits im Februar 1976 lag er mit einem Nervenzusammenbruch im Rottweiler Krankenhaus, weitere Krankheiten sollten sich einstellen. Die Ärzte sprachen immer wieder von „innerer Unruhe“ und „Ausgebranntsein“. Fugel war sich bewusst, dass er den steinigen Weg der Aufarbeitung jener schrecklichen Ereignisse bis zu Ende gehen muss. Mit jedem offenen Wort über das, was ihm in der Diktatur an Unrecht zugefügt wurde, entfernte er sich ein Stück vom großen Trümmerfeld, das die Securitate in ihm angerichtet hatte.
Im Oktober 1981 übersiedelte Pfarrer Fugel in die Schweiz, wo er zunächst eine Pfarrei in Wangen bei Olten übernahm. Ab 1984 vervollständigte er seine Studien an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg, die er vorerst mit dem Titel Licentiatus theologiae beendete. Von 1985 bis 1990 war er Assistent am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Universität Fribourg. Zwischenzeitlich promovierte er 1989 zum Doktor der Theologie mit einer Arbeit über die „Tauflehre und Taufliturgie bei Huldrych Zwingli“. Ab 1987 bis zu seiner krankheitsbedingten Versetzung in den Ruhestand im Jahr 2003 war Fugel als Seelsorger in Utzenstorf (Kanton Bern) tätig.
Im Rahmen der katholischen Kirche der Schweiz entfaltete Pfarrer Dr. Adolf Fugel eine vielseitige Tätigkeit als Chefredakteur des „Schweizerisches Katholischen Sonntagsblattes“ (1987-1994) und der Quartalsschrift „Schweizer Fatima-Bote“ (2000-2011), Gründungsmitglied und erster Präsident des katholischen „Journalistenverbandes Franz von Sales“ (1988-1991), geistlicher Leiter des Fatima-Weltapostolates der Deutsch-Schweiz (1988-2005) sowie Leiter der von ihm ins Leben gerufenen „Gebetsgemeinschaft Lebendiger Rosenkranz“.
Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ organisierte Pfarrer Fugel Hilfstransporte nach Rumänien, Ungarn, Litauen und Albanien. Er selbst sammelte mit einem Kleinbus alle möglichen angebotenen Hilfsgüter ein, die Pfarreien und Priesterseminaren, Waisen- und Altenheimen, Schulen und Kindergärten zugute-kamen. Die zwischen 1990 und 1995 abgegebenen Hilfsgüter hatten einen Wert von schätzungsweise einer Million Schweizer Franken.
Auch im Rentenstand war Fugels Arbeitseifer – wie könnte es bei einem Schwaben auch anders sein? – ungebrochen. Das Wort ergreifen und die Stimme für „Stimmlose“ erheben, dazu fühlte er sich weiterhin berufen. Die Entwicklungen im katholischen Verlagswesen kritisch beobachtend, entschied er sich 2005 zur Gründung eines eigenen Verlags, des Benedetto-Verlags mit Sitz in Aadorf (Kanton Thurgau), wo Fugel seit Ende 2002 lebte. Als dessen Eigentümer und Verlagsleiter zugleich hat Dr. Fugel sozusagen im Ein-Mann-Betrieb den Laden ganz allein geschmissen. Über hundert herausgebrachte Titel (Bücher und digitale Medien) zu verschiedenen theologischen und religiösen Themen zeugen davon, dass sich der Verlag erfolgreich behaupten konnte. Seit 1984, als sein erstes Buch „Christen unterm roten Stern“ erschienen ist, hat Pfarrer Dr. Adolf Fugel eine beeindruckende Zahl von Publikationen vorgelegt.
Pfarrer Fugels vielseitiges Engagement blieb nicht unbemerkt: 1996 erfolgte seine Ernennung zum Ehrendomherrn der Kathedrale von Sathmar, die Landsmannschaft der Banater Schwaben verlieh ihm im Jahr 2000 die Verdienstmedaille in Silber, der Verein der Banater Schwaben Österreichs ehrte ihn anlässlich seines 70. Geburtstages, und die Diözese Temeswar in der Person des Bischofs Martin Roos verlieh ihm 2017, aus Anlass seines goldenen Priesterjubiläums, die Maria-Radna-Medaille im Rahmen eines Festgottesdienstes in Großsanktnikolaus.
Der Mut hatte unseren verdienten Landsmann nie verlassen. Wann und wo es ihm möglich war, stellte er sich in den Dienst des Menschen und verteidigte diesen im Alltagsleben genauso wie im Glauben. Das war sein Ethos und seine wahre Größe, die wir ihm nie vergessen werden.