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Das Bakowaer Familienbuch setzt neue Maßstäbe

Um ein sozial erfülltes Leben zu führen, ist es für Menschen wichtig, eine Familie zu haben, so vielgestaltig diese auch sein mag. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich das Familienbild kontinuierlich verändert. Das, was man vor zwei Generationen noch unter dem tradierten Begriff Familie verstand, hat heute keine unbeschränkte Gültigkeit mehr. Familie konnte schon im Jahrhundert der Ansiedlung und erst recht heutzutage viel mehr sein als Vater, Mutter und Kinder – das was wir als Zwei-Generationen-Kernfamilie bezeichnen. Die tradierten Vorstellungen von Familie befinden sich in sichtbarem Wandel. Familienbücher sind wichtige Quellen lokaler Herkunftsgruppen. Sie liefern das genealogische Gerüst einer Familiengeschichte und helfen Vorfahren zu entdecken und die Geschichte der eigenen Familie neu zu ergründen.

Unlängst hat Reinholdt Lovasz ein Familienbuch seines südöstlich von Temeswar liegenden Heimatortes Bakowa (Bacova) vorgelegt: Familienbuch der katholischen Pfarrgemeinde Bakowa im Banat 1786-207/2017 (ohne Filialen) mit Querverbindungen zu den deutschen Gemeinden der näheren Umgebung, zu anderen Ortschaften im Banat, in anderen Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten von Amerika, Bd. I (A-L), Bd. II (M-Z), Banat Verlag Erding 2017, 2152 S. (= Schriftenreihe zur donauschwäbischen Herkunftsforschung, 209, Deutsche Ortssippenbücher 02 039), ISBN 978-3-9817676-2-9. Ziel der Veröffentlichung ist, den heutigen und künftigen in aller Welt verstreuten Generationen von Ortsbewohnern zu helfen, „leicht den Anschluss an ihre Wurzeln in den aus Bakowa stammenden Familien finden zu können“ (S. 8). Das viel Kraft und Ausdauer erfordernde umfangreiche Werk wurde in zwölfjähriger, mühevoller und kenntnisreicher Kleinarbeit geschaffen.

Werden, Wirken und Vergehen der Menschen im Dorf wurden anhand der verzeichneten kirchlichen Amtshandlungen aus Anlass wichtiger Ereignisse im Leben des Einzelnen – Geburt, Heirat und Tod – von den Ortspriestern in knappen Worten erfasst und mit ihrer Signatur bestätigt. Matrikelbücher wurden in Bakowa seit der Gründung der Pfarre im Zuge der Ansiedlung (1786) geführt. Der Autor gibt eine Übersicht der Amtspersonen, die an ihrem Zustandekommen mitgewirkt haben, Diözesan- und Ordenspriester in Bakowa, wie auch der aus dem Ort stammenden Seelsorger, Produzenten von Kirchenregistern an ihrem auswärtigen Tätigkeitsort. Die vielfach vom jeweiligen Pfarrer abhängige Führung der Kirchenbücher war uneinheitlich, erst eine bischöfliche Verordnung legte während der neuabsolutistischen Zeit 1851 strenge Leitlinien für die Verzeichnung personenstandsrelevanter kirchlicher Amtshandlungen fest. Mit der Einführung der Zivilehe und deren Verwaltung durch Standesämter 1895 auch im Königreich Ungarn wurde der lokale Personenstand staatlich verwaltet. Die Kirche war gezwungen, die Erfassung ihres Seelenstands ein Stück weit in die Gewalt des Staates zu geben. Der Personenstand hat für den modernen Staat bis in die Gegenwart eine immense Bedeutung. Dabei geht es nicht nur um die Erfassung der konfessionellen Zugehörigkeit, die man schnell über die amtliche Statistik (Volkszählungen) ermitteln konnte, sondern um die Verteilung der Bevölkerung nach Geschlecht und Altersgruppen, die aufschlussreich für die militärischen Humanressourcen und die Bildung war.

Die frühen Kirchenbücher der Pfarrei Bakowa wurden in der frühen kommunistischen Zeit (1950) von den staatlichen Stellen aus ideologischen und vermutlich personenstandsrechtlichen Gründen eingezogen und befinden sich im Temeswarer Staatsarchiv.

Gemeinsam mit den Kirchenbüchern, die sich noch in der Pfarrei Busiasch (Buziaş) – Bakowa wird im Schematismus der Diözese Temeswar 2017 als vakante Pfarrei geführt, die von Busiasch aus betreut wird –  und als Zweitschriften seit 1895 im Archiv der Diözese Temeswar befinden, bilden die Kirchenregister die Hauptquellen der Zusammenstellung. Lovasz wertet seine Primärquellen nicht als Außenstehender aus: Die Praxis der Eintragungen in Kirchenregister bei Taufen, Eheschließungen und Beerdigungen und ihre historische Entwicklung war dem Priester gut bekannt. Außer den Primärquellen hat Lovasz mehrere Sekundärquellen (Seelenverzeichnisse, tabellarische Übersichten) herangezogen. Die Daten wurde mit dem zur Zeit innovativsten Genealogieprogramm auf dem deutschen Markt, Gen_Pluswin aufbereitet.

Erfasst sind in alphabetischer Reihenfolge Einzelpersonen und Familien, Taufpaten und Trauzeugen, bei vielen die Hausnummer, Berufe und Todesursachen. Der Autor verweist auf die fallweise Ungenauigkeit der Quellen. Irrtümer, Fehler und Lücken sind nicht ausgeschlossen, manche Eintragungen bleiben für Ergänzungen offen. Ähnlich wie in anderen Banater Ansiedlungen war die frühe Ortsbevölkerung heterogen hinsichtlich ihrer geographischen Herkunft. Sie sprach hier nicht nur unterschiedliche Dialekte, sondern auch verschiedene Sprachen, nebenDeutsch auch Französisch, Slowakisch und Ungarisch. Das gleiche gilt für die Seelsorger der Kirchengemeinde.

Die Eintragungen in den Kirchenregistern enthalten eine Fülle von Namensvarianten – Alias-Namen, Spitz- und Ersatznamen – die vom Autor erfasst wurden. Die Uneinheitlichkeit in der Schreibweise der Familiennamen ist jedoch nicht nur für das Zielgebiet der Auswanderer typisch. So lange die Sprache nicht genormt war, kennzeichnet sie auch die Eintragungen in den Kirchenbüchern der Herkunftsorte. So wurden Einwanderer aus dem Herzogtum Luxemburg, damals Teil der Provinz Österreichische Niederlande, mit ihrem Nachnamen im Wechsel mit Hausnamen verzeichnet. Nur ein ausführlicher Index gestattet eine zielführende Personensuche. Dieses Desiderat wird von dem Autor konsequent im zweiten Band umgesetzt. Die Indexierung erfasst nebst den Nachnamen sämtlicher erfassten Personen auch die Namen der eingeheirateten Ehefrauen. Zusammengefasst werden im alphabetischen Teil auch die aus Bakowa stammenden Opfer der beiden Weltkriege und der Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion. Das Ortsregister, ergänzt durch die mehrsprachige Konkordanz geographischer Namen, verzeichnet u.a. die überlieferten Herkunftssorte von Ein- und Binnenwanderern, die Orte im Bakowaer Heiratskreis, ebenso wie die Wohnorte der weltweiten Diaspora, die die heutige aterritoriale, virtuelle Ortsgemeinschaft bilden. Eingearbeitet sind auch die Daten der Auswanderer nach Übersee, die den von Dave Dreyer erstellten Schiffslisten entnommen sind. Wenn auch nicht durchgängig, so wird bei manchen Personen auf das Datum der Erstkommunion und der Firmung hingewiesen.

In der Kulturgeschichte der Banater Schwaben spielt Familie eine zentrale Rolle. Das Familienbuch zeigt, was unter dem Begriff Familie verstanden wurde. Aus der Zusammenstellung lassen sich wesentliche demographische Merkmale der Dorfbevölkerung und die überschaubare Ordnung und Größe des Hauswesens herauslesen.

Bei den Ansiedlern stand der Haushalt  – eine soziale Kleingruppe miteinander verwandter Personen – im Vordergrund des Familienlebens. Familie war hauptsächlich ein Bündnis zur Daseinsvorsorge. Zur Haushaltsfamilie gehörten vorrangig die im Hause wohnenden Blutsverwandten. Dabei konnten auch unterschiedliche Verwandtschaftsgrade, mütterliche oder väterliche Herkunft im Familienverständnis eine Rolle spielen. Schon die Ansiedlungszeit kannte mehr oder weniger gleichberechtig nebeneinander stehende Familienformen: alleinerziehende Eltern, Großeltern und Verwandte in Elternfunktion und aus unverheirateten oder Einzelpersonen im Witwer- bzw. Witwenstand bestehende Einpersonenfamilien. Kennzeichen der von hoher Sterblichkeit bestimmten frühen Ansiedlungszeit ist die in unserer Gegenwart zunehmende Stief- oder sogenannte Patchworkfamilie – Familien mit Kindern, die aus unterschiedlichen Ehen hervorgegangen sind. Zur Hausgemeinschaft gehörte auch das Gesinde – die Knechte und Mägde, die auf dem Bauernhof arbeiteten. Falls diese im Ort wohnten, werden sie bei ihren Herkunftsfamilien verzeichnet. Lediglich Urbarien, die der Steuer- und Abgabenerhebung dienten, verzeichnen sie zahlenmäßig, gelegentlich auch namentlich, unter der besteuerten Hofstelle.

Ähnlich wie in anderen banatschwäbischen Orten wurde auch in Bakowa eine Hauseinheit oft nicht mit einem Familiennamen, sondern mit einem Hausnamen versehen, der das Haus von außen kennzeichnete. Diese Form der Haushaltsfamilie hat die Familienbilder in der nachfolgenden Zeit bis ins 20. Jahrhundert geprägt.

Grundlegend für das soziale Verständnis von Familie ist auch die Bedeutung der Ehe als Rechtsbündnis zwischen zwei Parteien. Nach der Grundentlastung 1853, die aus den Erbpächtern der Hofstellen Eigentümer im rechtlichen Sinne machte, führte die gestiegene wirtschaftliche Bedeutung der Familie zur Veränderung ihres Stellenwerts wie auch der Verwandtschaftsbeziehungen. Vielmehr als früher galten wirtschaftliche und Standesgründe als ehestiftende Motive nach der Maxime „Feld zu Feld und Geld zu Geld“. Eine Eheschließung setzte in der Regel die Herkunft aus einer in etwa gleichen wirtschaftlichen und sozialen Schicht voraus. Wer heiratet wen, wie weit erstreckt sich der Heiratskreis, wer sind die Trauzeugen und die Paten der Kinder? Angaben dieser Art kommen der humanwissenschaftlichen Beschäftigung mit Demographie auf der lokalen Ebene entgegen und bereichern die bisher vernachlässigte Sozialgeschichte unserer Dörfer. Im 20. Jahrhundert haben sich die Familienkonstellationen zusehends geändert. Die Eheschließung ist keine notwendige Grundlage der Familie mehr, emotionalen Motiven kommt ein gestiegener Stellenwert zu. Es gibt viele Alleinerziehende, aus Trennungen neu entstandene Patchworkfamilien, Wohn- und Hausgemeinschaften, auch mit älteren Menschen, die unserer Großelterngeneration angehören. Diese Entwicklung geht auch an unseren Landsleuten nicht spurlos vorbei. Familienfotos aus der Zeit um 1900 und in der Gegenwart führen den grundlegenden Wertewandel der Familie, der auch bei den Banater Schwaben in den letzten zwei Generationen eingetreten ist, eindrucksvoll vor Augen. Unseren Urgroßeltern mit ihrer riesigen Großfamilie stehen die kleinen Kernfamilien des zweiten und dritten demographischen Übergangs gegenüber.

Auf der Suche nach Informationen zur eigenen Familiengeschichte ist das Familienbuch eine Hauptquelle, „ein Denkmal besonderer Art“ (S. 13). Das Buch bietet mehr als eine Auswertung der Kirchenbücher. Reinhold Lovasz hat eine Fülle neuer Quellen und aufschlussreicher Bilddokumente zur Dorfgeschichte aufgespürt und in seine Darstellung eingebaut. Der Textteil weitet den Blick auf die Entwicklung der Gemeinde und ihrer Bewohner. Eine ausführliche Zeittafel stellt die Entwicklung des Dorfes und der Pfarrei in den sich wandelnden historischen Kontext. Festgehalten werden die Hausbesitzer, die während des sogenannten „Therkerummels“ (Türkenrummel) 1788 – dem Gerücht von dem herannahenden Feind während des letzten österreichisch-osmanischen Krieges – den Ort fluchtartig verlassen hatten. Bislang nicht bekannte Informationen und Illustrationen bilden einen wertvollen Beitrag zum Ausbau der Ortsmonographie, die laufend unter neuen Fragestellungen fortgeschrieben, überprüft, korrigiert und ergänzt werden muss. Vor allem sprechen uns im Bildteil dieses Werkes die Planzeichnungen zum ersten Schulhaus, zum ärarischen Wirtshaus, das später als Schule genutzt wurde, die Zeichnungen von der ersten Kirche und die Entwürfe zur zweiten, der vor genau 150 Jahren geweihten und heute noch bestehenden Kirche an. Dokumentarisch nicht weniger wertvoll sind das Urbarialverzeichnis aus dem Jahr 1806, die Auszüge der verschollen geglaubten Pfarrchronik von Pfarrer Johann Hulényi, die im Diözesanarchiv Temeswar aufbewahrt wird, und der hier zum ersten Mal veröffentlichte Dorfplan aus dem Jahr 1823 mit der genauen Straßenanlage und den Hausnummern aus dem Jahr der Ansiedlung. Solche Funde können Interessierte anregen und bestärken, auch in Zukunft nach unerschlossenen Quellen zu recherchieren und diese auszuwerten.

Das akribisch und kompetent erarbeitete Familienbuch setzt in der regionalen genealogischen Forschung qualitativ neue Maßstäbe. Das ist eine Garantie für die erfolgreiche Arbeit am Familienbuch der katholischen Pfarrei Karansebesch  das von deren ehemaligen Seelsorger Reinholdt Lovasz schon längst in Angriff genommen wurde.

Bestellungen der Veröffentlichung werden entgegengenommen vom Autor selbst Reinholdt Lovasz, Schwetzinger Straße 32, D-68723 Plankstadt, E-Mail: LovaszRM@web.de, Tel.: 0049 (0)6202 92477000 und vom Banat-Verlag Erding Zugspitzstr. 64, 85435 Erding, Tel. 0049 (0)8122 2293422, E-Mail: Banatverlag@gmx.de.