Das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) und die Landsmannschaft der Banater Schwaben veranstalteten am 19. November gemeinsam den Themenabend „Banat, aus der Ferne. Erinnerungen an die Deportation – Lyrik aus dem Exil“. Die Veranstaltung hatte einen doppelten Schwerpunkt: Barbara Hirth, eine ehemalige Russlandverschleppte, erzählte von ihren Erlebnissen während der fünfjährigen Deportationszeit, und der Lyriker Dr. Hans Dama las aus seinem neuen Gedichtband „Banat-Gedichte“.
Dr. Florian Kührer-Wielach, seit Oktober 2015 Direktor des IKGS, freute sich über das zahlreiche Interesse an der Veranstaltung und die gelungene Kooperation mit der Landsmannschaft der Banater Schwaben, dem Verein Banater Schwaben Österreichs und der Stiftung der deutschsprachigen Heimatvertriebenen aus dem Sudeten-, Karpaten- und Donauraum (Wien). Aufgabe des IKGS sei es nicht nur, südosteuropäische Regionen wissenschaftlich zu erforschen, sondern auch mit Menschen aus diesen Regionen in den Dialog zu treten, so Dr. Kührer-Wielach. Besonders erfreulich sei es, mit Barbara Hirth im Gedenkjahr „70 Jahre Deportation in die Sowjetunion“ eine Zeitzeugin zu Wort kommen zu lassen, zumal diese Möglichkeit doch zeitlich begrenzt sei.
Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Enikő Dácz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IKGS und stellvertretende Institutsdirektorin, moderierte das Gespräch mit Dr. Hans Dama. Der Lyriker und Literaturwissenschaftler ist seit 2001 Obmann des Vereins der Banater Schwaben Österreichs und veröffentlichte 2015 in der von der Landsmannschaft der Banater Schwaben herausgegebenen Reihe „Banater Bibliothek“ den Band „Banat-Gedichte“. Der Band beinhaltet Gedichte über das Banat, aber auch solche, die im Banat entstanden sind. Dama, der in Wien lebt, geht einer vielseitigen Tätigkeit als Lyriker, Literaturwissenschaftler und Übersetzter nach und kann zahlreiche Veröffentlichungen vorweisen. Durch den Vortrag mehrerer Gedichte gewährte er den Zuhörern Einblicke in das Banat als literarische, erinnerte und erlebte Landschaft. Die Gedichte widerspiegeln Impressionen aus seiner Studentenzeit in Temeswar, aber auch von Reisen vergangener Jahre ins heutige Banat.
Eines der Grundmotive der Lyrik Damas sei der melancholische Grundton, der jedoch nie ins Bedrückende überschwenke, so Dácz, sowie die Verwendung der klassischen lyrischen Form. Diese setze Dama bewusst ein. Seine Gedichte entstünden nicht aus einem Gefühl von Heimweh und Nostalgie. Obgleich die persönlichen Empfindungen dargestellt werden, handele es sich nicht um ein Nachweinen. Gedichte seien kritische Texte. Sie beschreiben eine Situation, auf die wir keinen Einfluss haben, erläuterte Dama die Intention und Entstehungsgrundlage seiner Gedichte. Unterschiedliche Narrative über die Geschichte der Banater Schwaben würden in den Gedichten Damas aufgearbeitet und somit die banatschwäbische Geschichte in lyrischer Form sehr anschaulich verarbeitet, resümierte Dácz. Nicht nur die Landschaft des Banats, sondern auch die Kultur und der kulturelle Kontext treten in den Vordergrund. Da die deutsche Kultur nur noch splitterhaft vorhanden sei, müsse man diese hüten, wiederbeleben oder in Erinnerung rufen, ergänzte der Lyriker.
Durch den zweiten Teil des Themenabends, das Gespräch mit der Zeitzeugin Barbara Hirth, führte Dr. Kührer-Wielach. Barbara Hirth wurde im Alter von 17 Jahren aus ihrem Heimatort Schöndorf in die Sowjetunion deportiert. Nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion siedelte sie nach Deutschland über und ließ sich in München nieder, wo sie auch heute noch lebt. Erste Gerüchte aus Nachbargemeinden ließen schon ahnen, dass auch die Bewohner der Gemeinde Schöndorf nicht von der Deportation verschont bleiben würden. Prägend und begleitend sei für sie ein Erlebnis in Maria Radna gewesen, erzählte Barbara Hirth. Nach der Aushebung mussten die Deportierten in Maria Radna umsteigen, um von dort weiter in Viehwaggons gepfercht in die Sowjetunion transportiert zu werden. Die Glocken der Wallfahrtskirche Maria Radna läuteten. Dieses Glockengeläut habe sie während der Deportationszeit getragen und ihr Kraft und Trost gespendet. Den fünfjährigen Zwangsaufenthalt verbrachte sie in fünf Lagern. Die Lebensumstände bezeichnete die Zeitzeugin als annehmbar. Man fügte sich der Situation, hatte man doch keine andere Wahl. Die schwere Arbeit in der Kohlegrube konnte sie, nachdem sie bei einem Arbeitsunfall ihre Hand schwer verletzt hatte, unterbrechen und in der Küche sowie im Speisesaal aushelfen. Aber auch Beziehungen zum Küchenpersonal konnten die schlechte Versorgung mit Nahrung nicht wettmachen und das ständige Hungergefühl kaum lindern. Dieser Zustand verbesserte sich in den letzten beiden Jahren ihres Aufenthalts, als die Möglichkeit bestand, auf dem Markt Lebensmittel zu kaufen und diese selbst zuzubereiten. Als die Lagerinsassen erfuhren, dass sie wieder nachhause dürfen, schenkten sie diesen Aussagen zunächst keinen Glauben.
Mit ihrem Vater und ihrem Bruder, die in München lebten, stand sie im Briefkontakt und so entschied sie sich direkt nach Deutschland auszureisen. In München besuchte sie eine Handelsschule und begann als Buchhalterin zu arbeiten. Durch den frühen Tod ihres Mannes musste sie die Familie, unterstützt von den Eltern, versorgen und so blieb ihr nur wenig Zeit, über ihr eigenes Schicksal nachzudenken. Sie sehe die Deportation nicht als Lebensthema an, sondern sei dankbar für die gute Wende, die ihr Leben nach der Deportation genommen habe, sagte Barbara Hirth. Dr. Kührer-Wielach resümierte, dass die Zeitzeugin in ihrer Erzählung ein Bild fernab der Klischees präsentiert habe, zumal sie die Deportation nach Russland nicht als prägendes Lebensthema ansehe und sich auch der Opferrolle entledigt habe.
Anschließend stellte Peter-Dietmar Leber, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, den von der Landsmannschaft 2015 herausgegebenen Band „Der weite Weg ins Ungewisse. Die Deportation der Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion“ vor. Es handelt sich um die deutsche Übersetzung des 2012 in Rumänien erschienenen Buches „Lungul drum spre nicăieri. Germanii din România deportați în URSS“ von Ilarion Țiu, Lavinia Betea, Cristina Diac und Florin Răzvan Mihai. Damals seien junge Wissenschaftler aus Bukarest auf die Landsmannschaft zugekommen und haben um Unterstützung bei der Suche nach Zeitzeugen gebeten. Die Berichte dieser Zeitzeugen, aber auch derer Nachkommen finden sich in diesem Band, der alle Facetten der Deportation beleuchtet.
Dr. Kührer-Wielach wies sodann auf die von der Donauschwäbischen Kulturstiftung 2015 herausgegebene Publikation „Donauschwäbische Geschichte (Band IV): Flucht, Vertreibung, Verfolgung, Genozid. Der Leidensweg ab 1944“ hin sowie auf die beiden Banat-Themenhefte der vom IKGS publizierten Zeitschrift „Spiegelungen“ (Heft 2/2014 und Heft 1/2015). In den letzten Jahren lasse sich feststellen, so Kührer-Wielach, dass im Banat junge Menschen leben, die das deutsche Kulturerbe immer mehr als etwas Positives sehen. Aus der einstigen Germanophobie werde eine Germanophilie und es sei nicht vermessen, einen optimistischen Blick auf die Entwicklungen im Banat zu werfen.
Beim anschließenden Empfang hatten die Besucher die Möglichkeit, sich mit den Protagonisten des Abends auszutauschen, die Mitarbeiter des IKGS kennen zu lernen sowie in den zahlreichen Publikationen des Instituts zu schmökern.