Zum 4. Band der donauschwäbischen Anthologie „Die Erinnerung bleibt“
Es gehört schon eine gehörige Portion Idealismus und Leidenschaft dazu, ein auf sieben Bände angelegtes Publikationsvorhaben im Alleingang überhaupt anzugehen und trotz allerlei Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten dann auch noch Schritt für Schritt zu realisieren. Das hier in Rede stehende Vorhaben ist eine Anthologie mit dem programmatischen Titel „Die Erinnerung bleibt. Donauschwäbische Literatur seit 1945“. Anhand von Textbeispielen will sie dazu beitragen, die in den Werken donauschwäbischer Autoren festgehaltene Erinnerung an die Donauschwaben zu bewahren, wobei die ausgewählten Texte ausnahmslos in den mittlerweile 65 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden sind. In dem festen Glauben, dass eine solche Anthologie ein notwendiges und sinnvolles Unterfangen ist, haben Herausgeber wie Verleger seit 1992 nichts unversucht gelassen, dieses wagemutige Projekt zu verwirklichen. Stefan Teppert, in der donauschwäbischen Siedlung Entre Rios in Brasilien geboren, studierter Germanist und Historiker, langjähriger hauptamtlicher Bundeskulturreferent der Landsmannschaft der Donauschwaben und Träger des Donauschwäbischen Kulturpreises 2009 des Landes Baden-Württemberg, hat sich die schwere Bürde der Herausgeberschaft aufgelastet, während das verlegerische Risiko der Reihe von Oswald Hartmann getragen wird.
Vierzehn Jahre nach dem ersten ist im Herbst des vergangenen Jahres nun der vierte Band der Anthologie (2. Band 2000; 3. Band 2004) erschienen; er umfasst die Buchstaben K und L. 3844 Seiten, 213 Autoren, darunter allein knapp 100 aus dem rumänischen Banat, hunderte Lyrik- und Prosatexte verschiedenster Gattungen, einschließlich mundartliche Texte sowie Selbstzeugnisse von leidgeprüften Donauschwaben, die Internierung und Verschleppung, Flucht und Vertreibung durchgemacht und überlebt haben – so lautet die Zwischenbilanz des umfangreichen, langfristigen Projekts.
Von der Konzeption her ist diese Sammlung nicht als Anthologie im engeren Sinn einer Blütenlese des Besten, der „Highlights“ angelegt, sondern im weiteren Sinn einer Bestandsaufnahme der donauschwäbischen Literatur der Nachkriegszeit. Der thematische und geographische Bogiveau der vertretenen Literaten und die von ihnen gepflegten Textsorten oder literarischen Gattungen. Der Sammlung liegen weniger literaturkritische oder ästhetische Kriterien zugrunde; sie offenbart vielmehr das Bestreben, Kostproben des literarischen Schaffens einer weltweit zerstreuten Volksgruppe in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu bieten und das kollektive literarische Erbe aufscheinen zu lassen. Der Herausgeber legt keine Messlatte an, er wertet und bewertet nicht; sein Anspruch lautet eher, donauschwäbische Autoren und deren Werk mittels ausgewählter Texte vorzustellen.
Die Anthologie ist mehrdimensional angelegt, vereinigt sie doch neben Lyrik und Prosa von zugegebenermaßen unterschiedlichem literarästhetischem Wert auch solche Texte, die einerseits dialektologische oder ethnographische Eigenheiten überliefern und damit Einblicke in die Wesens- und Lebensart der Donauschwaben geben und andererseits – bezogen auf die vielleicht literarisch nicht allzu hoch angesiedelten, aber ihrer Authentizität wegen bedeutsamen Erlebnisberichte und Lebensgeschichten – Zeugnis vom leidvollen Schicksalsweg dieser Volksgruppe im 20. Jahrhundert ablegen. Dergestalt verschränkt sich die literarische Ebene mit historischen, soziologischen, ethnologischen oder mundartlichen Aspekten. Daraus erwächst ein komplexes Bild der Volksgruppe der Donauschwaben, ihrer Literatur, ihrer Geschichte und ihrer Eigenart.
Vom Aufbau her gliedert sich die Anthologie in zwei Teile. Der umfangreichere erste Teil ist den Autoren und ihren Texten gewidmet. Auf einem Vorsatzblatt wird jeder Autor mit Kurzvita und Porträtfoto vorgestellt. Die sich anschließende Auswahl von Texten – ganz gleich, ob in der Hochsprache oder in Mundart verfasst – berücksichtigt nach Möglichkeit alle literarischen Gattungen und fällt dem Umfang nach, je nach Ergiebigkeit des jeweiligen Autors, unterschiedlich aus. Im Durchschnitt umfassen die literarischen Kostproben etwa fünfzehn Seiten je Autor.
Der als Anhang konzipierte, für Wissenschaft und Laiennutzer gleichermaßen relevante zweite Teil wurde von Band zu Band erweitert und systematisiert. Zunächst wird in einem Quellennachweis der Erscheinungsort jedes veröffentlichten oder das Entstehungsjahr jedes unveröffentlichten Textes ausgewiesen. Als äußerst nützlich und wertvoll erweisen sich die umfassenden, chronologisch geordneten und nach verschiedenen Gesichtspunkten gegliederten Bibliographien, die sowohl die selbständigen Werke der einzelnen Autoren verzeichnen als auch die in Anthologien und Sammelbänden abgedruckten Beiträge sowie die kleineren Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften detailliert aufführen. Diese vorher meist gar nicht oder nur in Ansätzen existierenden Verzeichnisse sind das Ergebnis einer aufwändigen, mittlerweile so gut wie abgeschlossenen Auswertung diverser Zeitungen und Zeitschriften, Anthologien und Bibliographien, Lexika und Werke der Sekundärliteratur. Die ausgewerteten Medien sind im Anhang gesondert ausgewiesen. Zudem umfasst der Anhang ein Verzeichnis der in den Autorenbibliographien verwendeten Abkürzungen für Periodika, Anthologien und Sammelbände. Zusätzlich wird ab dem dritten Band einschlägige Sekundärliteratur erfasst. Eine Neuheit im vierten Band ist die Liste der Pseudonyme, Mundart-, Kose-, Bei- und Spitznamen, der Namenskürzel, Namensmadjarisierungen oder historisierenden Namensformen donauschwäbischer, in dieser Anthologie vertretener wie auch früherer Autoren (insgesamt 174). Der Anhang mit seiner Fülle an Daten erweist sich als unentbehrliches Hilfsmittel für weiterführende Studien und animiert geradezu zu vertiefender Lektüre.
Von den 62 im vierten Band vereinten Autoren stammen 26 aus dem rumänischen Banat. Unter ihnen befinden sich einige klangvolle Namen wie Franz Xaver Kappus, Karl Kerényi, Heinrich Lauer oder Johann Lippet und noch mehr weniger bekannte, vielfach auch völlig unbekannte oder bereits wieder vergessene Autoren, wie die zwischen 1912 und 1932 geborenen Josef Komanschek, Andreas A. Lillin, Wilhelm Koch, Hansjörg Kühn, Franz Keller, Hans-Alois Lambing, Josef Kopp und Anton Klein bzw. Wolfgang Koch, Helga Korodi, Katharina Kilzer, Roland Kirsch, Marius Koity und Armin Konnert aus der Nachkriegsgeneration. Mit Mundarttexten vertreten sind Josef Linster, Anton Kiss, Mathias Kandler, Helene Kling und Rainer Kierer. Lebens- und Erlebnisberichte stammen von Hans Lamesfeld, Josef Kupi, Anton Krämer und dem bereits erwähnten Mathias Kandler. (Die Nennung der Autoren erfolgte jeweils in der Reihenfolge ihres Geburtsjahres.)
Die gewichtigen und schön ausgestatteten Bände der Reihe sind ein Fundus schier unerschöpflicher Lektüre. Ihr Herausgeber hat vieles an literarischen Schätzen geborgen. Diese wiederzuentdecken liegt nun an den Lesern. Dass die Anthologie zugleich Nachschlagewerk ist und dadurch auch wissenschaftlichen Zwecken dient, lässt ihren Wert noch einmal steigen. Mit dieser anthologischen Sammlung hat Stefan Teppert den Donauschwaben ein bleibendes, wenn auch noch unvollendetes Denkmal gesetzt. Helfen auch Sie mit, verehrte Landsleute, dieses literarische Monument zur Vollendung zu bringen, indem Sie eine Spende für den „Förderkreis Donauschwäbische Anthologie ‚Die Erinnerung bleibt’“ (bei der Sparda-Bank, Filiale Friedrichshafen, Kontonummer 26 58 224, Bankleitzahl 600 908 00) leisten oder die Bände beim Verlag erwerben.
Die Erinnerung bleibt. Donauschwäbische Literatur seit 1945. Eine Anthologie. Band 4: K-L. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Stefan Teppert. Sersheim: Hartmann Verlag 2009, 1144 Seiten. ISBN 3-925921-26-5. Bestellungen an: Oswald Hartmann Verlag, Postfach 1139, 74370 Sersheim, Tel. 07042/33604, Fax 07042/830059, E-Mail Oswald.Hartmann@t-online.de, Preis: 35 Euro (zzgl. Versandkosten). Bestellt werden können auch noch Band 1 (A-D), Band 2 (E-G) und Band 3 (H-J) zum Preis von je 35 Euro (zzgl. Versandkosten).