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Aufbruch entlang der Donau (I)

Blick in die Sonderausstellung des DZM

Facettenreicher Auftakt zum Jubiläumsjahr - Ulm war im 18. Jahrhundert Dreh- und Angelpunkt einer großen Auswanderungswelle donauabwärts, die im Jahr 1712 ihren Anfang nahm. Das im Jahr davor geschlossene Friedensabkommen von Sathmar zwischen Kaiser Karl VI. und den ungarischen Ständen hatte den Weg freigemacht für die Ansiedlung deutscher Kolonisten im Königreich Ungarn. Obwohl die erste Ansiedlungsaktion auf den Gütern des Grafen Alexander Károlyi im Komitat Sathmar im Jahr 1712 mangels jeglicher Organisation weitgehend scheiterte, markiert sie den Auftakt der Auswanderung nach Südosteuropa, in deren Verlauf rund 400000 Deutsche angesiedelt wurden. Die Stadt Ulm erklärte das Jahr 2012, in dem sich der Beginn der Kolonisation zum 300. Mal jährt, zu einem Jubiläumsjahr und stellte es unter das Motto „Aufbruch von Ulm entlang der Donau 1712/2012“. Mit einer Vielzahl von Veranstaltungen erinnern die Stadt und ihre Kooperationspartner von Mai bis November an die Auswanderung im 18. Jahrhundert und an die Bedeutung Ulms als Durchgangsstation und Einschiffungsort tausender Ausreisewilliger. Dabei richtet sich der Blick nicht nur auf die Vergangenheit, sondern gleichermaßen auf aktuelle Fragen von Migration. Den Auftakt zur Eröffnungswoche des Jubiläumsjahres bildete ein ökumenischer Gottesdienst in der Wengenkirche am 6. Mai. Die Wahl fiel nicht zu-fällig auf diese Kirche, kam doch dem ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift St. Michael zu den Wengen im 18. Jahrhundert im durch und durch protestantischen Ulm eine besondere Rolle in der seelsorgerischen Betreuung der vorwiegend katholischen Auswanderer zu.

Ausstellung im DZM

Vor zahlreichem Publikum wurde am 10. Mai im Donauschwäbischen Zentralmuseum die Aus-stellung „Schwaben an der Donau. Die Ansiedlung in Ungarn im 18. Jahrhundert und ihre Folgen“ er-öffnet. Nach den Grußworten, unter anderem des Amtschefs des baden-württembergischen Innenministeriums, Ministerialdirektor Dr. Herbert O. Zinell, führte Prof. Dr. Gerhard Seewann (Inhaber einer Stiftungsprofessur der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Pécs/Fünfkirchen) in die Ausstellung ein. Das wohl wichtigste Auswanderungsmotiv sei die „Aussicht auf eine entscheidende Verbesserung und dauerhafte Sicherung der Lebensperspektive durch Land- und Hoferwerb in Ungarn“ gewesen, betonte der Historiker. Die deutsche Ansiedlung in Ungarn bewertete er als „eine wahre Erfolgsgeschichte“. Denn die Kolonisten hätten neben einem Startkapital vor allem moderne Methoden des Landbaus und Kenntnisse von rationeller Wirtschaftsführung und Vermarktung der Agrarprodukte und darüber hinaus eine Mentalität mitgebracht, „die ganz auf Eigenleistung, Produktivität und Besitzsteigerung ausgerichtet war“.

Die von Christian Glass, Andrea Vándor und Leni Perencevic konzipierte Ausstellung vermittelt anhand von Objekten, Bildern und Dokumenten – darunter viele Leihgaben der Partnermuseen aus Rumänien, Ungarn und Serbien – ein vielschichtiges Bild der Auswanderung und Ansiedlung im 18. Jahrhundert, wobei der Fokus auf die Siedlungsgebiete, das Schicksal der Kolonisten und die Folgen der Ansiedlung in Südosteuropa gerichtet ist. Beleuchtet werden in acht Abteilungen – wovon die erste dem deutschen Südwesten als wichtigstem Auswanderungsgebiet gewidmet ist – unter anderem die finanzielle Situation der Kolonisten und die Bedeutung von mitgebrachtem Kapital und nachgesandtem Erbe, die in den Zielgebieten vorgefundenen ethnisch-konfessionellen und kulturellen Strukturen, die hohe Sterblichkeit in den Ansiedlungsjahren und die daraus resultierenden neuen Familienkonstellationen, die Wandlung der Siedlungsstruktur und der Naturlandschaft infolge der Kolonisation sowie das Geheimnis des wirtschaftlichen Erfolgs der deutschen Siedler. Die Ausstellung ist bis 9. September zu besichtigen. Angesichts neuer Forschungserkenntnisse, die laut Kuratoren in die Ausstellung eingeflossen sind und ihres Anspruchs, mit so manchem Klischee aufzuräumen, wäre ein Begleitkatalog sowohl für den interessierten Besucher als auch für die Wissenschaft sicherlich ein Gewinn gewesen. Im Donauschwäbischen Zentralmuseum werden derzeit auch zwei neue Wanderausstellungen der Kulturreferentin für Südosteuropa gezeigt: „Sathmar und die Sath-marer Schwaben“ (Konzeption: Martin Rill und Dr. Swantje Volkmann) und „Die Ulmer Schachtel. Vom Transportmittel zum Symbol der Freundschaft“ (Konzeption: Wolf-Henning Petershagen).