Ein neuer Tonträger wird beim Ulmer Pfingstreffen der Landsmannschaft der Banater Schwaben vorliegen: Das Vater-Sohn-Tandem Anton und Alexander Bleiziffer möchte mit seiner neuen CD den Banater Liederschatz bereichern. Neue Klangbilder mit Momentaufnahmen aus dem Banat wurden im AMG-Haus in Temeswar und in Sanktanna aufgezeichnet und mit Alexanders „AkSyBaSt“-Sound auf CD gebrannt. Die 15 Volkslieder beeindrucken besonders durch ihre rein zufällige Gattungsvielfalt. Warum zufällig? Weil die vorgetragenen Lieder weder vorgegeben, noch einstudiert wurden. Langjährig gespeicherte Texte und Melodien wurden völlig ohne Partiturvorlage nur nach Gehör von unseren – noch dort lebenden – Banater Landsleuten abgerufen. Die jüngste Interpretin Marianne Hellstern (geb. 1976) aus Sanktanna und die gebürtige Glogowatzerin Theresia Dörner (geb. 1933) singen ohne vorheriges Einüben problemlos drei Lieder zweistimmig. Mit ihrer Mutter Katharina singt Marianne schon seit Gedenken im Elternhaus, in der Kirche und im Jahre 2008 sogar im Kinofilm La Paloma.
Der gebürtige Bogaroscher Raimund Slatina (geb. 1969) lernte die oben Genannten am Aufnahmetag kennen und sang auf Anhieb mit ihnen. Er kann all seine Lieder frei vortragen und bei Bedarf auch mit dem Akkordeon begleiten. Der blinde Sänger vom AMG-Haus ist mit seiner grandiosen Stimme dort schon so manchem Besucher positiv aufgefallen. Gelegentlich habe ich ihn auch schon im Festsaal bei Konzerten auf die Bühne gebracht, zum Mitsingen mit Blaskapellen aus Deutschland, wie mit den Eisenbahner-Musikanten aus Freiburg 2008. Beim Schwabenball 2010 fand er sofort Anschluss an eine spontan singende Gruppe, die in den Tanzpausen das offene Singen – wie einst im Banat üblich – wieder aufgriff. Ja so ist er, unser Raimund aus Temeswar, der auf dieser CD viermal als Solist, viermal im Duett mit Frau oder Mann und zweimal mit der ganzen Gruppe zu hören ist.
Wir haben vom trivialen Volkslied bis hin zum Begräbnislied alles aufgenommen, was die Sängerinnen und Raimund zu bieten hatten. Über zwanzig Titel wurden aufgezeichnet, von denen ein Viertel stilistischen und urheberrechtlichen Ansprüchen zum Opfer fiel. So wird die Liebe und das Leid im Lied, wie auch das Heimweh besungen. Vom Küchenlied bis hin zum Moritat-Bänkellied, ein Hochzeitslied sowie ein historisch-politisches Deportationslied und das sogenannte Kunstlied im Volksmund sind vertreten. Kein einziges Trinklied kommt zu Gehör, aber dafür ein kurzer Stimmungsmitschnitt zwischen den Liedaufnahmen, in dem der Schnaps, der Wein und das Bier eine Rolle spielen. Wir hoffen, dass diese Banater Stimmen in akustischer Symbiose die fehlenden drei Akkordharmonien kompensieren und die Hörer den so rar gesäten a-capella-Sound honorieren werden. Die gewollte Ablenkung von den überstrapazierten Klischees der tümlichen Volksliedbegleitung rückt die Schönheit und Eigenart der vokalen Musik in den Mittelpunkt des Gehörten. Es ist kein Chor, sondern der noch präsente Volksgesang aus dem Banat, der hier vorgestellt wird im Sinne eines Gesamtwerks, das mit dem letzten Lied harmonisch aufgelöst wird und die vielleicht teilweise vermissten Schlussakkorde hiermit der Seele Ruh gewähren.
Wie ein Leitmotiv durchziehen Lieder den Lebenszyklus vom Werden und Vergehen, geprägt von Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins, bis hin zur Ekstase der Sängerseele. Tiefe menschliche Empfindungen wecken die akkordlosen Melodien. Es sind alltägliche und dennoch außergewöhnliche Stimmen, die auf dieser CD erklingen. Die Klänge, die der Hörer wahrnehmen soll, sind befreit von sämtlichem Ballast und Kitsch. Lediglich von dezenten atmosphärischen Ge-räuschen und Klängen untermalt, stehen die Gesänge im Mittelpunkt. Diese Herangehensweise ist neu und wird mitunter auch zu ungewohnten Hörerlebnissen oder gar Unverständnis führen, doch die vertrauten Klänge und Texte werden den interessierten und offenen Hörer durch eine geballte Ladung Emotion und Ehrlichkeit versöhnlich stimmen. Dieser minimalistische Ansatz dürfte auch einer jüngeren Hörerschaft Zugang zu den sonst mit Akkordeon und Trompeten „verstellten“ Lieder ihrer Ahnen gewähren, da lediglich die Essenz der Lieder erklingt, angereichert mit subtilen, teilweise kaum hörbaren Geräuschen und Effekten versehen.
Dies ist vielleicht ein Schritt hin zur Zusammenführung der Generationen im Medium Musik. Mutter Katharina und Tochter Marianne Hellstern können sich bereits als erfolgreiche Filminterpretinnen rühmen, da sie schon vor fünf Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Diese Banater Stimmen der „La-Paloma“- Todesvariante aus dem gleichnamigen Film von Sigrid Faltin sind schon um den ganzen Erdball gezogen, ohne ihre Bodenhaftung zu verlieren. Damals konnte ich die Filmemacherin von meinen singenden Banater Landsleuten überzeugen. Auch diesmal hoffe ich auf positive Resonanz, da das Niveau mit dem Potenzial des blinden Sängers Raimund und der terz-singenden Theresia noch an-gehoben wird, obzwar sämtliche Lieder in nur zwei Tagen eingesungen wurden. Diese Performanz zu erreichen, ist bei Profis vielleicht denkbar, aber nicht immer mit Laien machbar. Wir hatten unseren Spaß, und Sie sollten Ihre Freude beim Hören der Platte haben. Die einzelnen Stimmen wurden ohne vorherige Absprache gepaart und abgewechselt.
Der mehrstimmige, gemischte Gruppengesang stellt eine Momentaufnahme dar, die es bis dato noch nie zuvor gegeben hat. Der Sänger und Sängerinnen harmonierten auf Anhieb, denn noch ist im Banat das Singen verbindend und Distanzen über-windend. Dieser Feststellung folgt der Aufruf an alle Hörer zum Mitsingen im Wohnzimmer, im Auto oder überall, wo noch gesungen wird. Selbst das Produktions- und Herausgebertandem konnte sich dem Mitsingen nicht entziehen. So entstand eine Coproduktion von Noch-Dort-Lebenden, Ausgewanderten und Schon-Hier-Geborenen, die als ein Brückenschlag von Ost nach West zu bewerten ist. Für das Zustandekommen dieses Tonträgers sind wir vor allem den Protagonisten zu Dank verpflichtet, die uns honorarfrei zur Verfügung standen. Dem Leiter des AMG- Hauses, Helmut Weinschrott, danken wir für die freundliche Aufnahme, die Bereitstellung der Räume und des Zubehörs. Auch der Leiterin des Altenheims in Sanktanna, Anna Macarie, danken wir für die reibungslose Abwicklung und gratulieren hiermit schon zum Jubiläum „Zwanzig Jahre Altenheim in Sanktanna“. Ohne die materielle Unterstützung unserer Förderer, wie dem Verein „Valores“ Hilfe – Jugend – Kultur, der Landsmannschaft der Banater Schwaben und des Kulturreferats für Südosteuropa, hätte dieses Projekt nicht durchgeführt werden können.
Der Reinerlös dieser CD wird auf Wunsch aller Beteiligten für die Renovierung der Banater Wallfahrtskirche Maria Radna ein-gesetzt. So wollen wir uns der enormen Herausforderung stellen, Gutes zu tun. Gutes tun können außerdem alle, die diese CD in Ulm beim großen Schwabentreffen zu Pfingsten oder auch später erwerben. Das Projekt war eine Herzensangelegenheit, und wir hoffen, auch Ihre Herzen, aber vor allem Ihre Ohren erreichen zu können.
Diese CD ist bei Anton Bleiziffer zu bestellen: Hauriweg 23, 79110 Freiburg, Tel. 0761 / 891379, für 6 Euro plus Versand. In Ulm beim Pfingsttreffen wird sie als Sonderangebot für 5 Euro das Stück verkauft.