Stefan Jägers Einwanderungsbild im Tausch gegen zwei Liter Wein. Am 28. Mai 1877 wurde Stefan Jäger in Tschene geboren, einem Dorf auf der Banater Heide nahe der Stadt Hatzfeld. Sein Großvater Michael Jäger, von Beruf Kaufmann, hatte sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts, aus Deutschland kommend, in der Banater Ortschaft Nakodorf (heute in Serbien) nieder-gelassen. Geboren wurde er im fränkischen Bad Königshofen im Grabfeld. Das vierte Kind von Michael Jäger aus seiner zweiten Ehe war Franz Jäger, der Vater des Malers Stefan Jäger. Als Sohn eines Kaufmanns bekam Franz Jäger in Budapest eine gute Ausbildung als Barbier und Feldscher, ein zu jener Zeit geschätzter und angesehener Beruf. Es gab wenige Ärzte, und das führte dazu, dass oftmals der Feldscher für die Behandlung von Wunden, zum Aderlassen, Zähneziehen und andere medizinische Eingriffe herangezogen wurde. Mit dieser Ausbildung zum Heilpraktiker zählte man bereits zur Schicht der Gebildeten. In Tschene eröffnete Franz Jäger eine gutgehende Praxis. Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete er die zehn Jahre jüngere Magdalena Schuller aus Billed. Sie bekamen zwei Söhne: Ferdinand und Stefan.
Bis 1889 war Stefan Jäger in Tschene, wo er auch die Volksschule besuchte. Ab 1889 besuchte er Franz Wieszners Öffentliche private Knaben-Bürgerschule in Temeswar. Hier wurden Sprachen, (ungarisch, deutsch, französisch), Naturwissenschaften (Naturkunde, Chemie, Physik, Erdkunde), Mathematik, Zeichnen, Gesang, Schönschreiben, Religion und Gymnastik unterrichtet. Der Madjarisierungsdruck wurde in jener Zeit immer heftiger, insbesondere in Temeschburg. Stefans Vater wollte seinem Sohn eine gute Ausbildung sichern. Deshalb schickte er ihn 1893 zur weiteren Ausbildung nach Szegedin an die Städtische Knaben-Bürgerschule. Dabei war dem Vater wichtig, dass der nun schon Sechzehnjährige auch seine Kenntnisse in der ungarischen Sprache vervollkommnen sollte. Aber Stefan Jägers Interesse am Zeichnen war größer als jenes, die neue Sprache zu erlernen. Sein Talent fiel seinem Zeichenlehrer (Obendorf) in der Szegediner Schule bald auf. Der Lehrer erweckte in Stefan Jäger das Interesse für die Malerei. Das führte dazu, dass Stefan Jäger im September 1895 auf die Modellzeichenschule und Zeichenlehrer-Bildungsanstalt in Budapest wechselte. Hier war er in den ersten beiden Jahren Schüler des bekannten Porträtisten Professor Ede Balló. Im dritten und vierten Schuljahr war er Schüler des berühmten aus Klausenburg stammenden Malers Bertalan Székely.
Nach Abschluss des Kunststudiums 1899 unternahm Stefan Jäger eine Studienreise, die ihn nach Österreich, Deutschland und Italien führen sollte. Die Reise hat er 1901 wegen der Erkrankung seines Vaters unterbrochen. Er kehrte zurück nach Tschene. Noch im selben Jahr starb sein Vater. Der 25-jährige Stefan Jäger sah in Tschene keine Zukunft für sich. Deshalb zog er 1902 nach Budapest und arbeitete dort als freier Künstler. Er malte auf Bestellung Heiligenbilder, Landschaftsbilder, Idyllen und Stillleben. Nach einiger Zeit bekam er auch Aufträge aus der Heimat. Es waren meist Heiligenbilder oder Kopien von Vorlagen. Der große Auftrag aus der Heimat kam im Jahr 1906 aus der Gemeinde Gertianosch. Es war ein Auftrag für ein Bild zum Thema „Die Ansiedlung der Deutschen in Südungarn“. Adam Rösner, Postmeister von Gertianosch, war einer der Initiatoren und gleichzeitig Verbindungsmann zu Stefan Jäger. Rösner, verheiratet mit einer Tochter aus der reichen Familie Vuchetich aus Tschene, war auch Gründer eines Heimes für katholische Theologiestudenten in Szeged und Gründer der ersten Gertianoscher Sparkassen-Aktiengesellschaft. Er organisierte groß-angelegte Sammelaktionen und kulturelle Veranstaltungen, um die Finanzierung des Einwanderungsbildes zu gewährleisten. Aber Adam Rösners Engagement für die Entstehung des Einwanderungsbildes war nicht ohne Hintergedanken. Er sicherte sich das Recht des Mitbesitzers. Noch in Budapest ensteht der erste Entwurf für das spätere Gemälde. Es war ein 3 x 1,50 Meter großes Bild, auf dem die Trachten der Siedler leider nicht zeitgemäß dargestellt waren. Deshalb musste ein zweites Bild gemalt werden. Neue Sammel-aktionen wurden gestartet, und Stefan Jäger machte zunächst
Studienreisen nach Stuttgart, Ulm und Nürnberg, die aus Spenden der Gertianoscher finanziert wurden. Auf diese Weise sollte dem Künstler die Möglichkeit geboten werden, das Einwanderungsbild realitätsbezogener zu gestalten.
Nach seiner Rückkehr 1906 begann Stefan Jäger die Arbeit an einem neuen Bild. Es wurde 1910 fertiggestellt und besteht aus drei Teilbildern: Wanderung (1,5 x 1,5 Meter), Rast (1,5 x 2 Meter) und Ankunft (1,5 x 1,5 Meter). Somit entstand ein Triptychon in der Gesamtgröße von 1,5 x 5 Meter.
In Gertianosch war für das gleiche Jahr eine Gewerbe- und Landwirtschaftsausstellung geplant. Für diese Ausstellung wurde eine neue Ausstellungshalle aus Brennziegeln erbaut. Der langgestreckte Bau der Ausstellungshalle war vierzig bis fünfzig Meter lang und sechs Meter hoch. Am Pfingstsonntag, dem 15. Mai 1910, frühmorgens um 8 Uhr, fand in dieser Halle die Eröffnung der Gewerbeausstellung und die Enthüllung des Einwanderungsbildes statt. Die Ausstellung endete am Pfingstmontagabend. Sie war ein voller Erfolg.
Stefan Jäger ließ sich 1910 in der Großgemeinde Hatzfeld endgültig nieder und begann, auf Bestellung Bilder zu malen. In den Kriegsjahren 1914–18 war Jäger als Landsturmmann an der Front. Nach Kriegsende kehrte er nach Hatzfeld zurück. Zurückgezogen lebte er bescheiden von seiner Kunst. 1927 stirbt seine Mutter Magdalena. 1930 veranstaltete Jäger in Großbetschkerek (heute Zrenjanin, im serbischen Teil des Banats) seine erste Ausstellung mit Arbeiten aus dem Privatbesitz. Seine Bilder wurden immer bekannter. Nach dieser Ausstellung kamen besonders aus dem Torontaler Komitat viele Bestellungen. Auch in der Batschka interessierte man sich zunehmend für seine Malereien. Aus dem rumänischen Teil des Banats hingegen kamen anfangs wenige Bestellungen.
Anlässlich seines achtzigsten Geburtstags im Jahr 1957 wurde Stefan Jäger der rumänische Arbeitsorden II. Klasse verliehen. Er starb am 16. März 1962 in seiner Wahlheimat Hatzfeld. 1967 fand im Temeschburger Museum (Muzeul Banatului) eine Gedächtnisausstellung statt. Im Jahre 1968 wurde in seinem ehemaligen Atelier in Hatzfeld eine erste Stefan-Jäger-Gedenkstätte eingerichtet, aus der das heutige Stefan-Jäger-Museum hervorging. Hier sind Originale und originalgetreue Reproduktionen ausgestellt. Das erste Einwanderungsbild, das Stefan Jäger noch in Budapest begonnen hatte, ist verschollen. Das Einwanderungsbild von der Ausstellung in Gertianosch hat Adam Rösner in späteren Jahren, als er sich in materiellen Schwierigkeiten befand, für 2000 Kronen der Stadt Temeschburg verkauft.
Anfang Juli 1944 begann für das Einwanderungsbild eine abenteuerliche Reise. Am 16. und 17. Juni 1944 wurde Temeschburg von den Engländern und am 3. Juli von den Amerikanern bombardiert. Der damalige Direktor in der „Banatia“, Anton Valentin, suchte wie viele andere einen Wohnort auf dem Lande, wo er sich und seine Familie in Sicherheit bringen konnte. Durch Vermittlung des Blumenthaler Kapellmeisters Nikolaus Barth, der damals im Orchester der Banatia spielte, kam die Familie Valentin schließlich nach Blumenthal, einem Dorf 35 Kilometer nordöstlich von Temeswar. Hier konnte er Anfang Juli 1944 mit seiner Familie in das freistehende Haus mit der Hausnummer 63 einquartiert werden. Anton Valentin hatte neben den wichtigsten Habseligkeiten auch mehrere wertvolle Bücher aus seinem Eigentum mitgebracht.
Im Temeschburger „Scherter- Haus“, dem ursprünglichen „De- Jean-von-Hannsen-Haus“, hatte das Kulturamt der Deutschen Volksgruppe in Rumänien seinen Sitz. Anton Valentin war dessen Leiter. Ab 1941 fand im Scherter-Haus eine Ausstellung statt, in der bedeutende Werke Banater Kunst und Wissenschaft gezeigt wurden, auch das Einwanderungsbild von Stefan Jäger. Anton Valentin nahm das Einwanderungsbild in seine Obhut und brachte es in sein Haus in Blumenthal. Bekanntlich wechselte Rumänien am 23. August 1944 die Seiten. Familie Valentin flüchtete aus Blumenthal. Fast alles blieb zurück – auch das Einwanderungsbild, in drei Rollen zusammengewickelt. Bald danach zogen russische Truppen plündernd durch Blumenthal. Sie suchten alkoholische Getränke, Frauen und Wertsachen. Am Haus der Valentins waren das Eingangstor und alle Türen verschlossen. Russische Soldaten brachen ein, durchsuchten alles, fanden aber anscheinend nichts Wertvolles. Nach dem Abzug der Russen kamen rumänische Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet zur Sowjetunion. In das von Familie Valentin verlassene Haus wurde die rumänische Flüchtlingsfamilie des Ion Paiu einquartiert. Der Onkel von Ion Paiu, der unter anderem auch mit Schmuck handelte, war unweit einquartiert. Er erkannte als erster den Wert der drei Rollen des Einwanderungsbildes.
Das Kind der rumänischen Flüchtlingsfamilie spielte mit dem damals zehnjährigen Georg Bomans, einem Jungen, der gegenüber wohnte. Bald darauf bot der Onkel des rumänischen Jungen Georg Bomans das Einwanderungsbild zum Tausch an. Gegen zwei Liter Wein! Georg Bomans und sein älterer Bruder erzählten dies ihrem Vater, und dieser willigte in den Tausch ein. Auf dem Hambar (in Blumenthal Kotarke genannt), einem winddurchlässigen Speicher für Mais, wurde das Bild bei Bomans ausgebreitet, bestaunt und begutachtet. Es wurde dem Gemeindeangestellten Peter Müller und später auch Pfarrer Haubenreich gezeigt. Man war sich einig, dass dieses Bild das Einwanderungsbild von Stefan Jäger sei. In Tüchern verhüllt behielten die Brüder Bomans das Bild allerdings weiterhin versteckt. Erst nach den Kriegswirren und nachdem sich die Lage in Temeschburg einigermaßen beruhigt hatte, wurde das Triptychon Peter Müller übergeben, der es der Stadt Temeschburg zurückgab. Heute befindet sich das Einwanderungsbild im Besitz des Banater Museums in Temeswar und ist in der großen Eingangshalle des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses ausgestellt. Es kann jederzeit besichtigt werden.