Zum 200. Geburtstag des Klaviervirtuosen
Vom 7. bis 11. November 1846 befand sich Liszt in Arad. In Orzydorf wurde er von Husaren und einer Delegation der Stadt Arad auf offener Straße empfangen. Ihm wurde der Schlüssel der Stadt überreicht und ein Lorbeerkranz aufs Haupt gelegt. Die gegenseitigen Sticheleien zwischen Temeswar und Arad waren schon damals präsent, und so schrieb das Temeswarer Wochenblatt über dieses Ereignis: „Wir Temeswarer können, was Courtoisie anbelangt, noch immer bei unser Nachbarstadt Arad in die Schule gehen, denn diese hat unserem Liszt nicht nur Triumphbogen errichtet, ihn nicht nur angesungen und festgegessen, sondern es ist ihm zu Ehren auch das uniformierte Bürgercorps ausgerückt und der Magistrat hat ihm das Ehrenbürgerdiplom bis Orzydorf entgegengetragen; nur vergaß man ihm nicht die Schlüssel der Stadt auf einem Samtpolster kniend darzubringen, was auch immer verziehen wird. In einem Punkte jedoch blieben die guten Arader hinter uns zurück: wie kann man dem Klavierheros aber auch nur einen Blumenkranz aufs Haupt setzen wollen?“
Franz Liszt spielte in Arad im Festsaal des Hotels „Zum Weißen Kreuz“ (heute Hotel Ardealul). In diesem Hotel wohnte er in diesen Tagen. Eine Zigeunerkapelle hat ihn bereits in seinem Zimmer empfangen und hat für ihn gespielt.
Nachdem der Primás (Kapellmeister der Zigeunerkapelle) ihm die Hand geküsst hat, bedanke sich Liszt mit einem Kuss auf dessen Stirn. Auch hier ereigneten sich nach den beiden Konzerten die gleichen Vorkommnisse wie in Temeswar: Blumenregen nach jedem vorgetragenen Klavierstück, Widmung zahlreicher Gedichte, die ihm auf Zetteln zugeworfen wurden, Serenade von der Regimentsmusik, Feuerwerk, Fackelzüge usw. Liszt improvisierte bei diesen Konzerten auch nach Themen, die ihm vom Publikum mitgeteilt wurden. Auf der Bühne des Arader Saales standen zwei Klaviere, die speziell aus Wien geliefert wurden. Aus einer damaligen Zeitung können wir erfahren, dass die damaligen Klaviere Südungarns, also auch des Banats, für die Konzerte Liszts nicht geeignet waren. Deshalb hat man einige Instrumente der Wiener Klavierbauer Schweighofer und Streicher per Dampfschiff nachschicken lassen. Der Chronist versicherte aber seine Leser: „… Wir können auf Ehre versichern, daß der Klaviersouverain bei uns nicht ein einziges Piano zertrümmert hat.“
Hier in Arad lernte Franz Liszt den damals bedeutendsten Banater Orgelbauer Anton Dangl kennen. Dieser wird später von Liszt den Auftrag erhalten, die erste Orgel für die neu errichtete Budapester Musikhochschule zu bauen. Liszt bedankte sich bei ihm mit einem Brief und einer Widmung. Die Stadt Arad verfügte bereits im Jahre 1833 über ein eigenes Konservatorium (das erste in Ungarn), das von der Gesellschaft der Musikfreunde gegründet wurde. Die Kultur der Stadt wurde größtenteils von den jüdischen Bürgern gefördert, auch das alte Theater, in welchem bedeutende ausländische Künstler konzertierten, wurde von dem Geschäftsmann Jakob Hirschl errichtet. Die „Musikalischen Academien“ der damaligen Zeit erfreuten sich in dieser Stadt großen Beliebtheit. Das äußerst kunstvoll gestaltete Ehrenbürgerdiplom der Stadt Arad, das erst vor kurzer Zeit entdeckt werden konnte, wurde von Bürgermeister Franz Schärfeneder und einem Sekretär der königlichen Freistadt Arad, namens Ferenc Pásztory, unterschrieben.
Unweit der Stadt Arad liegt der Ort Hellburg (damals Vilagós), mit dem Landsitz der Baronin Antonia von Bohus. Diese gebildete Frau bemühte sich früh um die Gründung der ersten Kinderbewahranstalten dieser Gegend und sorgte für die Milderung der Not der rumänischen, ungarischen und deutschen Bevölkerung dieser Orte. Noch als Kind hatte sie Gelegenheit, Franz Liszt 1823 in Pest kennenzulernen. Dieser schrieb ihr damals einige Zeilen in deutscher Sprache in ihr Poesiealbum. Es ist das älteste schriftlich erhaltene Dokument von Franz Liszt. Gleichzeitig ist der Ort Világos auch von historischer Bedeutung: Hier wurde 1849 der Friedensvertrag zwischen den siegreichen russischen und österreichischen Militärs und den besiegten ungarischen Aufständischen unterschrieben. Bekanntlich wurden dreizehn ungarische Generäle vor der Festung Arads auf Befehl des Wiener Hofes hingerichtet. Liszt widmete diesen ungarischen Freiheitskämpfern seine Komposition Les funérailles.
Während der 48er Revolution wurde Graf Teleki, der Liszt auf seiner letzten Konzertreise begleitet hat, wegen seiner Teilnahme am Kampf gegen die Habsburger in Arad verhaftet und in ein Gefängnis geworfen, konnte aber nach kurzer Zeit entkommen und nach Konstantinopel fliehen. Nach seiner achtzehnjährigen Verbannung erhielt er im Jahre 1867 durch den österreich-ungarischen Ausgleich sein Vermögen und sein Stammgut Koltó zurück. Baron Bodog Orczy war ebenfalls ein naher Freund Liszts, dessen Familie gehörte das Gut um die banatschwäbische Gemeinde Orzydorf. Dieser war auch als Komponist tätig, die Ouvertüre zu seiner Oper „Il Renegato“ wurde am 15. Dezember 1867 von der Budapester Philharmonie unter seiner Leitung aufgeführt. Liszt selbst schätzte dieses Werk sehr und nahm es am 5. April 1875 in sein Konzertprogramm auf. Am 8. Juli 1881 wurde „Il Renegato“ von der Londoner italienischen Oper aufgeführt. Baron Orczy übersiedelte nach London und war hier unter anderem als Klavierlehrer tätig. Franz Liszt, der ihn hier 1886 besuchte, widmete ihm seine 11. Ungarische Rhapsodie. Zu den Förderern Liszts gehörte auch Kardinal Lorenz Schlauch (1824–1902), ein gebürtiger Neuarader, dessen Gruft sich in dem innenstädtischen Temeswarer Friedhof befindet. Im Jahre 1880 wurde er (damals noch Bischof von Sathmar) zum Vorsitzenden des Provisorischen Direktionsrates der Budapester Musikakademie gewählt.
In Lugosch
Das Konzert in Lugosch soll der Budapester Journalist Lazar Petrichevich-Horvath in die Wege geleitet haben, der darüber in einer ungarischen Zeitung kurz berichtet hat. In einem Brief an seinen Freund und Gönner Baron Antal Augusz berichtet Liszt unter anderem über den festlichen Empfang, der ihm in den Banater Orten bereitet wurde. Am 14. November 1846 kam Liszt in Lugosch an. Vermutlich verblieb er zwei oder drei Tage hier, was bisher leider nicht belegt werden konnte. Bisher konnte keine einzige primäre Quelle über dieses Konzert gefunden werden. Wir wissen nur, dass am Abend des 14. November gemeinsam mit der Elite der Stadt Lugosch ein Abendessen im Hause Jakabfy stattgefunden hat. Nach dem Konzert vom 15. November fand im Hause der Baronin Ida Kiss ein festlicher Empfang statt, an welchem siebzig Personen teilgenommen hatten. In dieser Stadt an der Temesch soll Franz Liszt den ersten Kontakt zu rumänischen Bauern gehabt haben, die an dem triumphalen Empfang des Künstlers teilnahmen und von ihm Unterstützung verlangten. Diese stoppten bei der Einfahrt in die Stadt die Fuhrwerke, und Liszt musste sich all die bedrückenden Sorgen dieser Bauern anhören. Diese freuten sich, dass ein solch „hoher Herr“ zu ihnen gekommen sei, um „ein wenig Gerechtigkeit zu schaffen“. Einer weiteren Quelle nach soll Franz Liszt in Lugosch beim Apotheker Franz Galliny übernachtet haben, wo er mit Otilia und deren Tochter Irma (Mutter und Tochter) musiziert haben soll. Wir kennen auch den Ort des Lugoscher Konzertes: es war das erste Theater der Stadt, das nur einige Jahre davor, 1835, von Seilermeister Anton Liszka erbaut wurde. Die Fassade des damaligen Theaters, gelegen in der Kirchengasse (neben der ehemaligen Konditorei „Liliacul“), ist bis heute teilweise erhalten und erkennbar. Liszt wurde danach von Baron Guido Karácsonyi nach Temeswar begleitet, wo er sein drittes Konzert gegeben hat. Bereits im Jahre 1868 wurde Franz Liszt zum Ehrenmitglied des Lugoscher Gesang- und Musikvereins ernannt. Die Urkunde konnte bisher sowohl in Budapest wie in Weimar leider nicht entdeckt werden. Damals war Liszt bereits Abbé und Präsident der Landesmusikakademie in Budapest. Dieser Verein hat von ihm 21 Werke in 52 Konzerten aufgeführt. Zum wertvollen Inventar dieses Vereins gehörte auch ein Portrait Liszts, das der damalige Chorleiter Conrad Paul Wusching gestiftet hat.
Mit dem Namen Franz Liszt ist auch die Tätigkeit der Lugoscher Komponistin, Schriftstellerin und Folkloristin Sofia Vlad-Radulescu (1851–1943) verbunden, die – einigen Berichten zufolge – zu dessen Schülerkreis gehörte. Einige Lokalhistoriker behaupten, Liszt habe ihre Kompositionen gekannt und gewürdigt. Sie stammte aus Tschakowa und hat sich später in Lugosch niedergelassen, wo sie rumänische Volkslieder sammelte und einige dieser Themen in ihren Klavierstücken bearbeitet hat. Ihre Unterschrift (Sofie Vlad) finden wir auf einem Erstdruck von Franz Liszts „Ave Maria“, das im Jahre 1865 in Pest veröffentlicht wurde.
Auf dem Weg nach Konstantinopel
Mit vier Kutschen, jeweils von acht Pferden gezogen, ging die Konzertreise weiter nach Hermannstadt, Klausenburg, Bukarest, Jassy, Kiew, Lemberg, Czernowitz, Galatz, Odessa und Konstantinopel. Liszt beschäftigte sich bereits damals mit der Sammlung von Volksliedern und Volkstänzen, die er in seine Ungarischen Melodien und später in seine Ungarischen Rhapsodien eingearbeitet hat. An den Ungarischen Rhapsodien arbeitete er bereits während seiner Konzertreise durch das Banat, Siebenbürgen und durch die Rumänischen Fürstentümer. Viele der musikalischen Themen hat er, gespielt von Zigeunerkapellen, auf mehrere Blätter notiert, die bereits der aus dem Banat stammende Béla Bartók untersucht hat. Schriftlich hat er einige Erlebnisse dieser Konzertreise in seinem Buch „Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn“ festgehalten. Dieses Buch erschien 1859 in französischer Sprache in Paris und schildert unter anderem auch die Musik der Zigeuner in den südosteuropäischen Regionen, die er 1846–47 durchreist hat.
Die Erinnerungen an die Anwesenheit Franz Liszts im Banat sind bis heute wach. Der bedeutende Banater Musiker, Pädagoge und Politiker Dr. Josef Willer sagte: „Franz Liszt ist einer von uns. In Temeswar und Lugosch wirkten einige seiner Enkel- und Urenkelschüler, wie Irma Hun und Klara Peia, und seine Werke wurden und werden mit Vorliebe in Kirchen und Konzertsälen aufgeführt. In Arad soll heute noch ein Klavier stehen, auf dem Franz Liszt gespielt haben soll. Aber noch längst sind nicht alle Spuren seiner Anwesenheit im Banat für die Zukunft gesichert und die zahlreichen Dokumente in staatlichen und privaten Sammlungen ausgewertet. Über keinen anderen Künstler haben die Zeitungen vor und nach 1846 so viel berichtet wie über Franz Liszt. Dadurch wurden indirekt auch die Musikszenen der Städte Temeswar, Arad und Lugosch beleuchtet – ein wichtiger Teil unserer gemeinsamen europäischen Musikgeschichte.“