Mit dieser kurzen Dokumentation will ich dem verbreiteten Vorurteil entgegentreten, die Rumäniendeutschen wären nach dem Zweiten Weltkrieg vierzig Jahre lang auf den Koffern gesessen und hätten Daumen gedreht. Oft ergibt sich das Vorurteil aus dem Trugschluss, wer von deutscher Kultur im kommunistisch regierten Rumänien spreche, der habe den real existierenden Kommunismus akzeptiert. Aber die Wirklichkeit ist komplex, mit Schwarzweißmalerei wird man ihr nicht gerecht. Wahr ist, dass die Rumäniendeutschen alle erkannten Möglichkeiten genutzt haben.
Gemessen an den zahlreichen Leistungen und an ihrer Qualität verzeichnete das deutsche Kulturleben in den sechziger und siebziger Jahren eine Blüte. Die Basis dafür war, dass viele Deutsche weiterführende Schulen und Hochschulen absolviert hatten. Das Studieren war unsere Stärke. Noch in den achtziger Jahren hielt man dem deutschen Generalschulinspektor im Ministerium vor, die Zahl der deutschen Hochschüler liege prozentual über dem Anteil der Minderheit an der Gesamtbevölkerung (1). Man darf, wenn von der Blüte die Rede ist, nicht bei der Frage stehenbleiben, wie diese möglich geworden ist, sondern wir sollten auch überlegen, was ohne Zensur gelungen wäre. Die Hauptstadt des Banats war ein Hochschulzentrum. Hier befanden sich schon das nach dem Ersten Weltkrieg entstandene, später ausgebaute Polytechnikum, das Medizinische Institut, das Agronomische Institut und die 1962 gegründete Universität, die aus dem 1956 entstandenen Institut für Mathematik und Philologie hervorging. Zum Ende der Blüte trugen nach und nach mehrere Ursachen bei, die sich überlagerten: die Misswirtschaft – der zunehmend dogmatische und nationalistische Kurs der Parteiführung – die massive Auswanderung der Deutschen (grob gerechnet die Hälfte im Laufe von zwanzig Jahren) – schließlich die mörderische Sparpolitik der Regierung als Reaktion auf die hohen Auslandsschulden.
Die Recherche für diese Dokumentation ist ein Kind der 46. Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Sindelfingen im November 2010. Die Dokumentation entstand mit Blick auf die 47. Kulturtagung im November 2011, wo abermals Temeswar im Mittelpunkt stehen wird. (In der folgenden Aufstellung kommt die technische Intelligenz nicht vor; von der war im „Banater Kalender 2009“ und an anderer Stelle die Rede.)
Lehrerbildungsanstalt in der Josefstadt
Für das kulturelle Leben der Banater Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Lehrerbildungsanstalt in der Temeswarer Josefstadt (in den Gebäuden des ehemaligen Notre-Dame-Klosters) die größte Rolle. Sie wurde im Rahmen der Schulreform gegründet und offiziell am 1. Oktober 1948 eröffnet. Ihr Status war der einer Mittelschule mit vier Klassen. In dieser Form bestand sie bis 1957 und hatte (mit dem Jahrgang 1958) zehn Absolventenjahrgänge. Ab dem Herbst 1958 erfolgte im selben Gebäudekomplex, doch innerhalb anderer Schulen, wieder eine Ausbildung für deutsche Grundschullehrer, und zwar mit einer Dauer von sechs Jahren. Davon gab es drei Absolventenjahrgänge: 1964, 1965 und 1966. Im Sommer 1957 erhielt die Schule den Namen „Mittelschule Nr. 9 mit deutscher Unterrichtssprache“, aber schon zwei Jahre später wurde sie mit anderen Schulen zum „Lyzeum Nr. 10“ zusammengeschlossen. Im September 1971 zog die deutsche Abteilung des Lyzeums Nr. 10 (acht Schulklassen) in die Innere Stadt um und vereinigte sich mit der Lenau-Schule (2). Im Zeitraum 1948–1966 wurden rund 560 Absolventen gezählt (Grundschullehrer und Kindergärtnerinnen). Von 1954 bis 1957 erhielten die Schüler der A-Klasse zusätzlich eine Qualifizierung als Pionier-Instrukteure (3). Als Vorbereitung auf ihre Kulturarbeit unternahmen die Schüler zahlreiche Ausfahrten in die Dörfer (mit Ausnahme jener im Grenzbereich, die sich in einer Sperrzone befanden). Sie traten mit Liedern, Tänzen, Gedichten, Instrumentalmusik und Turnübungen vor das Publikum. Die methodische Vorbereitung für die Ausfahrten lag in den Händen der Musiklehrer Franz Stürmer und Jakob Hübner sowie der Biologielehrerin Herta Krall, die als Tanzmeisterin wirkte.
Der in Bogarosch tätige Grundschullehrer Michael Hammes beobachtete im Laufe von zwanzig Jahren, dass bei den Wettbewerben der Kulturhäuser etwa achtzig Prozent der Leiter verschiedener Formationen Absolventen der Jahrgänge 1951–1958 der Temeswarer Deutschen Pädagogischen Lehranstalt waren, vor allem Absolventen des Jahrgangs 1954 (4).
Angesichts der Erziehung aller Päda-Schüler zu Theaterfreunden ist es nicht verwunderlich, dass 1953 mehrere Absolventen zum Deutschen Theater gingen (Otto Grassl, Karl Hoffmann, Hans Moos, Gerda Roth). Neben den wenigen Berufsschauspielern aus der Zwischenkriegszeit stellten sie einen wichtigen Teil der neuen Truppe. Schulleiter waren Dr. Stefan Binder (1948–1954) und Fridolin Klein (1954–1959).
(1) Mündlich von Generalschulinspektor Nikolaus Kleininger.
(2) Offiziell wurde die Bezeichnung „Lyzeum“ für die Mittelschulen ab 1959 verwendet, erschien aber im Schulstempel mit Verspätung.
(3) Katharina Schmidt (Gesamtredaktion): Deutsche Pädagogische Lehranstalt Temeswar. S. 19-20.
(4) Michael Hammes und Helmut Rossmann: Schüler als Kulturträger. In: Mathias Egler (Hg.): Der Absolventenjahrgang 1954. S. 365-368, hier S. 368.