Ausstellung: Sechzig Jahre seit der Deportation in die Baragan-Steppe. Die Baragan-Steppe könnte als Metapher stehen für unendliche Einsamkeit mit leerem Himmel, vertrocknetem Boden und einer endlosen Erde, die am Horizont endet – eine Einsamkeit ohne Hoffnung, die man keinem Menschen zumuten möchte. Und doch wurde dieser triste Landstrich 1951 in Rumänien der Ort eines Verbrechens an den Menschen, der Ort der Verzweiflung: „Ich war noch keine zehn Jahre alt, als am 18. Juni 1951, dem zweiten Pfingsttag, ein Soldat um vier Uhr morgens an unserem Tor erschien – es war noch dunkel draußen – und uns sagte, dass wir in wenigen Stunden unsere Sachen packen sollten. Sie nahmen die Ausweise der Eltern mit. Die Eltern begannen mit Tränen in den Augen zu packen. Sie packten alles, was in einen Wagen passte. Dann fuhren wir, von der Wache begleitet, zum Bahnhof. Dort mussten wir bleiben, bis die Kuhwaggons ankamen. Jede Familie wurde in einen Waggon geladen mit all ihren Sachen: Tiere, Vögel, Kinder. Kranke waren dabei, Schwangere, kleine Kinder – alle zusammen. Sie luden uns ein und fuhren uns durchs Land. Wir wussten nicht wohin. Von Ort zu Ort, von Bahnhof zu Bahnhof. Das Rote Kreuz spendierte Milchpulver oder Kekse für die Kinder. Ich weiß nicht, wie wir überlebt haben. So fuhren wir eine Woche lang durchs Land und gelangten schließlich in den Bahnhof Lunca Dunarii – nahe der Donau …“, schreibt Larisa Cazacu. Ein Banater (Stefan Lupsa) erinnert sich, dass es die Nacht von Samstag auf Sonntag war, als die Soldaten am Tor klopften und die Familie aufforderten, ihre Sachen zu packen, da sie binnen 24
Stunden das Dorf verlassen müssten. Sie wurden mit der „Karutza“ nach Großkomlosch zum Bahnhof gefahren und mussten drei Tage lang in dem Gefährt verharren, bis am dritten Tag alle versammelt waren und zusammen im Konvoi nach Dudesti (Kreis Braila) gebracht wurden. Ein anderer erzählt, dass sie von den Hunderten von Hühnern, Gänsen, Enten und den vielen Schweinen aus der Hauswirtschaft nur wenig mitnahmen, wahrscheinlich, weil man an eine längere Abwesenheit nicht glauben wollte. Es kam jedoch anders …
Romulus Rusan, Kurator der Ausstellung „Schwarze Pfingsten“ (Rusaliile negre), hat in seiner Eröffnungsrede in Bukarest und zuletzt in Temeswar am 3. Mai festgestellt, dass die mit einer „diabolischen Präzision“ während einer Zeit von drei Monaten vorbereiteten Baragan-Deportationen von etwa 44 000 Menschen aus einigen Regionen im Westen des Landes, eines der „bestialischsten“ Projekte von Säuberungsaktionen des kommunistischen Regimes zur Zeit von Gheorghe Gheorghiu-Dej war. Die Ausstellung zum 60. Jahrestag findet statt im Rahmen des von der Europäischen Kommmission initiierten Programms „Europa für die Bürger. Die aktive Erinnerung Europas“. Der große Ausstellungssaal des Dorfmuseums „Muzeul Satului Dimitrie Gusti“ in Bukarest eröffnete bis Ende April dem Besucher Einblicke in eine Leidensgeschichte von Tausenden Bürgern Rumäniens, die vor sechzig Jahren in den Baragan deportiert wurden. Für viele wurde diese Deportation, die erst die Russlanddeportation überlebt hatten, zum Albtraum. Aus den Kreisen Temesch, Mehedinti und Caras-Severin wurden die Bewohner der Grenzregion bis etwa 25 Kilometer von der Grenze entfernt deportiert, aber auch darüber hinaus. Das Steppengelb der 28 Plakate der Ausstellung fällt ins Auge. Es ist die Farbe der Baragan-Steppe und dokumentiert anhand von Fotos und Texten die Verschleppung der etwa 44000 Menschen aus dem Grenzgebiet Rumäniens in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 1951 in den Baragan.
Der große Aufwand, mit dem diese Aktion von Seiten des rumänischen Staates unter dem damaligen kommunistischen Regime Gheorghe Gheorghiu-Dejs betrieben wurde, wird deutlich, wenn man auf den ersten Bildern die Dokumente zu dieser Operation nach sowjetischem Muster nachliest: „… die Deportationen waren die Folge eine Konfliktes zwischen Stalin und Tito, zwischen dem proletarischen Internationalismus und dem jugoslawischen Revisionismus, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausbrach, da die Belgrader Aktivisten, die seit ihrem Sieg gegen die antifaschistischen Partisanen gegenüber Moskau Unabhängigkeit sowie territoriale Ansprüche (an Ungarn, Rumänien, Österreich und Italien) forderten. Sie beabsichtigten, Jugoslawien zu einer zweiten kommunistischen Großmacht auszubauen.“
„Rusaliile Negre“ – „Schwarze Pfingsten“ ist die Ausstellung betitelt. Kuratiert von Romulus Rusan, Leiter des Internationalen Zentrums für Kommunismusforschung und stellvertretender Leiter der Stiftung Academia Civica, sowie den jungen Historikerinnen, Dr. Ioana Boca, Virginia Ion, Angela Bilcea und Andreea Carstea. Die Schau wurde am 25. März von Rusan und der Schriftstellerin Ana Blandiana in Anwesenheit zahlreicher Gäste im Dorfmuseum Bukarest und am 3. Mai in der Aula der Universitätsbibliothek in Temeswar eröffnet.
„Das Wasser in der Baragansteppe war bei 35 Meter Tiefe“, erzählt Alexandrina Fundeanu, „deshalb konnten wir es nicht anbohren. Wasser wurde uns in Motorenöl-Zisternen abgefüllt. Wenn wir Durst hatten, mussten wir erst das Öl abschöpfen, um Wasser trinken zu können …“ Das größte Problem war die Wassernot. Wasser wurde in Zisternen gebracht und war auch für die Kühe gedacht. Deswegen fingen die Kühe an zu brüllen, wenn sie die Zisternen kommen sahen, so dass man sie kaum mehr im Zaun halten konnte. Sie liefen los, dem Wasser entgegen, so Martin Bolovedea. Eine andere Deportierte erzählt, dass sie das Wasser aus der entfernten Donau mühsam mit Eimern anschleppten. Auf dem Weg dahin trafen sie immer wieder tote Kühe in der Steppe, die dort verwesten. Das Wasser war verschmutzt, und die ganze Familie erkrankte an einem Fieber (febra aftoas? – Maul und Klauenseuche), so Larisa Cazacu. Zu den täglichen Arbeiten, so dokumentiert im Ausstellungsplakat „Munca de zi cu zi“ („Die täglichen Arbeiten“) gehörte auch die Vorsorge für den Winter. Holz gab es nicht; so gingen die Männer und suchten Weidenbäume am Uferrand, die sie abholzten und nach Hause trugen. So konnten sie den ersten Winter im Baragan überleben, erzählte Angela Calarasanu. Das tägliche Essen bestand aus einer Suppe aus „varfuri de lucerna“. „Mutter entfernte die Spitzen der Luzerne (eine Kleefutterart), die etwas weicher waren, und kochte uns eine Suppe daraus. Danach gab es Suppe mit Öl, die uns sehr gut schmeckte. Manchmal gab es auch mamaliga dazu“, erinnert sich Gheorghe Cotorbai. Aurel Soculescu aus dem Dorf Corceva erzählt, dass es
verboten war, mit den Menschen aus den Nachbardörfern Kontakt aufzunehmen. So erinnert er sich, dass zu Pfingsten eine Generalversammlung im Dorf Pelicani stattfand, wo man den Leuten mitteilte, dass sie zu den Arbeitern aus dem Nachbardorf keinen Kontakt aufnehmen dürfen.
Raub der Freiheit und Würde: Davon zu reden ist etwas anderes als sie zu zeigen. Das deutlich zu machen, ist Hauptanliegen der neuen Schau mit Zeitzeugnissen, Fotos, Dokumenten und Objekten der Baragan-Deportierten. Mit der Darstellung der Deportation der Deutschen aus dem Banat tut sich die Ausstellung schwerer. Zwar zeichnet sie anschaulich anhand von Landkarten nach, aus welchen Orten die Verschleppten stammten, aber die Daten, Fotos und Berichte bezüglich der Deportation der Deutschen in den Baragan sind überwiegend aus dem Buch von Walther Konschitzky, Peter Dietmar Leber und Walter Wolf entnommen. Das einzig authentische Foto von Hanns Hehn über den Beginn der Deportation in Tomnatic/Triebswetter ist auch auf dem Schaubild „O carte germana“ (Ein deutsches Buch) dabei. Somit verschwinden in dieser Gesamtschau die Grenzen zwischen Nationalitäten. Betroffen waren Rumänen, Serben, Deutsche und andere Bewohner Rumäniens. Die Ausschnitte aus der erpressten Normalität in den Baragandörfern, den Alltagsbeschäftigungen und der Schule für die Kinder sind anschaulich dargestellt, genügen aber vielleicht immer noch nicht, damit der Besucher die Tragik dieser Ereignisse ermessen kann. Besser veranschaulicht sind die Gemütszustände in den Aufzeichnungen der Zeitzeugen. Leider ist kein Zeitzeugenbericht eines Banatdeutschen Deportierten dabei. Dennoch hat die Schau in Rumänien große Verdienste – weil sie an den Dingen des Alltagslebens nicht nur zeigt, wie die Kommunisten versuchten, Existenzen auszulöschen, sondern auch Einblick in die Vorstellung gibt, wie kaltblütig die sowjetischen Machthaber mit Menschenschicksalen umgingen und wie so mancher Nutznießer der rumänischen Kommunisten die Deportation unschuldiger Menschen organisierte, und wie sie in den von den Deportierten zwangsweise verlassenen Häusern deren Existenzen übernahmen, Haus und Hof auch dort zerstören.
Um den Nachgeborenen die Auswüchse des Verbrechens vorzuführen, die Schwierigkeit des
Alltags und eines Neuanfangs in den Weiten der kargen Steppe näherzubringen, hat man auch selbst hergestellte Gebrauchsgegenstände – die ursprünglich aus dem Museum „Memorial Sighet“ stammen – aus den Haushalten der Familien ausgestellt; neben Bügeleisen und Küchengeräten findet man Stickereien, genähte Bettdecken, Wandtücher, Kleidungsstücke usw., die gleichzeitig auch von der Tüchtigkeit der Wiederherstellung im „neuen Leben“ zeugen. In der neuen Heimat wirklich angekommen, das waren die Deportierten nie, die Mehrzahl verließ denn auch die Baraganstätte, obwohl die Menschen untereinander vielleicht stärker miteinander verbunden waren als vordem und nachdem. Deswegen heißt auch eines der „gelben“ Plakate der Ausstellung „Singuratatea ne – a unit pe toti“ (Die Einsamkeit vereinte uns alle). Die menschlichen Beziehungen, die Gegenseitigkeit waren nie tiefer als in jener Steppe, obwohl es auch Hunderte von Toten gab, wie die Namensliste in der Ausstellung dokumentiert. 175 Neugeborene starben mangels ärztlicher Versorgung und aufgrund der schlechten Lebensbedingungen. 1600 Deportierte sind im Baragan begraben. Eines der Schaubilder dokumentiert die Lebensbedingungen im Baragan-Winter, die Schule in der Deportation oder den Bau der Lehm- und Strohhütten vor Ort. Die Menschen bauten notdürftige Unterkünfte aus gestampftem Lehm und Stroh, aus Weiden und was sonst zum Bauen taugte, in denen sie anschließend hausten. Erst 1956 war dieser Spuk vorbei, und die meisten konnten in ihre Heimatdörfer zurückkehren.
Die zurückgelassenen Steppensiedlungen wurden von den rumänischen Behörden größtenteils zerstört. Es galt, die Spuren zu beseitigen. Nur einige der Siedlungen wurden danach zweckentfremdet missbraucht, um politische Häftlinge in Arbeitslagern unterzubringen. So ist das Dörfchen Rubla, Fundulea oder Latesti im Baragan der Ort, wo politische Häftlinge arbeiteten, wo auch der bekannte Dissident und Schriftsteller Paul Goma einige Jahre weilte. Eine Fotosammlung Gomas als politischer Häftling im Arbeitslager ist in einer Vitrine ausgestellt.
Zum Abschluss präsentiert die Ausstellung ein Plakat mit einigen Büchern über die Deportation, so z. B. auch Ana Blandianas phantastische Novellen „Proiecte de trecut“ (ins Deutsche übersetzt von Veronika Riedel als „Kopie eines Albtraums“). Jedoch ist die Liste der Bücher vermutlich unvollständig, allein schon, wenn man einige Zeitzeugenbücher mit einbeziehen würde. Eingebettet ist die Schau in Aktionswochen mit Veranstaltungen des Trägerkreises, Meetings mit Zeitzeugen und Diskussionen. Die rumänische Presse scheint dem Ereignis auch Aufmerksamkeit zu widmen. Die Ausstellung „Schwarze Pfingsten“ war bis zum 30. April in Bukarest im „Muzeul satului“ zu sehen. Am 3. Mai wurde die Ausstellung in Temeswar in der Aula der Bibliothek der Universität „Eugen Todoran“ eröffnet. Im Juli wird die Ausstellung in Sighet zu sehen sein. Auch ein Ausstellungsort in Deutschland ist eingeplant.