Die jährlich veranstalteten Kulturtage des Demokratischen Forums der Deutschen in Temeswar (DFDT) standen 2012 ganz im Zeichen des Literaturkreises „Stafette“. Aus Anlass des zwanzig-jährigen Bestehens dieses kurz nach der Wende gegründeten Temeswarer Literaturkreises, in dem sich meist deutschsprachige Autoren zusammengeschlossen haben, trafen sich vom 18. bis 21. Oktober im Adam-MüllerGuttenbrunn-Haus Schriftsteller und Literaturfreunde aus Rumänien und Deutschland zu Lesungen, Vorträgen und Kulturveranstaltungen. Eingeladen hatte das DFDT, vertreten durch die tatkräftig agierende Gründerin der „Stafette“, Dr. Annemarie Podlipny-Hehn, gemeinsam mit dem Internationalen Exil-P.E.N.-Club, dessen Präsident Prof. Dr. Wolfgang Schlott sich als Mitveranstalter und Autor am Programm vor Ort beteiligt hat, ebenso wie Ilse Hehn (Vizepräsidentin) und Horst Samson (Generalsekretär).
Die zahlreich erschienenen Ehrengäste – gekommen waren unter anderem Ovidiu Gant, Abgeordneter im rumänischen Parlament seitens des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Klaus Christian Olasz, deutscher Konsul in Temeswar, Christine Cosmatu, Unterstaatssekretärin für Minderheitenfragen in der rumänischen Regierung, Dr. Karl Singer, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat – unterstrichen in ihren Grußworten, dass der „Stafette“-Kreis einen wichtigen Beitrag zum Fortbestand einer deutschsprachigen Literatur in Rumänien leiste. Mit dem nahezu totalen Exodus der deutschen Bevölkerung und damit auch des Großteils der deutsch schreibenden Autoren des Landes galt auch die Existenz der rumäniendeutschen Literatur, zu der die Banater bekanntlich maßgeblich beigetragen haben und weiterhin beitragen, als gefährdet. Dass diese Literatur weiterlebt und eine Perspektive hat, war ein häufig wiederkehrender Leitgedanke in den Grußworten, Vorträgen und Diskussionen. Wiederholt wurde festgestellt, dass der Literaturkreis „Stafette“ – ihm gehören mehrheitlich ehemalige Lenau-Schüler und Temeswarer Germanistik-Absol-venten an, die nicht Deutsch als Muttersprache haben – ein Beweis für die Zukunftsfähigkeit der rumäniendeutschen Literatur unter grundlegend veränderten Voraussetzungen sei. Offensichtlich ge-hört es zum Selbstverständnis der „Stafette“, an den Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreis der achtziger Jahre anzuknüpfen.
Mit einer Bestandsaufnahme aktueller deutschsprachiger Literatur in Rumänien und der Beschreibung des dazugehörenden Literaturbetriebs befasste sich der Beitrag von Ingmar Brantsch: „Die rumäniendeutsche Literatur heute und morgen“. Er nennt dieses literarische Phänomen eine „europäische Einmaligkeit“, denn es handle sich um die „einzige selbstständige deutsche Literatur in Ostmitteleuropa“. Das Jahr 2012 sei in diesem Kontext das „Jahr der Stafette“. Joachim Wittstock plädierte in seinem essayistischen Text über die „Stafette“ als Begriff und Idee behutsam dafür, die „Stafetten-Stäbe“ weiterzureichen, was in der rumäniendeutschen Literatur der letzten Jahrhunderthälfte im wörtlichen, d. h. im sportlichen Sinne durch Autoren ebenso geschehen sei wie im übertragenen Sinne vom jungen Temeswarer Literaturkreis heute. Über neuere, thematisch auf das Banat bezogene Literatur sprach Walter Engel. Er stellte den Roman „Banatsko“ von Esther Kinsky dem Prosaband „Krähensommer“ von Balthasar Waitz gegenüber. Esther Kinsky erzählt aus der Perspektive einer einfühlsamen Fremden über Land und Leute, verarbeitet Momentaufnahmen, während Balthasar Waitz – aus enger Vertrautheit mit der jüngsten Geschichte der Banater Schwaben – mit bitterer Ironie und humoristischer Distanz den Niedergang im sozialistischen Alltag und die sich fortsetzenden Auflösungserscheinungen im postsozialistischen Dorfleben beschreibt. Weitere Beiträge ergänzten das Erscheinungsbild der rumäniendeutschen Literatur, das dank Banater Initiativen in den letzten beiden Jahrzehnten neue Konturen bekommen hat. Als ermutigendes Zeichen wurden die zur Institution gewordenen „Deutschen Literaturtage in Reschitza“ mit der Thematik ihrer bereits 22 Autoren- und Kritiker-Treffen in einer Zusammenfassung des Gründers und beherzten Leiters Erwin Josef Tigla vorgestellt. Bei diesen Veranstaltungen, die unter dem Schirm des Kultur- und Erwachsenenbildungsvereins „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“ stattfinden, trafen sich im Laufe zweier Jahrzehnte namhafte rumäniendeutsche Autoren – aus Rumänien und aus dem deutschen Sprachraum – zu gemeinsamen Lesungen und Aussprachen über ihr aktuelles Schaffen und zu literaturgeschichtlichen Retrospektiven.
Den heutigen deutschen Literatur- und Kulturbetrieb in Temeswar beleben inzwischen auch Literatur-Preise und damit Preisverleihungen, vor allem an jüngere Autoren. Seit 2011 wird der Libeth-Rieping-Literaturpreis vergeben, gestiftet zum Gedenken an die mit der „Stafette“ ehemals verbundene Kölner Literatin Elisabeth Rieping. Den Nikolaus-Berwanger-Literaturpreis, gestiftet von seinen Kindern, stellte Maria Pongracz-Popescu vom Rumänischen Schriftstellerverband (Filiale Temeswar) vor. Er soll an den gerade im literarischen Bereich verdienstvollen Banater Literatur- und Kulturförderer Nikolaus Berwanger erinnern. Auch mit dem Stefan-Jäger-Preis werden Autoren ausgezeichnet. Die Stifter wollen mit diesem Preis die Erinnerung an den für die Kunst und Volkskultur der Banater Schwaben so wichtigen Maler wachhalten. Diesmal wurde der junge Journalist und vielseitige Autor Robert Tari damit geehrt. Die Laudatio hielt die Temeswarer Germanistin und Theaterwissenschaftlerin Dr. Eleonora Ringler-Pascu. Den Höhepunkt der Temeswarer Literaturveranstaltung bildeten die Autorenlesungen. Zunächst lasen die „Gäste“ aus Deutschland und aus Siebenbürgen: Wolfgang Schlott, Ilse Hehn, Eginald Schlattner, Horst Samson und Joachim Wittstock. Horst Samson war schon am Vorabend des Symposiums als Liedermacher und Sänger erfolgreich aufgetreten.
Eine zweite Gruppenlesung boten abschließend Mitglieder der „Stafette“: Balthasar Waitz, Lucian Manuel Varsandan, Petra Curescu, Lorette Bradiceanu-Persem, Henrike Bradiceanu-Persem, Bianca Barbu, Karina Körösi und Laura Purtator. An beide Lesungen schlossen sich lebhafte Diskussionen an, die von Zuhörern und Autoren gleichermaßen engagiert geführt wurden. Man konnte den Eindruck von echten Werkstattgesprächen gewinnen. Ein geradezu einstimmiges Fazit: Die jungen Autoren und Autorinnen verdienen Anerkennung und Förderung. Sie brauchen neben öffentlichen Auftritten und Repräsentation auch eine adäquate Literaturkritik. Abgerundet wurde das volle Tagungsprogramm mit einer deutschsprachigen Kulturveranstaltung – Lieder und Tänze aus dem Banat – unter der Leitung von Helen Alba sowie einem Besuch im Deutschen Staatstheater Temeswar. Dargeboten wurde die Inszenierung einer Text-Collage aus Herta Müllers Frühwerk „Niederungen“. Die Text-Folge wurde von den auch international bekannten Banater Theaterleuten Nicky Wolcz (Regie) und Helmut Stürmer (Bühnenbild) in Szene gesetzt.