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Deutsches Kulturleben im Banat am Vorabend des Ersten Weltkrieges (I)

Die auf der Sindelfinger Kulturtagung vorgelegten Referate wurden vom Publikum mit Interesse verfolgt.

Die Kulturtagung des Landesverbandes Baden-Württemberg, eine der traditionsreichsten Veranstaltungen unserer Landsmannschaft, übt nach wie vor eine hohe Anziehungskraft aus. Jährlich lockt sie zahlreiche an der Banater Geschichte und Kulturgeschichte interessierte Landsleute nach Sindelfingen ins Haus der Donauschwaben. Das ungebrochene Interesse an diesen Jahrestagungen verdankt sich sowohl der inhaltlichen Gestaltung, die immer wieder interessante und aufschlussreiche Themen ins Blickfeld rückt, als auch den referierenden Persönlichkeiten – Wissenschaftler, Heimatforscher, Kulturschaffende – und nicht zuletzt dem Abendkonzert, das traditionsgemäß den ersten Veranstaltungstag beschließt. Seit 2010 widmet sich die Sindelfinger Tagung dem deutschen Kulturleben im Banat. Nachdem die beiden vorangegangenen Tagungen „Temeswar als kulturelles Zentrum der Banater Deutschen“ zum Thema hatten, wurde bei der 48. Kulturtagung, die am 17. und 18. November 2012 stattfand, der Beitrag von kleineren Städten und Großgemeinden zum deutschen Kulturleben im Banat am Vorabend des Ersten Weltkriegs erörtert. Auch diesmal wurde die Tagung von Dr. Walter Engel konzeptionell vorbereitet und moderiert.

Der Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Josef Prunkl, begrüßte als Ehrengäste Ministerialrätin Dr. Sibylle Müller vom Innenministerium Baden-Württemberg, die Geschäftsführerin des Vereins Haus der Donauschwaben, Henriette Mojem, sowie Josef Koch, Sprecher der Banater Heimatortsgemeinschaften und Mitglied im Bundesvorstand der Landsmannschaft. Einen Willkommensgruß richtete er an die anwesenden Mitglieder des Landesvorstandes und Vertreter landsmannschaftlicher Gliederungen sowie an alle Tagungsteilnehmer. Der Landesvorsitzende dankte Dr. Walter Engel für die Vorbereitung der Tagung, den Referenten für die Erarbeitung der Vorträge und der Landesgeschäftsstelle für die im Vorfeld geleistete organisatorische Arbeit.

Bekenntnis der Banater zu ihrer Geschichte

Dr. Sibylle Müller übermittelte die Grüße des Innenministers des Landes Baden-Württemberg, Reinhold Gall, und des für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa zuständigen Abteilungsleiters, Ministerialdirigent Herbert Hellstern. Die Kulturtagung gehöre seit vielen Jahren zu den kulturellen Höhepunkten landsmannschaftlicher Veranstaltungen in Baden-Württemberg und sei ein lebendiges Bekenntnis der Banater Schwaben zu ihrer Geschichte, ihrer Herkunft, ihren Traditionen und ihrer Heimat, unterstrich die Vertreterin des Innenministeriums. Solchen Veranstaltungen komme eine wichtige Rolle im Sinne „gelebter Erinnerung“, aber auch im Hinblick auf die Gestaltung der Zukunft zu, denn, so Dr. Müller, „wer Zukunft gestalten will, darf sich der Geschichte nicht verschließen“. Sie bekräftigte das Bekenntnis der Landesregierung zu dem gesetzlichen Auftrag des Paragraphen 96 des Bundesvertriebenengesetzes und betonte, dass diese, trotz Sparzwängen, die Kulturarbeit der Landsmannschaften auch weiterhin unterstützen werde.

In ihrem Grußwort verlieh die Geschäftsführerin des Hauses der Donauschwaben, Henriette Mojem, ihrer Freude Ausdruck, dass die Kulturtagung der Banater Schwaben wieder in ihrem Haus stattfindet, das seit über vierzig Jahren als donauschwäbisches Kulturzentrum im Bewusstsein der Öffentlichkeit fest verankert sei. Sie dankte den Veranstaltern und Förderern der Tagung, die durch ihren Einsatz wesentlich dazu beitragen, die Kulturgeschichte der Banater Schwaben noch mehr bekannt zu machen. Als besondere Schwerpunkte der Tätigkeit ihrer Einrichtung nannte Henriette Mojem neben den zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, Tagungen und Treffen, die jährlich im Haus der Donauschwaben stattfinden, den Ausbau der donauschwäbischen Bibliothek. Dank der Förderung durch das baden-württembergische Innen-ministerium sei nun der gesamte Bibliotheksbestand elektronisch erfasst und online weltweit abrufbar, so Mojem.

Entfaltung deutscher Kultur in einer Zeit großer Bedrängnis

Josef Koch überbrachte die Grüße des Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber und des gesamten Bundesvorstandes und zollte dem veranstaltenden Landesverband Anerkennung. Die Kulturtagung hebe sich konzeptionell und qualitativ von allen übrigen landsmannschaftlichen Kulturveranstaltungen ab und genieße mittlerweile einen ausgesprochen guten Ruf sowohl innerhalb als auch außerhalb des Verbandes, sagte Koch. Als Sprecher der Heimatortsgemeinschaften begrüßte er die thematische Ausrichtung der diesjährigen Tagung, die den Beitrag kleinerer Städte und Großgemeinden zum deutschen Kulturleben im Banat in den Fokus rückt, zumal Letzteres kein ausschließliches Privileg der Banater Hauptstadt Temeswar gewesen, sondern in hohem Maße auch vom ländlichen Raum geprägt worden sei.

In die Tagung einführend, umriss Dr. Walter Engel deren Zielsetzung. Es gehe zum einen darum, die Entfaltung deutscher Kultur im Banat am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts – eine Zeit, die für die Deutschen im Banat von existentieller Bedeutung war und in der ihre Kultur als Folge der verstärkten Magyarisierungspolitik in große Bedrängnis geriet – genauer zu beschreiben und darüber hinaus ein vertieftes und schärferes Bild dieser schicksalhaften Jahrzehnte zu zeichnen. Angesichts des bevorstehenden 100. Jahrestags seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gehe es zum anderen auch darum, dieses einschneidende historische Ereignis unter dem Gesichtspunkt seiner Relevanz für die Banater Schwaben in den Mittelpunkt zu stellen. Widme sich die diesjährige Tagung der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung der kulturpolitischen Implikationen, werde sich die folgende Tagung mit dem Ersten Weltkrieg selbst und dessen Folgen für das Banat beschäftigen, kündigte Dr. Engel an.

„Zwischen ungarischem Staat und deutschem Volk. Die Banater Schwaben um 1900“ lautete der Titel des Einführungsvortrags von Prof. Dr. Günter Schödl. Der namhafte Osteuropa-Historiker, emeritierter Professor der Humboldt-Universität zu Berlin und Herausgeber des in der Reihe „Deutsche Geschichte im Osten Europas“ erschienenen Standardwerkes „Land an der Donau“ (Berlin 1995, durchgesehene und aktualisierte Auflage 2002), erinnerte zunächst an die Mahnung von Prälat Josef Haltmayer (1913 bis 1991), sich in Bezug auf die Geschichte der deutschen Minderheiten im Südosten Europas nicht ausschließlich auf die Perspektive der Erlebnisgeneration zu beschränken. Eine solche sei zwar wichtig, sie trage aber nicht auf Dauer und berge die Gefahr, dass diese Geschichte nach dem Ausscheiden der Erlebnisgeneration aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt werde. Prof. Schödl wies darauf hin, dass die Geschichte der deutschen Minderheiten nicht so sehr unter dem Primat des Nationalen betrachtet werden dürfe. Im Zeitalter staaten- und nationenübergreifender Integration müsse der Aspekt der Europäizität stärker in den Vordergrund rücken. Die Historiographie habe sich beispielsweise intensiver mit jenem deutschen Bevölkerungsteil im historischen Ungarn zu befassen, der am Prozess der nationalen Identitätsfindung nicht teilgenommen hat und von Assimilation betroffen war. Laut Schödl, der eine neuere Studie zitierte, wurden zwischen 1880 und 1910 etwa 500000 deutsche Bewohner Ungarns assimiliert (1910 bekannten sich noch rund zwei Millionen zum Deutschtum).