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Deutsches Kulturleben im Banat am Vorabend des Ersten Weltkrieges (II)

Prof. Dr. Günter Schödl (links) und Tagungsleiter Dr. Walter Engel.

Die Kulturtagung des Landesverbandes Baden-Württemberg, eine der traditionsreichsten Veranstaltungen unserer Landsmannschaft, übt nach wie vor eine hohe Anziehungskraft aus. Seit 2010 widmet sich die Sindelfinger Tagung dem deutschen Kulturleben im Banat. Nachdem die beiden vorangegangenen Tagungen „Temeswar als kulturelles Zentrum der Banater Deutschen“ zum Thema hatten, wurde bei der 48. Kulturtagung, die am 17. und 18. November 2012 stattfand, der Beitrag von kleineren Städten und Großgemeinden zum deutschen Kulturleben im Banat am Vorabend des Ersten Weltkriegs erörtert.

 

Edmund Steinacker und die deutsche Bewegung

Im ersten Teil seines Vortrags stellte Prof. Schödl den Prozess der deutschen Identitätsbildung in Ungarn um 1900 personengeschichtlich exemplifizierend dar. Das Beispiel Edmund Steinacker (1839–1929) stehe einerseits für den Prozess der bewussten Abwendung vom Deutschtum und der Herausbildung eines national geprägten magyarischen Bewusstseins. Andererseits sei mit seinem Namen die Begründung der sogenannten deutschen Bewegung verbunden. Steinacker wurde im Sinne einer nationalen Bewusstseinsbildung bei den Deutschen in Ungarn publizistisch und organisatorisch aktiv. Dafür wählte er das Banat zu seinem Experimentierfeld. Er baute ein Netzwerk auf, mit dessen Hilfe er den Prozess der „Fundamentalpolitisierung“ (vor allem der mittleren Bauernschicht) und der nationalen Organisation vorantrieb, der in der Gründung der Ungarländischen Deutschen Volkspartei (UDVP) 1906/1907 gipfelte.

Den zweiten Teil seines Vortrags widmete der Referent der Darstellung des breitgefächerten Netzwerks der UDVP. Dieses umfasste eine Vielzahl von Institutionen und Verbänden – Partner wie Gegner der deutschen Bewegung – in Ungarn, Österreich und im Deutschen Reich. Als besonders bedeutsam galten laut Schödl die Militärkanzlei Franz Ferdinand, die ab 1906 als eine Art Nebenregierung fungierte (Steinacker gehörte zum Beraterkreis des Thronfolgers und beteiligte sich an Überlegungen zu einer antidualistischen Reichsreform) und der Alldeutsche Verband, der beträchtliche Geldsummen lockermachte. Wie Prof. Schödl abschließend betonte, habe sich Steinacker von seinen Kooperationspartnern weder instrumentalisieren noch im völkischen Sinne beeinflussen lassen.

Demographischer Zustand der Banater Gesellschaft

Der Historiker Josef Wolf, Leiter des Forschungsbereichs Historischgenetische Siedlungsforschung am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen, bot in seinem Vortrag „Die Banater Schwaben am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Eine statistische Zustandsbeschreibung“ einen knappen Aufriss des demographischen Zustands der Banater Gesellschaft aufgrund der amtlichen Volkszählungen, die ab 1869 bis zum Ersten Weltkrieg alle zehn Jahre stattfanden. Zunächst zeigte er die Entwicklung und ethnische Struktur der Banater Bevölkerung auf, um danach auf die demographischen Gegebenheiten im östlichen, nachmaligen rumänischen Teil des Banats einzugehen. Anhand statistischer Daten verdeutlichte der Referent das Wachstum der Bevölkerung und wies auf den demographischen Übergang hin, der sich infolge niedrigerer Geburtenraten ab Mitte des 19. Jahrhunderts abzuzeichnen begann. Josef Wolf machte auch auf die vom Staat gesteuerte Innenkolonisation aufmerksam, die jedoch ihr Ziel, eine Veränderung der ethnischen Verhältnisse herbeizuführen, nicht erreichte. Überdies wies er am Beispiel der Stadt Temeswar auf die ineinandergreifenden Prozesse von Industrialisierung, Urbanisierung und Migration hin. Im Zeitraum 1870–1910 ist die Bevölkerung Temeswars infolge des Zuzugs von außerhalb von 32 000 auf 70 000 Einwohner gestiegen. Im Jahr 1900 betrug der Anteil der eingesessenen Bevölkerung nur noch 35,7 Prozent. Dank ihrer starken Anziehungskraft verzeichnete die Stadt Temeswar eine der höchsten Zuwanderungsquoten in ganz Ungarn.

Gymnasialunterricht in Lugosch

„Der Gymnasialunterricht im 19. Jahrhundert in Lugosch“ war Gegenstand der Ausführungen von Heinrich Lay. Der gebürtige Andreser, der über drei Jahrzehnte als Geschichtslehrer am Lugoscher Gymnasium wirkte und eine Vielzahl von Publikationen zur allgemeinen und Kulturgeschichte seines Heimat- und seines Wirkungsortes vorzuweisen hat, skizzierte zunächst die Entwicklung des Schulwesens in der Marktgemeinde Lugosch bis zu der 1837 erfolgten Gründung einer höheren Unterrichtsanstalt. Es handelte sich um ein römischkatholisches, von den Minoriten geführtes Untergymnasium, das ab 1843 als Obergymnasium mit sechs Klassen geführt wurde und bis 1851 bestand. Lay bezog sich sodann auf den Aufschwung des deutschen Kulturlebens ab Mitte des 19. Jahrhunderts und erwähnte unter anderem die Gründung des Männergesangvereins 1852, die Errichtung einer Buchdruckerei im selben Jahr sowie die Herausgabe der ersten Wochenzeitung, des „Lugoscher Anzeigers“, ein Jahr später. Diese schrieb 1858, dass es wenige Marktflecken gebe, „welche sich rühmen und stolz sein können, so viele Behörden, Ämter, Anstalten und Wohltätigkeitsvereine zu haben wie Lugosch“. Vor dem Hintergrund dieser ersprießlichen Entwicklung präsentierte der Referent mit der ihn kennzeichnenden Akribie die Geschichte des 1856 ins Leben gerufenen und bis 1861 funktionierenden Lugoscher deutschsprachigen öffentlichen Untergymnasiums, die auch Gegenstand einer seiner Veröffentlichungen ist. Zum Schluss wies er noch auf die Bedeutung der 1874 gegründeten Notre-Dame-Klosterschule hin, deren Werdegang er ebenfalls in einem vor kurzem erschienenen Buch festgehalten hat.

Kulturelle Entfaltungen in Hatzfeld

„Das Hatzfelder Kulturleben Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ war Thema des nachfolgenden Vortrags von Hans Vastag. Der in Hatzfeld geborene Lehrer und Publizist widmete sich vor allem der Schulgeschichte, deren Eckpunkte in dem zu behandelnden Zeitraum die Errichtung einer vierklassige Knaben-Bürgerschule im Jahr 1872 und einer Gewerbelehrlingsschule im Jahr 1885 sowie die Gründung des Jesuleums, einer konfessionellen, von Ordensschwestern betreuten Lehranstalt im Jahr 1902 waren. Seine Ausführungen waren weniger von Zahlen und Fakten bestimmt, vielmehr ging es dem Referenten darum, anhand von Auszügen aus Schulordnungen Einblicke in das Schulleben der damaligen Zeit zu geben. Das Presse- und Vereinswesen, das eine durchaus beachtliche Entwicklung erfuhr, wurde von Hans Vastag nur gestreift.

Das Programm des ersten Tages umfasste noch eine Buchvorstellung sowie eine Ausstellungspräsentation. Walter Tonţa, Redakteur der Banater Post, stellte den von Hans Gehl und Walther Konschitzky im Banat-Verlag Erding herausgegebenen Sammelband „Banater deutsche Lebensformen. Beiträge zur regionalen Kulturgeschichte und Dialektforschung“ von Erich Lammert vor. Mit dieser anlassgebundenen Edition, die zu Dr. Lammerts 100. Geburtstag erschienen ist, sei es den Herausgebern gelungen, das Wirken dieses verdienten Forschers umfassend zu würdigen und eine signifikante Auswahl seiner zum Teil schwer zugänglichen Aufsätze zu präsentieren, die nicht nur für die Forschung relevant sind, sondern auch für alle an der Banater Kulturgeschichte Interessierten eine gewinnbringende Lektüre darstellen, so das Fazit des Rezensenten.