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Deutsches Kulturleben im Banat am Vorabend des Ersten Weltkrieges (III)

Im Rahmen der Sindelfinger Kulturtagung präsentierte Luzian Geier die vom Internationalen Zentrum für Kommunismusforschung Bukarest realisierte Ausstellung zur Baragan-Deportation. Foto:Walter Tonţa

Die Solisten des Konzertabends nehmen den Applaus des Publikums entgegen. Fotos: Jürgen Schneider

Die Kulturtagung des Landesverbandes Baden-Württemberg, eine der traditionsreichsten Veranstaltungen unserer Landsmannschaft, übt nach wie vor eine hohe Anziehungskraft aus. Nachdem die beiden vorangegangenen Tagungen „Temeswar als kulturelles Zentrum der Banater Deutschen“ zum Thema hatten, wurde bei der 48. Kulturtagung, die am 17. und 18. November 2012 stattfand, der Beitrag von kleineren Städten und Großgemeinden zum deutschen Kulturleben im Banat am Vorabend des Ersten Weltkriegs erörtert.

Baragan-Ausstellung und Konzertabend

Die im Foyer des Hauses der Donauschwaben aufgebaute Ausstellung „Schwarze Pfingsten – Deportationen in die rumänische Baragan-Steppe“ wurde von dem Journalisten und Publizisten Luzian Geier vorgestellt. Die vom Internationalen Zentrum für Kommunismusforschung in Bukarest zum 60. Jahrestag der Baragan-Deportation realisierte und von dessen Direktor Romulus Rusan gestaltete Dokumentationsausstellung wurde bisher in mehreren rumänischen Städten gezeigt. Geier begrüßte, dass eine in Rumänien realisierte Ausstellung nun auch in Deutschland in einer von Gerhardt Csejka übersetzten Fassung gezeigt werde und verwies einerseits auf die Tatsache, dass nicht nur Deutsche und nicht nur Banater von dieser Deportation betroffen gewesen seien, und andererseits auf den Kontext der Baragan-Deportation als Teil des „roten Holocaust“.

Der Konzertabend, seit vielen Jahren fester Bestandteil des Tagungsprogramms, stand auch diesmal unter der bewährten Leitung von Dr. Franz Metz. Die mitwirkenden Solisten Leonore Laabs (Sopran), Elena Vorobieva (Alt), Karl Wilhelm Agatsy (Violine) und Dr. Franz Metz (Klavier) brachten sowohl Stücke von Banater Komponisten (Josef Linster, Rudolf Novacek, Sofie Vlad) oder von solchen, die im Banat gewirkt haben (Franz Limmer, Georg Müller, Heinrich Weidt), als auch Werke der internationalen Musikliteratur (Franz Lehar, Georges Bizet, Claude Debussy, Pjotr Tschaikowski, Engelbert Humperdinck) zu Gehör. Dank der geschickten Auswahl der Stücke, des Wechsels zwischen Gesangs- und Instrumentaldarbietungen, des hohen interpretatorischen Niveaus und nicht zuletzt dank der kenntnisreichen Moderation durch Dr. Franz Metz erlebte das Publikum einen unvergesslichen musikalischen Abend. Für den dargebotenen künstlerischen Genuss dankte es den Interpreten mit viel Beifall.

Volkstümliche Jahrbücher: Die deutschen Kalender

Am Sonntagvormittag standen drei weitere Vorträge auf dem Programm, die einzelne kulturelle Äußerungsformen aufgriffen und das Bild des deutschen Kulturlebens im Banat am Vorabend des Ersten Weltkriegs abrundeten. Zunächst widmete sich Luzian Geier, ein ausgesprochener Kenner der Banater Pressegeschichte, einem bisher wenig erforschten Thema, das er mit dem Titel überschrieb: „Unsere alten Banater Kalender – Fußnoten der Literatur- und Heimatforschung“. Wie er betonte, zählten die in die Reihe der Jahrbücher einzuordnenden Kalender zu den verbreitetsten Druckwerken; sie gelten als die erfolgreichsten Kleindrucke in der Mediengeschichte. Die Kalender waren dank der hohen Auflagen die wichtigsten volkstümlichen Jahrbücher gewesen, von der Forschung seien sie jedoch bisher nur ansatzweise ausgewertet worden, so Geier. Das liege auch daran, dass die im Banat erschienenen Kalender in Bibliotheken und Archiven in ganz Europa verstreut sind. Luzian Geier beschränkte sich auf die Vorstellung der außerhalb der Regionalhauptstadt herausgebrachten Kalender und ging dabei ausführlicher auf die wichtigsten ein. Am Beispiel der in Großbetschkerek, Hatzfeld und Perjamosch erschienenen Kalender zeigte er die Gliederung und die inhaltliche Gestaltung derartiger Druckerzeugnisse auf und hob deren Bedeutung als historische Quelle hervor.

Pfarrer und Dichter: Karl Grünn aus Perjamosch

Bereits 1974 hatte der aus Perjamosch stammende Journalist und Schriftsteller Franz Heinz den Dichter Karl Grünn aus der Vergessenheit hervorgeholt, indem er im Bukarester Kriterion-Verlag einen Gedichtband seines Landsmannes herausgab. Dessen Lebensweg und Werk war nun auch bei der Sindelfinger Kulturtagung Gegenstand seines Vortrags mit dem Titel „Karl Grünn und sein Banater Arkadien. Ein Dichterleben (1855–1930) in der Großgemeinde Perjamosch“. Franz Heinz zeichnete ein großartiges Kulturbild seines Heimatortes, in dessen Mittelpunkt er den von 1910 bis 1928 in PerjamoschHaulik als Pfarrer wirkenden Dichter Karl Grünn stellte. Der universal gebildete Grünn wurde nicht Pfarrer aus Berufung; er habe der Kirche in seiner Art gedient und sich die Freiheit der Entscheidung auch im privaten Bereich bewahrt, so Heinz. In der Fleischerstochter Katharina, der er als Kaplan in Deutschzerne begegnete, fand er eine treue und liebende Lebensgefährtin, die ihm 1887 einen Sohn gebar und mit der er bis an sein Lebensende zusammenlebte. Eigenwillig wie seine Lebensführung sei auch seine Dichtung gewesen, unterstrich der Referent. Den Zeitverhältnissen entgegen, habe er Name und Sprache beibehalten; er sei auch nicht dem Beispiel seines Bruders Ludwig gefolgt, der seinen deutschen Namen ablegte und als Baróti Lajos einer der namhaften ungarischen Geschichtsschreiber seiner Zeit wurde. Karl Grünn habe sich, wie Heinz abschließend hervorhob, in seinem schwäbischen Arkadien geborgen gefühlt und dieses visionär mit antiker Gestaltungskraft ausgestattet.

Reiche Musiktradition in Jahrmarkt

Über die Musiktradition der Banater Schwaben vor dem Ersten Weltkrieg am Beispiel der Gemeinde Jahrmarkt referierte Mathias Loris, der einer im ganzen Banat bekannten Musikerdynastie entstammt. In vierter Generation setzt Mathias Loris die Familientradition als Musiker und Musikpädagoge fort. Detailreich und anschaulich – auch mittels einer beeindruckenden musikalischen Dokumentensammlung und Tonbeispielen – schilderte er die lange und reiche Musiktradition seines Heimatortes, in dem eine Kapelle erstmals 1834 urkundlich belegt ist. Loris zeichnete die Entwicklung der Kapelle nach, die um die Jahrhundertwende von Rivalitätskämpfen und Spaltungen gekennzeichnet war. Breiteren Raum widmete er der 1908 gegründeten Loris-Kapelle, wobei er die Entwicklung, die Besetzung und das Repertoire der renommierten Blasmusikformation umriss, die von seinem Urgroßvater Peter Loris (1876–1952), dessen Bruder Martin Loris (1886–1966), seinem Großvater Ignatz Loris (1905–1971), seinem Vater Mathias Loris sen. (1927–2001) und von ihm selbst geleitet wurde.

Die nächste Kulturtagung wird thematisch und chronologisch an jene von 2012 anknüpfen. Die vorgelegten Referate werden wieder in einem Tagungsband zusammengefasst und dadurch einem breiteren Leserkreis zugänglich gemacht.