Für die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, die in Zusammenarbeit mit dem Haus der Donau-schwaben Sindelfingen die Tagung „Donauschwäbische Literatur des 20. Jahrhunderts als Spiegel von Epochen und Staaten“ am 24./25. November in Sindelfingen organisiert hatte, wie auch für die Tagungsteilnehmer galt: Die Wege und Irrwege einer Vertreibungsliteratur, die vom Vergangenen und vom Heimweh erzählt, kennt nur der, der alles verlassen hat. Die Vorträge schlugen einen Bogen von der Vertreibungsliteratur des Banats mit Otto Alschers „Wanderung durch die Karpaten Kakaniens“ und „Adam Müller-Guttenbrunns Werk im Spannungsfeld zwischen nationaler Selbsterhaltung und europäischer Gesinnung“ zur ungarndeutschen Gegenwartsliteratur, zur serbischen und kroatischen Literatur und zur Rezeption der Vertreibungsliteratur bis hin zu rumäniendeutschen Autoren und der „Aktionsgruppe Banat“. Obwohl die kulturgeschichtlichen Hintergründe die gleichen sind, waren die Entwicklungen und die Rezeption der Literatur der Donau-schwaben sehr unterschiedlich.
Christine Czaja von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen begrüßte die Gäste und verlas eine Botschaft des Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch, der als Junge miterlebt hatte, wie sein sechzehnjähriger Bruder und 211 weitere Männer seines donauschwäbischen Heimatortes Filipowa in der Batschka grausam umgebracht worden sind. Er hat stets an das Martyrium der Donauschwaben erinnert – eine Mahnung, dass solche Verbrechen nie wieder geschehen mögen. Eine mahnende Rolle kam auch der Literatur zu. Ein gemeinsames Identitätsbewusstsein der Donau-schwaben bildete sich erst spät. Grund dafür sei die Herkunftsverschiedenheit, wie Stefan Teppert, wissenschaftlicher Leiter der Tagung, betonte.
Beeindruckend erzählte Helga Korodi (Würzburg) über Otto Alschers Metamorphose. Anhand von Schautafeln zeigte sie Wirkung und Wirkungsstätten Alschers auf und führte die Anwesenden zu vergangenen Orten (die Insel Ada Kaleh beispielsweise), die im Leben und Werk dieses pazifistischen Dichters mit seinen Vorlieben für Tiergeschichten, Zigeuner und den „Mühseligen und Beladenen“ wichtig waren. Eine ganz andere Lebensgeschichte wird im Werk Adam Müller-Guttenbrunns verdeutlicht, wie Dr. András F. Balogh (Klausenburg) schilderte. Guttenbrunn war der MythenDichter der Banater, obwohl er nicht so viel gelesen wurde. Verkannt oder überhöht? Die Rolle Guttenbrunns ist noch nicht vollständig geklärt. Eine Diskussion ob seiner vermeintlich antisemitischen Haltung brachte die Meinungen auseinander. Dr. Eszter Propszt (Szeged) sprach über die ungarndeutsche Literatur. Sie interpretierte Gedichte einiger weniger bekannten Lyriker: Engelbert Rittinger, Nikolaus Marnai, Claus Klotz, Georg Fath und Josef Michaelis. Themen wie Heimat, Muttersprache, Herkunft ziehen sich wie ein roter Faden durch diese Lyrik. „Heute lernen unsere Nachkommen im Kindergarten als Muttersprache eine Fremdsprache“, so Josef Michaelis in „Agonie“. Mit Mladen Markov, Ljudevit Bauer und Dragi Bugarcic gewährte uns Leni Perencevic (Ulm) den historischen Rückblick auf die serbische und kroatische Literatur seit 1945. Sie zeigte auf, wie sich die Donauschwaben darin spiegeln. Herta Müller, Richard Wagner, Johann Lippet, Franz Storch, Franz Liebhard, Hans Bergel, Eginald Schlatter und ihre literarische Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs waren das Thema von Dr. Olivia Spiridon (Tübingen).
Von der ehemaligen „Aktionsgruppe Banat“ las Johann Lippet (Sandhausen) aus seinem Roman „Bruchstücke aus erster und zweiter Hand“, der dritte Teil einer Familien-Trilogie, der von der Rückkehr in das Banater Dorf zwischen Moderne und Tradition handelt. Ein wertvolles Stück Erinnerung.
Helmut Erwert (Bogen), aus Weißkirchen stammend, las ein Fragment aus dem unveröffentlichten Roman „Die schreckliche Treue der Toten“ – Erinnerungen an Kindheit, Flucht, Vertreibung. Adrian Zimmermann am Klavier untermalte die Lesungen musikalisch.
Fazit: Nur wenige dieser Autoren schafften einen Durchbruch in der gesamtdeutschen Öffentlichkeitswahrnehmung. Das Schicksal der Donauschwaben bleibt erinnert, und das ist die gute Botschaft dieser Tagung. Wissenschaftlich noch nicht erfasst, literarisch jedoch vielfach verarbeitet, sind sie nicht vergessen. Im Raume steht auch die Frage nach der Mitschuld der Donauschwaben an ihrem Schicksal. Das hat auch der auf der Tagung vielmals zitierte Schriftsteller Johannes Weidenheim von der „Gruppe 47“ mit seinem Werk verdeutlicht. Nicht Heimatliteratur ist es, was die Autoren schreiben, sondern eine Erlebnis- und Erinnerungsliteratur. Ivan Poljakovic (Zadar) sprach in seinem Vortrag über die Rezeption der donauschwäbischen Vertreibungsliteratur davon, dass es sich nicht um Minderheitenliteratur, auch nicht um Regionalliteratur handele, denn Heimatvertreibung werde auch bei Günter Grass oder Siegfried Lenz thematisiert. Da Erinnerung eine Notwendigkeit des Menschen ist, galt die Forderung der Referenten im Einklang mit den Teilnehmern, die Vertreibungsliteratur bibliographisch und wissenschaftlich in der deutschen Literatur zu verorten, wie etwa die Schweizer Literatur. Eine Zukunftsaufgabe.