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34. Deutsche Literaturtage Reschitza: Ein Familientreffen der Banater Literatur

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 34. Deutschen Literaturtage Reschitza trafen sich auch in diesem Jahr wieder zu einem anspruchsvollen und fruchtbaren literarischen Austausch. Foto: DFDR Rechitza

Vier Tage Literatur, interkultureller Austausch der Vertreter deutschsprachiger Literatur aus Rumänien, Deutschland, Slowenien und Ungarn fanden während der 34. Deutschen Literaturtagen in der deutschen „Alexander Tietz“-Bibliothek in den letzten Apriltagen in Reschitza statt. Ein Tableau der Vielseitigkeit der verschiedenen Literaten und der verschiedenen Formen literarischen Schaffens in Poesie, Erzählungen, Romanen, Reiseberichten und Kinderliteratur aus dem deutschsprachigen Raum Osteuropas boten die Lesungen der dort versammelten Autorinnen und Autoren. Die Tagung, organisiert und geleitet von Erwin Josef Țigla,  dem Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen, vielfach ausgezeichneter Fotograf und Autor,  wurde unterstützt vom Kulturwerk Banater Schwaben, dem Kultusministerium aus Bukarest, den Ländern Steiermark und Kärnten, dem Alpenländischen Kulturverband Graz, dem Demokratischen Forum der Deutschen im Banat und der Banater Berglanddeutschen und anderen.
Am 25. April 2024 wurde die Tagung festlich eröffnet von Erwin Josef Țigla, der diese Literaturtage mit großem Erfolg all die Jahre organisiert und initiiert hat. Werner Kremm aus Reschitza stellte seine Fotoausstellung: „Eine Porträtsammlung von Teilnehmern der vergangenen Literaturtage“ vor und die Autorin und Redakteurin der Banater Post Stefana Ciortea-Neamtiu aus Temeswar lud mit einer Präsentation ihres Reportage- und Kulturberichte-Buches zur Lektüre von „Kulturerlebnis Temeswar“ (CosmopolitanArt-Verlag, Temeswar 2023) ein. Zwei weitere interessante Buchpräsentationen kamen von dem Historiker Volker Wollmann, der den Industriearchäologen „Johann Michael Ackner, 1782-1864. Leben und Werk“ im Honterus-Verlag, Hermannstadt porträtiert hat. Ein weiteres gut recherchiertes Buch über die Geschichte der rumänischen Bierbrauereien, 2024 erschienen, stellte Traian Popescu vor. An Edith-Guip-Cobilanschi, Deutschlehrerin, Autorin und rege Teilnehmerin der Literaturtage in der Vergangenheit wurde von Balthasar Waitz und Erwin Josef Țigla erinnert. Edith Ottschofski überraschte mit einer Lesung neuer unveröffentlichter Prosatexte, über die Hellmut Seiler kommentierte, dass sie eine nicht sofort erkennbare Tiefe von Alltagsproblemen darstellen. Der Soziologe Anton Sterbling aus Fürth las aus seinem neuen Erzählband „Rückreise aus dem Klimadelirium oder das Lenautreffen Wien“ (im Pop-Verlag, Ludwigsburg 2024 erschienen). Ihm folgte Barbara Zeizinger mit Passagen aus ihrem im Pop-Verlag erschienenen historischen Roman „Leben in Etagen“, der Nachkriegsszenen aus Darmstadt vorstellte. Und zu einem ähnlich erinnerten Geschichtsereignis präsentierte Werner Kremm seine noch nicht veröffentlichte deutsche Übersetzung eines vielbeachteten Buches des rumänischen Polirom-Verlags Jassy über eine deutsch-jüdische Familie namens Halle. Thomas Krause aus Braunschweig las eine Kurzgeschichte. Eine weitere Ausstellung, die unter „Momentaufnahmen“ aucbenfalls Porträts von Teilnehmern der Literaturtage zeigt, wurde am Nachmittag von Eva Seiler-Iszlai aus Deutschland eröffnet. Es folgte der aus Reps, Siebenbürgen, stammende Hellmut Seiler, der als Gründer und Initiator des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises immer wieder in Reschitza dabei ist. Sein Gedichtband der Edition Noack&Block aus Berlin „Aufhebung der Schwerkraft. Lyrik“ und der neueste Band „Wolfsberg oder Die Tiefe der Stille“, 2024 erschienen, wurden vorgestellt von Katharina Kilzer. Seiler las Gedichte vor. Es folgte Balthasar Waitz mit einer Lesung aus seinem Buch „Als wir im Dunkeln saßen“ – Erinnerungsliteratur mit humorigen Einlagen.
Band über Flucht 1944 aus dem Banat
Anton Sterbling und Werner Kremm sprachen über den in der Schriftenreihe „Banater Bibliothek“ als Band 26 demnächst erscheinenden Band „Flucht der Deutschen aus dem Banat im Herbst 1944“, zu dem sie auch Fotos zeigten und die Erzählungen einiger Zeitzeugen vorlasen. Der Band, herausgegeben von Albert Bohn, Werner Kremm und Anton Sterbling, wird später im Temeswarer CosmopolitanArt-Verlag als Doppelband (in einer Kassette) mit einem textidentischen Nachdruck dieses Bandes und einem zweiten Band zum Thema der Flucht der Banater Deutschen 1944 des Historikers Josef Wolf erscheinen. Der Ludwigsburger Verleger Traian Pop Traian aus Kronstadt, der seit Jahren nicht nur engagiert in der Veröffentlichung der deutschsprachigen Literatur Rumäniens ist, sondern auch Bücher anderer osteuropäischer Autoren veröffentlicht, ist selbst Autor und Herausgeber. In Reschitza stellte er die neueste Ausgabe der Literaturzeitschrift „Bawülon“ vor.
Am Samstag gehörte die Bühne den aus Ungarn angereisten Autoren und Vertretern des Kulturvereins „Freundeskreis Murgebiet“ aus Werischwar, die ihre Tätigkeiten als deutschsprachiger Verein in Ungarn bekanntmachten. Aus Schomberg war Josef Michaelis angereist, der aus seinem Band „Tierkonzert“, 2023, vorgelas, gefolgt von dem Autor Nelu Bradean-Ebinger aus Budapest mit neuen Texten und von Johann Schuth, dem Vorsitzenden des Verbands Ungarndeutscher Autoren (VUdAK), mit seinen Veröffentlichungen. Zwei junge Frauen, Vertreterinnen der ungarnschwäbischen Literatur der 123.000 Ungarndeutschen, stellten ihre sehr interessanten Bücher vor: Csilla Susi Szabó aus Surgetin las Gedichte, untermalt von Zeichnungen, und Christina Arnold aus Nadasch bei Fünfkirchen begeisterte mit Kinderreimen aus ihren Kinderbüchern, von einem bekannten Cartoonisten  lustig bebildert.
Am Nachmittag las Beatrice Ungar, Redakteurin der „Hermannstädter Zeitung“, Geschichten aus der Festschrift, die Eginald Schlattner zum 90. Geburtstag gewidmet wurde: „Die Erde ist gewachsen“. Ebenfalls aus Siebenbürgen reiste, wie in vielen anderen Jahren auch, Joachim Wittstock an und stellte einen weiteren historischen Roman in dieser Runde vor: „Romanhafte Chronik“ – „Das erfuhr ich unter Menschen“. Es folgte ein weiterer interkultureller Beitrag des aus der Lausitz angereisten Autors der Sorben-Gemeinschaft Deutschlands Benedikt Dyrlich – er  stellte sowohl das ins Sorbische übersetzte Buch mit Gedichten von Traian Pop vor, als auch seine eigenen Gedichte, die im Pop-Verlag zweisprachig erschienen sind: „Posledni sneh“ (Der letzte Schnee).
Eine der einfühlsamsten Vorstellungen gehörte dem Preisträger des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises 2022, Bastian Kienitz aus Mainz. Begleitet von sehr interessanten Bilderprojektionen moderner Kunst, las er seine dazu verfassten Gedichtzeilen vor.
Bossert-Preis für Dieter Machmer
Der Abend endete mit der Gala-Verleihung des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises 2024 in der einstigen Schule von Rolf Bossert, dem im ehemaligen Hochofen-Industriegebiet Reschitzas gelegenen „Diaconovici-Tietz“ Kolleg, heute eine zweisprachige Schule. In Begleitung einer Ausstellung aus Archiven über den Schüler und Autor Rolf Bossert begrüßte Erwin Țigla die Gäste. Hellmut Seiler sprach die einführenden Worte zur Verleihung dieses Preises an den aus Hamburg stammenden, in Worms geborenen Dramaturgen, Autor und Dichter Dietrich Machmer. Die eigentliche Laudatio sprach Bastian Kienitz, gefolgt von den Dankesworten des Preisträgers. Dieser war zum ersten Mal in Rumänien und gab sich beeindruckt von der Vielfältigkeit der Landschaften, Sprachen, Kulturen, die er spontan erlebte und kennenlernte: Die Zuversicht, Gedichte zu schreiben, trotz allem Gedichte zu schreiben, obwohl es viele gute Gründe gibt, keine zu schreiben. Insbesondere der Alltag. Die Arbeit. Das Leben. Die Existenz. Die Existenz eines Dichters zu führen, der eigentlich andere Sorgen hat. Und Nöte. Und Pflichten. Und Mühe, Zeit und Gelegenheit zu finden, zu schreiben, und im Schreiben den eigenen Anspruch einzulösen, das Credo: Das mindeste, das wir in unsere Gedichte hineinlegen wollen, ist das ganze Leben. Manchmal gehen wir auch darüber hinaus: „Ich schreib mir das Leben her, schreib mir das Leben weg.“(Zitat von Rolf Bossert). Anschließend las er seine sieben Gedichte vor, die als beste Einsendung der 127 Bewerber von der Jury des Gedächtnispreises (Olivia Spiridon, Katharina Kilzer, Werner Kremm, Hellmut Seiler, Bastian Kienitz) bewertet wurden. Eine Schulführung durch das 150 Jahre alte Gymnasium, das in der etwas trostlosen Umgebung der verlassenen Hochofen-Industrie ausharrt, war sehr interessant.
Schließlich gehörte am letzten Tag die Aufmerksamkeit zunächst den aus Maribor, Slowenien, angereisten Autoren Veronika Harin, Vertreterin des Kulturvereins Deutschsprachiger Frauen in Slowenien, und Ivan Korponai aus Stehanja, Slowenien, der seine in mehreren Bänden veröffentlichte Gedichte präsentierte, die teilweise auch von Beatrice Ungar vorgetragen wurden.
Der nächste Tagungspunkt war ein Literatur-Ausflug in das einstige Deutschböhmen-Dorf der Banater Berge: Wolfsberg. Katharina Kilzer las eine Erinnerungsgeschichte an ihre Zeit als Lehrerin im Dorf (1978) vor. Danach stellte sie das Buch „Germanii din Banat“ (Die Deutschen aus dem Banat) – ein Erinnerungsbuch der Zeitzeugen banatschwäbischer Herkunft aus zahlreichen Dörfern des Banats (Nitzkidorf, Triebswetter, Jahrmarkt, Schöndorf u.a.) wie auch aus Wolfsberg im Bergland, herausgegeben in zweiter Auflage des Polirom-Verlags in Jassy, von der Literaturprofessorin Smaranda Vultur vor. Die Wolfsberger Zeitzeugen enthüllen Szenen aus ihrem Leben und Sein in diesem einst rein böhmisch-deutschen Dorf in den Bergen, sie erzählen über „Die Wassermühle von Wolfsberg“ der Familie Hausner und die Erinnerung an „Ferdinand Rank: Ein Waldmensch“.
Ein besonderer Höhepunkt der Literaturtage waren die Lesungen der Temeswarer Literaturkreises „Stafette“, vertreten durch Henrike Brădiceanu-Persem, Arnold Schlachter, Benjamin Burghardt, Arthur Funk und Bianca Barbu, die ihre Werke vortrugen und Henrike Brădiceanu-Persem stellte den neuen Sammelband der Stafette vor, der zum ersten Mal von ihr selbst herausgegeben wurde. In der Hoffnung, den regen Austausch mit deutschen und deutschsprachigen Vertretern der Literatur, zu vertiefen, bedankte sich auch der Veranstalter bei den Stafette-Mitgliedern.
Die 34. Deutschen Literaturtage in Reschitza gingen mit einem schönen Ausflug zu Ende, er führte bei strahlendem Sonnenschein ins Banater Bergland, nach Franzdorf zum Stausee und nach Wolfsberg, wo Herbert Weinfurther in der Kirche über die Geschichte und Besiedlung des Dorfes berichtete und die Gruppe anschließend in den Garten der Pension Heidi am Fuße des Kreuzweges von Wolfsberg einlud. Erwin Țigla verabschiedete die Teilnehmer mit dem Versprechen, dass die nächsten Literaturtagen in Reschitza bereits einen festen Termin haben.