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Literaturtagung: Zeitgenössische rumäniendeutsche Autoren in Bad Kissingen

Freundlich wird man als Gast am Bahnhof abgeholt von Gusti Binder, Fahrer, Moderator und Studienleiter in Personalunion, der die Tagung „Das Banat als Herkunftsbezug und Thema. Zeitgenössische Literatur bekannter rumäniendeutscher Autoren“ nach Heiligenhof in Bad Kissingen geholt hat, wo sie vom 5.bis zum 7. April 2024 stattfand. In der sudetendeutschen Bildungseinrichtung gibt es unter der Ägide des Studienleiters schon seit nahezu zwei Jahrzehnten immer mal wieder Veranstaltungen mit rumäniendeutschem Bezug.
Der emeritierte Soziologie-Professor und Autor Anton Sterbling hatte das Programm dieses vom Kulturwerk der Banater Schwaben Bayern geförderten Literaturseminars zusammengestellt, das dritte seiner Art. 2022 hatte das erste die Aktionsgruppe Banat als Thema, das zweite, 2023, die Banater Literatur und auch in diesem Jahr wollte man sich ausschließlich der rumäniendeutschen Literatur widmen, d.h. ohne literaturwissenschaftliche Hintergrundvorträge. Die Polemik über diese Bezeichnung – rumäniendeutsch – wurde nur am Rande erwähnt. Deren weltweit bekannteste Vertreterin, Nobelpreisträgerin Herta Müller, fehlte allerdings. Ihr hatte man in Heiligenhof vor einigen Monaten eine eigene Tagung gewidmet.
Rückkehr aus dem Klimadelirium
Mit insgesamt vierzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die Veranstaltung sehr gut besucht und hatte nicht nur in Rumänien Verwurzelte sondern neben bundesdeutschen auch Gäste aus Österreich, Sudetendeutsche und andere angezogen. Jugend allerdings (noch) nicht.
Mit einem humorigen und oft ins Anekdotische ausschweifenden Prosatext „Rückkehr aus dem Klimadelirium und die merkwürdige Begegnung mit Nikolaus Lenau in Wien“ (2024), der schon im Titel polemisierte, führte Anton Sterbling souverän in die Tagung ein. Neben den großen Namen fand sich so mancher anwesende Literat oder manche Literatin darin als Gestalt in dieser fantastisch-verrückten Geschichte wieder.
Der Samstagvormittag war im nicht ganz paritätisch besetzten Seminar fest in weiblicher Hand. Zum Auftakt trug Edith Ottschofski Gedichte mit Temeswar-Bezug aus ihrem letzten Band „saumselige annäherung“ (2022), sowie neuere mit Ostsee-Bezug vor, wobei besonders jene im Temeswarer Dialekt erfreuliche Resonanz fanden.
Ein Geröll am Hang
Nicht minder Zuspruch fand der druckfrische Roman von Dagmar Dusil, „Das Geheimnis der stummen Klänge“ (2024), in dem es um eine Klaviervirtuosin geht und allerlei Verwicklungen, die sich von Hermannstadt bis nach Venedig erstrecken. Im gelesenen Fragment wurden unter anderem siebenbürgisch-sächsische Gepflogenheiten erklärt und so stellte eine Ersthörerin im Publikum die Frage, ob der Adressat dieses Textes denn ein bundesdeutsches Publikum sei. Doch nicht wenige der Anwesenden erkannten sich freudig darin wieder.
Ähnlich und doch unter anderem Vorzeichen erging es Ilse Hehn bei ihrer Lektüre eines Gedichtes über die Flucht 1944 aus Rumänien und dem gezeigten Foto ihrer Familie auf dem Planwagen. Das Trauma der Flucht schwang sogleich im kollektiven Gedächtnis der Tagungsgäste mit. Doch die Gryphius-Preisträgerin des letzten Jahres las vor allem unveröffentlichte Gedichte mit poetischen Bildern, in denen eine zweideutige „Hoffnung, ein Geröll am Hang“ aufkam und Frieden nur ein „zerknittertes Wort“ ward. Projizierte Bilder Hehns eigener Kunstwerke passten dazu.
Am Nachmittag kam der Verleger der meisten dort Anwesenden, Traian Pop Traian, übrigens ebenfalls Gryphius-Preisträger (2020), zu Wort. Er hatte nicht nur für den gut bestückten Büchertisch gesorgt, sondern las Übersetzungen seiner rumänischen Gedichte aus 1989 / 1990 („Absolute Macht“, 2017). Eines über die Deportation in den Bărăgan wurde von dem als Kind von Deportierten dort geborenen Autor Horst Samson vortrefflich vorgetragen
Der vor sechs Jahren durch einen Gerichtsprozess wegen übergriffigen Verhaltens an seiner Arbeitsstelle an der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen in die Schlagzeilen geratene Helmuth Frauendorfer meldete sich hier als Autor wieder zu Wort. Er präsentierte gleich zwei Bücher: Den Roman „Abendweg“ (2022), aus dem er ein in der Frauenperspektive geschriebenes Fragment las – die Protagonistin stammt aus Wojteg im Banat -, und den Band „Photopoesie aus Phuerth“ (2024), der mit Bild und Text stringent und gegenwartsbezogen die Corona-Zeit verarbeitet. Die zuweilen kurzen Gedichte kamen vor allem nicht so bierernst daher.
Hellmut Seiler hingegen, der zu Pfingsten den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis erhalten wird, setzte am Nachmittag seine eigenen Gedichte in Bezug zu großen Namen der deutschen Literatur und Philosophie, namentlich zu Klopstock, Kafka und Kant, derer in diesem Jahr feierlich gedacht wird. Auch wollte er eine Lanze für die siebenbürgische Literatur brechen, die – wie der Titel vermuten ließ – vergleichsweise wenig vertreten war. Doch ist es nicht so, dass man zumindest die rumäniendeutsche Minderheit geografisch nicht genau getrennt – in Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben – denken kann oder soll, zumal die Beziehungen rhizomatisch sind.
Eine wunderbar packende Übersetzung über Reszö Halle gab Werner Kremm zum Besten. Im Fragment ging es um einen konvertierten ungarischen Juden, dessen Vorfahr Ephraim aus der Stadt Halle geflohen war und der deren Namen angenommen hatte. Das Buch von Alexandru ngeblich Potcoavă, „Das Leben und die Rückkehr eines Halle“, ist 2019 auf Rumänisch im Polirom Verlag erschienen.
„La Victoire“ in Curtici
Nach dem abendlichen Ţuică-Genuss, gespendet von Astrid Ziegler, sollte es anderntags wieder ernst weitergehen. Nicht nur wurden historische und geografische Einordnungen von Werner Kremm nachgeliefert, allerdings nur in der Diskussionsrunde, (sie wären auch im Programm wünschenswert gewesen), sondern mit dem sonor und mit Pathos vorgetragenen Poem „La Victoire“ von Horst Samson (Erstveröffentlichung im Jahr 2000) wurde abermals die Flucht aus Rumänien intertextuell und bilderreich thematisiert: „Wörter rinnen durch die geschundene Haut“. „La Victoire“, der Sieg, war damals die Ausreise, wurde der Schlachtbegriff doch am Grenzübergang Curtici vom lyrischen Ich in den Fahrtwind geflüstert.
Auch mit der Vergangenheit, zunächst etwas heiter, beschäftigte sich Astrid Ziegler: Mit Essens- und Trinkultur und Mode, wobei die Bloggerin (banat-tour.de) und Publizistin zwischen Sachbuch, Kurzprosa und letztendlich Vortrag changierte. Nach der „Medizin vom Pierepoum“, dem „Ocsko“ (Temeswarer Flohmarkt) und den „Tetrahosen“ wurde Stefan Jäger und „Das Mythische in der kollektiven Imagination über die Ein- und Auswanderung der Banater Schwaben“ thematisiert. Denn das berühmte Triptychon über die „Einwanderung der Schwaben ins Banat“ von Jäger wurde künstlerisch vom Temeswarer Helmut Scheibling wieder aufgegriffen, der mit „Wider das Vergessen“ ebenfalls ein Triptychon schuf.
Fortführung erwünscht
Zum krönenden Abschluss kam ein Abwesender zu Wort: Albert Bohn, der Jüngste aus der Aktionsgruppe Banat, der sich lange zurückgezogen hatte, und jetzt nicht kommen konnte. Für die Tagung hatte er eine Prosa über die Kriegswirren und die eigene Familiengeschichte mitgeschickt sowie zwei Gedichte, die Werner Kremm vorlas. Kritik an der Rückwärtsgewandtheit der Tagungstexte kam zum Teil vom bundesdeutschen Publikum. Doch es überwog das Lob und das rege Interesse.
Der Heiligenhof hat sich inzwischen als Tagungs- und Begegnungsort für rumäniendeutsche Belange etabliert. Seit einiger Zeit schon finden jährlich zwei Kooperationsveranstaltungen des Kulturwerks Banater Schwaben Bayern e.V. und der Akademie Mitteleuropa e.V. in Heiligenhof statt: Besagte Literaturseminare und ein Städte- und kulturgeschichtliches Seminar. Dieser jungen Tradition der Literaturseminare als Austausch der rumäniendeutschen literarischen Diaspora und als Dialog zwischen Siebenbürgen und Banat  wäre eine Fortführung nur zu wünschen. Nicht zuletzt als bundesdeutsches Pendant für die „Deutschen Literaturtage in Reschitza“.
Am Sonntag zerstob die Tagungsgesellschaft wieder in alle Himmelsrichtungen. „deine Freundlichkeit aber / laß als Erinnerung, wenn du gehst“, aus dem Gedicht „sei freundlich“ von Albert Bohn, blieb noch eine Weile im Gedächtnis.