Mit Franz Quitter ehren wir zu seinem 100. Geburtstag eine vielseitig begabte und landsmannschaftlich engagierte herausragende Persönlichkeit des banatschwäbischen Kulturlebens: den Lehrer, Professor und Pädagogen, den Musiker, Virtuosen und Musikpädagogen, den Maler und Zeichner, und nicht zuletzt den warmherzigen und der Gemeinschaft verpflichteten Menschen.
Geboren wurde Franz Quitter am 19. April 1924 in Temeswar. Die Eltern Johann und Barbara Quitter, geborene Kleemann, erkannten schon früh die besonderen Fähigkeiten ihres Sohnes und ermöglichten ihm trotz knapper Kassen eine gediegene Ausbildung. Sie schickten ihn auf die besten Schulen Temeswars und förderten privat seine künstlerischen (Malen und Zeichnen) und musikalischen (Geigenspiel) Begabungen. Nach der deutschen Elementarschule besuchte Franz Quitter das Deutsche Katholische Knabenlyzeum und anschließend die Katholische Deutsche Lehrerbildungsanstalt in der Banatia. Mit der Erlangung des Volksschullehrerdiploms (1943) fand die Schulausbildung ihren Abschluss.
Einer ersten Anstellung als Lehrer an der deutschen Schule im entlegenen Donauort Bersaska folgte nach nur zwei Monaten der Wechsel an die Deutsche Ackerbauschule in Wojteg als Lehrer und Heimleiter. Nach Schuljahresende wurde Franz Quitter zum Militärdienst in die Deutsche Armee eingezogen. Es folgten eine kurze Ausbildung in Riga und Einsätze erst an der Westfront in der Eifel und dann an der Ostfront in Ungarn. Hier wurde er verwundet, kam in ein Lazarett bei Prag und schließlich in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung sollte er im Herbst 1946 in Obernburg am Main den Schuldienst antreten. Um die vom Schulamt verlangten Abschlussdiplome zu besorgen, machte er sich auf den (illegalen) Weg nach Hause. Kaum angekommen, wurde ihm der Einberufungsbescheid zum rumänischen Militärdienst zugestellt. Nun war an eine Rückkehr nach Deutschland nicht mehr zu denken, denn die Gefahr, beim illegalen Grenzübertritt erwischt und als Deserteur verurteilt zu werden, war zu groß. Nach dem Militärdienst schien die berufliche Zukunft ungewiss, denn die inzwischen instaurierte Diktatur des Proletariats in einem nicht gerade deutsch-freundlich gesinnten Nachkriegsumfeld ließ keinen großen Spielraum zu. Zwei eher zufällige Begegnungen sollten sich als berufsbestimmend erweisen.
Der Pädagoge
Da war zuerst die Begegnung mit seinem früheren Geigenlehrer, dem Virtuosen Josef Brandeiß, der ihm den Vorschlag machte, sich doch für die Aufnahme als Streicher in eine bald wieder zu gründende Temeswarer Philharmonie vorzubereiten. Diese Alternative zum Lehrerberuf schien verlockend und so nahm Franz Quitter sein Geigenstudium wieder auf. Dies ermöglichte ihm seinerseits, als geschätzter Violinist und Musikpädagoge tätig zu sein, was vor allem in der Nachkriegszeit ein willkommenes Zubrot einbrachte.
Die zweite Begegnung war für die berufliche Laufbahn entscheidender. Eines Tages erhielt Franz Quitter eine Vorladung zu einem „Genossen“ Fridolin Klein, der ihm eröffnete, dass er von der Partei den Auftrag habe, das deutsche Schulwesen im Banat neu zu gestalten. Dazu brauche er unbedingt einen Sekretär und da er, Franz Quitter, Kanzleierfahrung beim rumänischen Militär gesammelt habe und außerdem „fiu de muncitor“, d.h. Arbeitersohn sei (sein Vater war Tischlermeister bei den Rumänischen Eisenbahnen), käme er für diese Stelle in Frage. Franz Quitter sagte zu und hatte fortan die Schreibarbeiten zu erledigen, die mit der Besetzung und Umbesetzung der deutschen Lehrerstellen im ganzen Banat anfielen. Es lagen hunderte von Gesuchen vor, denn täglich kamen Lehrer aus der Kriegsgefangenschaft, der Deportation in die Sowjetunion oder dem Ausland, wohin sie vor der Front geflüchtet waren, nachhause und suchten eine familiennahe Arbeitsstelle.
Für Franz Quitter selbst ergab sich eine erste Stelle an der Deutschen Elementarschule in Freidorf (1948-1953). Es folgten ein Jahr an der Deutschen Pädagogischen Lehranstalt und fünf Jahre (1954 – 1959) an der Deutschen Mittelschule Nr. 2 (später Nikolaus Lenau Lyzeum). Gleichzeitig besuchte er von 1952 bis 1956 die Abendkurse am Pädagogischen Institut Temeswar, Fakultät für Mathematik-Physik (heute West-Universität von Temeswar) und erwarb den Titel eines „Professors“ für die Hauptfächer Mathematik und Physik. Ab 1959 war er hauptberuflich beim Didaktischen und Pädagogischen Verlag für deutsche Schulbücher beschäftigt. Als Hauptredakteur für die Fächer Mathematik, Physik und Astronomie war er für die Übersetzung ins Deutsche der entsprechenden rumänischen Schulbücher verantwortlich. Ein von ihm übersetztes Lehrbuch der Astronomie wurde von der DDR übernommen, als diese den Astronomieunterricht im Zeitalter der Raumfahrt auszubauen begann. Dies erfüllte die ganze Redaktion mit Stolz. Im Jahre 1973 gelang Franz Quitter mit Familie die Aussiedlung nach Deutschland. Hier ließ er sich in Freiburg nieder, wo schon ein Teil der Familie war. Am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Waldkirch im Breisgau unterrichtete er die Fächer Mathematik, Physik und Astronomie bis zum Eintritt in den Ruhestand (1985).
Für Franz Quitter war der Beruf des Lehrers auch Berufung und er fasste ihn im erweiterten Sinne eines Pädagogen auf, der neben dem Wissen auch menschliche Werte vermittelt und über die Schule hinaus in die Gemeinschaft wirkt. So gründete er in Freidorf neben dem Schulchor einen Chor für die Dorfjugend, um den Menschen, die durch Krieg und Deportation teils elternlos und traumatisiert waren, eine gesellige Alternative zu bieten. Die Chöre waren die Ausgangspunkte einer wachsenden kulturellen Betätigung. Schon bald konnten abendfüllende Vorstellungen gegeben werden, sowohl in Freidorf als auch in anderen Banater Gemeinden. Diese Ausfahrten, mit Übernachtungen bei Familien im Dorf wurden von der Landbevölkerung dankbar angenommen, brachten sie doch unterhaltsame Abwechslung in den tristen Alltag der Nachkriegszeit.
Der Künstler
Den wohlverdienten Ruhestand durch Nichtstun zu genießen, war nicht seine Sache und so suchte sich Franz Quitter Betätigungsfelder, die seinen musischen Begabungen entsprachen. Da ihm die Musik nach wie vor am Herzen lag, gründete er zusammen mit Gleichgesinnten das Kammerorchester Gundelfingen und trat als Geiger einem Streichquartett bei. Es folgten beliebte öffentliche Auftritte bei verschiedenen Anlässen, gelegentlich auch als Solist, in Freiburg und Umgebung.
Neben der Musik war es die Malerei, die Franz Quitter schon als Zehnjähriger für sich entdeckt hatte, die er als Soldat mit Zeichenblock im Rucksack nicht aufgab und der er sich jetzt verstärkt widmen wollte. Er belegte im Rahmen des „Studium generale“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg einen vierjährigen Kurs (1985 – 1989) in Malen und Zeichnen, inklusive Akt und Porträt. Über die Jahre entstand ein beträchtliches Oeuvre von über 150 Bildern und Zeichnungen, das in eigenen Ausstellungen und in Gemeinschaftsausstellungen des Kunstvereins Gundelfingen einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Besonders hervorzuheben sind die eigenen Ausstellungen in der Sparkasse Karlsruhe, der Stadtbücherei Wolfratshausen, der Raiffeisenbank Gundelfingen und der Sparkasse Schönau, über die auch die Presse lobend berichtete.
Die Motive für seine Bilder findet Franz Quitter überwiegend in der Natur, in seiner Banater Heimat, aber auch Abstraktes ist dabei. Er selbst beschreibt seine Kunst als „moderne Sachlichkeit, von gegenständlich bis abstrakt“ und stellt sie unter das Motto „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ (Paul Klee). Seine Mentorin Margot Degand: „Was er da tut, ist kein Spiel und keine bloße Laune; es ist eine Sache von großer Ernsthaftigkeit“. Und der bekannte österreichische Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch findet: „Schöne Farben fließen in die Bilder ein, natürlich zeigt sich ein handwerkliches Können. In unserer Gesellschaft sollte mehr Mut zu dieser Art von Malerei bestehen.“
Im Ruhestand konnte sich Franz Quitter endlich noch einer weiteren „Jugendliebe“ zuwenden – der deutschen Literatur. Er hatte mal beabsichtigt, Germanistik zu studieren, doch in der klassenkämpferischen Nachkriegszeit war ihm dieses Studium zu „ideologielastig“. Der Zufall lenkte jetzt seine Aufmerksamkeit auf ein Spezialgebiet der Sprachwissenschaft, die mathematische Linguistik, die den Mathematiker und den Literaten in ihm gleichermaßen anzog. Aus dieser Symbiose entstand die umfassende Studie: Vergleichende quantitative Stilanalyse des Romans „Meister Jakob und seine Kinder“ von Adam Müller-Guttenbrunn. Sie ist als Büchlein im Eigenverlag erschienen (1997) und stellt einen originellen Beitrag zur stilistischen Analyse der Werke Adam Müller-Guttenbrunns dar.
Ehrenamtlich engagiert
Franz Quitter war über viele Jahre ehrenamtlich tätig und hat verantwortungsvolle Ämter bekleidet. Noch in Temeswar und in der Zeit, als Kontakte ins westliche Ausland alles andere als harmlos waren, hat er die Vertrauensarbeit vor Ort für die Caritas Freiburg übernommen. Es ging um die Verteilung von auf Umwegen ins Banat gelangten Hilfsgütern an arme, bedürftige und kranke Menschen. Auch nach seiner Aussiedlung beteiligte er sich an den Hilfsaktionen für das Banat, verstärkt in den wirtschaftlich schweren 80er Jahren und nach der Revolution von 1989. Eine der größten Aktionen war die Einrichtung einer Dialysestation in Temeswar durch das Hilfswerk für Nierenkranke.
Sein soziales Engagement erstreckte sich nicht nur auf die Landsleute in der alten, sondern auch auf die in der neuen Heimat. Franz Quitter war jahrelang Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Kreisverband Freiburg. Der von Dr. Hans Weresch gegründeten Adam-Müller-Guttenbrunn-Gesellschaft zur Pflege des Banater deutschen Kulturerbes diente er als stellvertretender Vorsitzender. Beim Bund der Vertriebenen, Kreisverband Freiburg, kümmerte er sich als Vorstandsmitglied und Vorsitzender auch um die Belange anderer Volksgruppen. Dem Ostdeutschen Akademischen Arbeitskreis (Kopernikuskreis) in Freiburg war er als Vorstandsmitglied verbunden. Selbst „einheimischen“ Vereinen ließ er seine Unterstützung zukommen, wie dem Arbeitskreis Alemannische Heimat, dem er als Vorstandsmitglied lange angehörte.
Bei einer so langjährigen wie erfolgreichen Tätigkeit im Dienst der Gemeinschaft konnten Ehrungen nicht ausbleiben. So erhielt Franz Quitter die Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg „in Würdigung langjähriger Verdienste im Ehrenamt“ (1989). Zu seinem 80. Geburtstag erhielt er gleich von zwei Verbänden die höchsten zu vergebenden Auszeichnungen: die Verdienstmedaille der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Gold „als Dank und Anerkennung für langjährige Verdienste um unseren Verband und für das Wohl unseres Banater Volksstammes“, und die Ernst-Moritz-Arndt-Verdienstmedaille vom Bund der Vertriebenen, Landesverband Baden-Württemberg, „in Würdigung der seit der Vertreibung erworbenen besonderen Verdienste um Heimat und Recht“.
Ein vielseitiges und erfolgsgekröntes Lebenswerk wie das unseres Jubilars kostet viel Kraft. Es war der intakte familiäre Rückhalt, aus dem Franz Quitter immer wieder neue Kräfte schöpfen konnte und der ihn in seinen Bestrebungen unterstützte. Diesen Rückhalt fand und findet er bis heute in Ehefrau Helene, Tochter Sieglinde und den Enkelkindern Alexander, Johannes und Kathrin. Franz Quitter und Helene Marschang, die Tochter des Schuldirektors, lernten sich kurz nach seinem Dienstantritt an der Freidorfer Schule kennen, heirateten 1951 und 1961 kam Tochter Sieglinde zur Welt. Helene Quitter hat die Deutsche Pädagogische Lehranstalt Temeswar absolviert (1953) und war zeit ihres Berufslebens als Lehrerin tätig. Sie war ihrem Mann eine unersetzliche Stütze und ohne ihre tatkräftige Mithilfe hätte er all die ehrenamtlichen Aufgaben nicht bewältigen können.
Helene und Franz Quitter sind altersentsprechend – sie 90 und er 100 Jahre alt – bei guter Gesundheit, sehr vital und geistig rege. Im Alltag kommen sie noch ohne nennenswerte fremde Hilfe zurecht und selbst längere Reisen zu familiären Anlässen sind noch drin. Dass dies noch lange so bleiben möge ist der sehnlichste Wunsch des Ehepaares. Gefragt nach dem Geheimnis des Altwerdens und dabei Jungbleibens meinte der Jubilar, es könnte am berufsbedingten Umgang mit überwiegend jüngeren Menschen gelegen haben. Wenn das stimmt, dann dürften dem Jubilar noch viele Jahre beschieden sein, denn als Hundertjähriger ist man ja nur noch von Jüngeren umgeben.
In diesem Sinne, lieber Franz, bleibe Deinen Lieben und der Gemeinschaft noch lange erhalten. Alles Gute, Gesundheit und Wohlergehen wünsche ich Dir in meinem eigenen Namen als dankbarer Schüler und im Namen aller, denen Du durch Dein Wirken Gutes erwiesen hast.
Der Umgang mit Jüngeren hält jung
Kultur Erstellt von Diethard Schiller