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Über Trachten und ihre Träger - Ansprechender Bildband über die Trachten der Vertriebenen

Eine kleine Ausstellung sollte es werden, berichtet die Herausgeberin des kürzlich im Münchner Haus des deutschen Ostens präsentierten Bildbands „Heimat im Gepäck“ im Vorwort. Er enthält großformatige Fotos mit Menschen in verschiedenen Trachten aus ostdeutschen Gebieten – aus dem Sudetenland, der Wischauer Sprachinsel, dem Egerland, aus Schlesien, Ostpreußen und Pommern, aber auch Trachten der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben. Die Selektion war insofern vorgegeben, als die Ausstellung, die ursprünglich beabsichtigt war, in Mittelfranken verortet war, beim jährlichen Gredinger Trachtenmarkt sollten lebensgroße Bilder von Trachtenträgerinnen und Trachtenträgern aufgestellt werden. Das Projekt wurde von der Trachtenforschungs- und Beratungsstelle Mittelfranken betreut, die von der Kulturhistorikerin Katrin Weber geleitet wird. Wegen der Pandemie fand der Trachtenmarkt 2020 nicht statt, die Vorarbeiten (z.B. Fragebögen, die von verschiedenen Verbänden beantwortet worden waren), sollten jedoch nicht ungenutzt bleiben. So entstand ein gut 300 Seiten füllender Band über „Vertriebene und ihre Trachten“, der 2023 im Münchner Volk Verlag erschienen ist.
Obwohl das Buch, entsprechend der ursprünglichen Konzeption, etliche hochwertige Ganzkörperfotos von Trachtenträgern und vor allem auch Trachtenträgerinnen aufweist, für die der professionelle Industriefotograf und engagierte fränkische Trachtler Walther Appelt verantwortlich zeichnet, ist es kein reiner Bildband geworden. Die unterschiedlichen Herkunftsgebiete der Trachten mussten ebenso vorgestellt und beleuchtet werden wie die von Region zu Region auch sehr verschiedenen Umstände des Heimatverlustes und Wohnortwechsels. Das alles wirkte und wirkt sich auf die Funktionalität des Trachtentragens aus, die sich unter anderem aus den Ergebnissen der Umfrage ergab.
Da es sich um ein Projekt der Trachtenforschungsstelle Mittelfranken handelt, war die Befragung auch mit nur wenigen Ausnahmen auf den Raum Mittelfranken rund um Nürnberg fokussiert. Das erklärt, dass manche ostdeutsche Trachten gar nicht oder wenig repräsentiert sind. Die Herausgeberin gibt an, dass die größten Gruppen der Befragten Sudetendeutsche (43 %), Siebenbürger Sachsen (16 %) und Banater Schwaben (15 %) waren.
Jedes Kapitel beginnt mit einer historischen Einleitung, viele davon – auch die zum Banat – wurden von der Herausgeberin selbst verfasst. Sie stützt sich dabei etwas undifferenziert auf die 2023 in Regensburg erschienene „Kurze Geschichte des Banats“ von Irina Marin un greift für die deutsche Besiedlung bis ins Mittelalter, was aus der Sicht der Trachten eher weit hergeholt ist.
Die Hauptprobanden für die Fragebögen (und auch für die Fotos) sind Mitglieder der Banater Tanzgruppe Nürnberg, jedoch mit einer Ausnahme: Eine Zeitzeugin, die 1913 in dem gerade noch zum Banat gehörenden Ort Zemun an der Donau (heute ein Stadtteil von Belgrad) geboren ist, weitet den Blick auf die Geschichte dann doch deutlich auf den gesamten donauschwäbischen Bereich aus. (Die Donauschwaben kommen als eigene Gruppe in dem Trachtenbuch ohnehin nicht vor.) Der Gesamtblick ist gerechtfertigt, wenn man die Funktionalität der Trachten untersucht. Denn diese steht, gemäß den Fragestellungen der modernen Volkskunde, im Fokus des vorliegenden Bildbandes. Dem Mythos der „uralten“ Trachten, die sich über Jahrhunderte unverändert erhalten haben, widersprechen die praktischen Ergebnisse bei den Angaben der Trachtenträger. Durch die von Therese P. aus Zemun vorgelegten Fotos sind die Veränderungen im Kleidungsverhalten innerhalb einer einzigen Biografie dokumentiert: Die ältesten drei Abbildungen zeigen die Probandin als Mädchen in der wohlbekannten glockenförmigen Tracht, doch mit deutlich unterschiedlichen Details - mal mit weißer Bluse unter dem gekreuzt gebundenen Fransentuch, mal mit weit geschnittenen und über dem Rock getragenen Oberteilen. Im Vorspann des Textes wird die Herkunft dieser im Vergleich zu anderen Trachten doch recht besonderen Glockenform ausführlich erklärt, sie war etwa zu der Zeit der Auswanderung nach Ungarn in Westeuropa Mode geworden – auch das ein Hinweis, dass Trachten wie jede andere Alltagskleidung stets der Mode unterworfen waren. Ein weiteres Bild zeigt Therese P. wohl einige Jahre später als junge Frau in städtischer „modischer Kleidung“, während ein Bild aus dem Jahr 1932 zwei Schwestern „in moderner Sonntagskleidung“ zeigt, die gar nicht mehr an die heimische ländliche Tracht erinnert.
Bei der Befragung der Spätaussiedler aus der Tanzgruppe Nürnberg ergab sich ein vermeintlicher Widerspruch. Denn diese gaben offenbar mehrfach an, dass den Verwandten im Banat von den bereits Ausgewanderten dringend nahegelegt wurde, die Tracht zuhause zu lassen, weil sie hier damit auffallen würden. Andererseits hat die 1980 gegründete Tanzgruppe der Banater Schwaben Nürnberg wie alle anderen Banater Tanz- und Trachtengruppen explizit auf die Tracht als Aushängeschild und Gemeinschafts-Merkmal gesetzt. Der Widerspruch löst sich auf, wenn die Trachten differenziert und auf ihre Funktion hin untersucht werden: In den Dörfern im Banat war es für die ältere Generation durchaus auch in den 1980er Jahren noch üblich, Trachtenkleidung, bei den Frauen sogar mit Kopftuch, zu tragen. Diese Tracht wurde höchstens abgelegt, wenn ihre Trägerinnen in die Stadt zogen. Und genau die war gemeint, wenn die Kinder aus Deutschland den auswandernden Eltern davon abrieten, sie bei der Umsiedlung mitzunehmen.
Die Kirchweihtrachten der Banater Tanz- und Trachtengruppen sind dagegen keine Alltagstrachten, sondern Teil einer repräsentativen folkloristischen Inszenierung, um sich im öffentlichen Raum als Gruppe kenntlich zu machen. Vorbild für ihr Erscheinungsbild (darauf geht Katrin Weber in ihrem Text leider nicht ein) sind die Kirchweihtrachten der 1970er Jahre, die von den Aussiedlern sehr wohl in den Koffern und Kisten mitgebracht wurden. Auch sie hatten damals im kommunistisch gleichgeschalteten Rumänien die Funktion, Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit zu demonstrieren. Als es ab ca. 1970 wieder möglich war, Kirchweih zu feiern und somit das eigene (deutsche) Brauchtum zu pflegen, wurde dabei zwar auf Vorkriegstraditionen zugegriffen, aber es entwickelten sich durchaus eigene Formen, auch bei den Trachten. Die Volkskundlerinnen Ingeborg Weber-Kellermann und Annemie Schenk haben diese Anpassungsfähigkeit der Trachten bei einem Forschungsaufenthalt in den 1970er Jahren im Banat eindrucksvoll nachgewiesen.
Eine Augenweide sind neben all den informativen Texten zu den einzelnen Regionen die ansprechenden Bilder, die ausschließlich auf die Trachten fokussiert sind. Sie zeigen eine bunte Vielfalt, die sich im Trachtenbereich in den verschiedenen ostdeutschen Gebieten präsentiert. Allein von den Banater Frauentrachten sind in der Nürnberger Gruppe offenbar etliche sehr unterschiedliche vorhanden und hier abgebildet: vom Sanktannaer „Mohlgewand“ über das „Fisitl“ der Schöndorfer Tracht bis hin zur prächtigen Festtagstracht aus Guttenbrunn. Für die eher schmucklose Männertracht sind die geschmückten Hüte charakteristisch, die der Fotograf eindrucksvoll ins Blickfeld gerückt hat.
Warum dem Kapitel über die Banater Trachten allerdings das Herta-Müller-Zitat „Heimat ist das, was gesprochen wird“ vorangestellt wird, erschließt sich nicht, denn von der Sprache ist an keiner Stelle die Rede.
   Heimat im Gepäck. Hrsg. v. Bezirk Mittelfranken. Volk Verlag München, 2023. ISBN: 978-3-86222-426-5. 39.90 Euro.