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Der Zeppelin-Luftschiffhafen von Sanktandres - nach den Aufzeichnungen von Paul Biber

Vom Oktober 1915 bis zum April 1917 existierte vor der Einfahrt in das banatschwäbische Dorf Sanktandres, etwa 12 Kilometer von Temeswar, ein Zeppelin-Luftschiffhafen. In meiner Kindheit wurde noch sehr viel darüber gesprochen und berichtet. Aufgrund von Erzählungen der älteren Ortsbewohner begaben sich die Kinder meiner Generation in den 1960er Jahren immer wieder in diese Gegend und staunten über die Fundobjekte auf der Weide vor unserem Heimatdorf. Stillgelegte oder beschädigte Wasserbecken deuteten dort auf ein reges Treiben hin. Eine sonderbare Wasserquelle sprudelte damals noch aus dem sehr salzhaltigen Boden. Unsere Großeltern erinnerten sich daran und erzählten auch vom Absturz eines Zeppelin-Ballons und von der Stilllegung des Militärstützpunktes. Was übrig blieb, wurde danach abgebaut und freigegeben, manche Gegenstände fanden somit auch Verwendung in dem einen oder anderen bäuerlichen Haushalt.
Der militärische Luftschiffhafen bei Temeswar, der im Herbst 1915 unter dem Tarnnamen „Adebar“ aufgebaut wurde, umfasste einen riesigen Luftschiffhangar, Werkstätten und Lagerräume. Für die Gasproduktion entstand ein Gasflaschenschuppen. In einem großen Keller soll man die Bomben unter Verschluss aufbewahrt haben. Wirtschaftsräume und andere Einrichtungen kamen hinzu, ein Maschinenraum mit Elektromotor und Generator lieferte den notwendigen Strom usw.
Es wurde in meinen Kinderjahren erzählt, dass die Intellektuellen dieser Station im Sanktandreser Gemeindehaus elektrischen Strom vorführten, während im Ort die Petroleumlampe noch allgegenwärtig war.
Matthias Weber und Dr. Anton Petri, die Autoren des Sanktandreser Heimatbuches, listen darin einige Ereignisse der Feldtruppe auf dem Sanktandreser Zeppelin-Luftschiffhafen Adebar an der Südseite unseres Heimatdorfes auf. Auch der Banater Heimatforscher Heinrich Lay berichtet in zwei Sanktandreser Heimatblättern von dieser Zeit des Zeppelin-Luftschiffhafens in seinem Heimatort. Dem Absturz der LZ 86 am 4. September 1916 räumt er viel Platz ein und nennt auch Augenzeugen, die ihm von diesem schrecklichen Ereignis ausführlich berichteten. Bei dieser Zeppelin-Katastrophe bezahlten neun Mann mit ihrem Leben. Sechs Besatzungsmitglieder liegen auf dem Temeswarer Friedhof an der Lippaer Straße. Heinrich Lay erwähnt auch zwei Unteroffiziere der Truppe, die sich in der Zeppelinhalle befanden und sich danach mit Sanktandreserinnen verheiratet haben. Der Zugsführer Anton Lenio (*1891) heiratete im Januar 1914 Susanne Liesz. Der Feldwebel Leo Wild (*1891) heiratete die am 6. Februar 1897 geborene Anna Klein.
Im Sanktandreser Vereinsblatt Nr. 24 (2021) berichtet Thomas Pataki in einem kurzen Exkurs über die Rolle, die sein Heimatdorf im Ersten Weltkrieg einnahm, und weist auf die strategische Stationierung des Zeppelin-Luftschiffhafens hin. Dem Bericht wurde Material („Das interessante Blatt“ vom 25. November 2015) von Hans-Jürgen Wolf beigefügt.
Das Jahrbuch 2022 der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien enthält ein ausführliches und sehr interessantes Gespräch der ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu mit Dr. Jörg Biber, dessen Vater Paul Biber als Feinmechaniker und als Luftschiffer auf dem Zeppelin-Luftschiffhafen in Sanktandres wirkte. Der Sohn hatte von seinem Vater zahlreiche Fotos und Dokumente geerbt, die er sorgfältig aufarbeitete. Sein Vater war auch ein leidenschaftlicher Fotograf, deshalb erzählt seine Hinterlassenschaft weniger über das Kriegstreiben, sondern enthält vielmehr zahlreiche Fotos, Filmmaterial und informative Abhandlungen. Zum Beispiel dokumentiert er den Aufbau des Luftschiffhangars und die Gesamtanlage des Luftschiffhafens. Er berichtet von unterschiedlichen Aspekten seines Militärdienstes, beschreibt Aktivitäten in der Freizeit und schildert Kontakte zur Sanktandreser Bevölkerung. Dr. Jörg Biber nahm aufgrund dieses Materials mit Experten, Historikern, Redakteuren sowie Zeitzeugen Kontakt auf, um die Aufzeichnungen seines Vaters im Gesamtzusammenhang zu präsentieren.
Publikationen von Dr. Jörg Biber
2021 legte Dr. Jörg Biber ein Werk vor, das vor allem auf Fotografien und Aufzeichnungen seines Vaters Paul Biber (1891-1957) beruht, während er 1915 und 1916 auf dem Luftschiffhafen Sanktandres tätig war. Der Band wurde in der englischen Übersetzung von Catherine Lawier unter dem Titel „Szentandrás Airship Base near Timisoara, Code Name ADEBAR 1915 and 1916“ veröffentlicht.
In den zwölf Kapiteln des Werkes widmet der Autor sich der Geschichte der Zeppelin-Luftschiffe. Er erzählt von dem „Königlich Sächsischen Feldtrupp für Luftschiffe Nr. 14“, aber auch dem Bau des Luftschiffhafens bei Sanktandres räumt er viel Platz ein. Er beschreibt die Verlegung des Heeres-Zeppelins LZ 81 nach Sanktandres 1915 und dessen Operation dort bis zu seiner Rückverlegung nach Dresden. Der Zeitraum der Stationierung in Sanktandres und die Einsätze einiger Luftschiffe werden detailliert beschrieben. In Kapitel 10 wird die Biographie von Paul Biber einschließlich der verschiedenen Stationen seiner Laufbahn bei der Armee vorgestellt. Das letzte Kapitel des Buches umfasst ein mit dem Autor Dr. Jörg Biber geführtes Gespräch, wo seine Bemühungen zum Erhalt der Geschichte des Luftschiffhafens bei Temeswar zum Ausdruck kommen. Das Buch kann über Amazon Aeronaut Books (ISBN 9778-195320 1294) bezogen werden.
Ein weiteres Buch von Dr. Jörg Biber, „Das Seeflugzeug-Versuchs-Kommando Warnemünde“, ist ebenfalls 2021 in englischer Sprache erschienen und liegt nun in deutscher Sprache vor. Es gibt einen detaillierten Einblick in die unterschiedlichen Arbeiten beim SVK Warnemünde. Die Bewertung durch Jörg Mückler in der Zeitschrift „Klassiker der Luftfahrt – 5/2023: bescheinigt der deutschen Ausgabe eine „besseren Typografie und einer höheren Abbildungsqualität“ als dem englischen Original. „Von besonderem Interesse sind die mittels QR-Codes verknüpften Videoclips von digitalisierten Originalaufnahmen.“, hebt er hervor. Auch dieses Buch ist über Amazon beziehbar, die deutsche Fassung kann aber auch vom Verlag direkt bestellt werden (Verlag MediaScript 2023, 34,50 €).
Im November 2023 veröffentlichte die Rumänische Akademie Klausenburg (Cluj-Napoca) in deutscher und rumänischer Sprache (Übersetzung: Raluca Nelepcu) das äußerst interessante Buch „Erlebnisse von Feinmechaniker Paul Biber als Luftschiffer auf dem Luftschiffhafen Temeswar (1915 und 1916)“, von Dr. Jörg Biber. Herausgeber ist Prof. Dr. Rudolf Gräf.
Dr. Jörg Biber ist beruflich in die Fußstapfen seines Vaters gestiegen, er erlernte einen Metallberuf, war Ausbilder, wurde Diplomingenieur-Pädagoge und promovierte später an der TU Dresden. Wie sein Vater bemühte er sich, reichlich zu publizieren. Er recherchierte das Wirken seines Vaters an der Deutschen Uhrmacherschule bis hin zum Aufbau der Ingenieurschule für Feinwerktechnik. Dabei stieß er auch auf die einzigartigen Unterlagen mit sehr viel Fotomaterial aus der Zeit, als sein Vater Luftschiffer auf der Sanktandreser Weide war. Der Luftschiffhafen war somit der erste Temeswarer Flughafen überhaupt, er wurde vor 109 Jahren gebaut und funktionierte fast zwei Jahre lang. In dem Band wird die Notwendigkeit dieses Luftschiffhafens im Ersten Weltkrieg im Banat erläutert, ebenso wie die Idee zum Bau eines Luftschiffes von Graf Ferdinand von Zeppelin (1838-1917). Die Verlegung des „Königlich-sächsischen Feldtrupps für Luftschiffe Nr. 14“ und die Errichtung des Luftschiffhafens mit den notwendigen Einrichtungen auf dem Fluggelände von Sanktandres werden ausführlich beschrieben. Das gute Verhältnis der Feldtruppe zu den Sanktandreser Bewohnern findet man auf schön illustrierten Seiten dargestellt. Eingehend berichtet wird auch von der Stationierung sämtlicher Luftschiffe. Das vorläufige Ende der progressiven Entwicklung des Zeppelin-Luftschiffprojektes und die Spurensuche nach Fragmenten der Existenz des Sanktandreser Luftschiffhafens (Ergebnisse des tschechischen Historikers Jiří Ráčil) schließen die Berichterstattung über dieses sonderbare Projekt vor den Toren der Banater Landeshauptstadt ab. Das Buch wurde im November 2023 von Prof. Dr. Rudolf Gräf im deutschen Kulturzentrum „Alexander Tietz“ in Reschitza vorgestellt.
Obwohl das Attentat von Sarajewo im Juni 1914 auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger und seine Frau, das als Auslöser des Ersten Weltkriegs gilt, auf dem Balkan stattfand, ist im deutschen wie auch im rumänischen Sprachraum wenig über die Kriegsschauplätze auf dem Balkan bekannt. Die wenigsten Menschen wissen, dass hier deutsche Luftschiffe zum Einsatz kamen. Mit seinem neuen Buch „Luftschifffahrt über dem Balkan 1915 – 1918“, dass im Frühjahr dieses Jahres erscheinen wird, möchte Dr. Jörg Biber die Lücke diesbezüglich schließen. Aus unserer Sicht ist hier der Bau des Luftschiffhafens an der südlichen Ortseinfahrt von Sanktandres, die Stationierung eines Feldtrupps und dessen Wirken auf dem Sanktandreser Gelände, von großem Interesse. Viele Originaldokumente, von Experten bereitgestellte Unterlagen und Fotos sowie die gut erhaltenen Dokumente von Paul Biber (409 Fotos, 16 Übersichten, 8 Farbprofile und 19 Grafiken, Feldpostkarten und Briefe) sind hier einbezogen und versprechen ein einzigartiges Werk zu dieser Thematik.
110 Jahre Flugbetrieb in Temeswar
Derzeit wird in den Publikationen und Medien der 1935 in Altmoschnitza, südöstlich der Banater Landeshauptstadt, als erster Standort eines Flugplatzes in Temeswar erwähnt. 1960 wurde das erste Gebäude des heutigen Flugplatzes in der Nähe der Dörfer Ghiroda und Überland im Kreis Temesch gebaut. Seit 2003 trägt der Flughafen den Namen von Traian Vuia, er ist der zweitgrößte Flughafen Rumäniens nach dem Bukarester Flughafen Henri Coandă. Nimmt man die Geschichte der Temeswarer Flugplätze jedoch genauer unter die Lupe, stellt man erstaunlicherweise fest, dass der erste Temeswarer Flugplatz schon 1915 südlich von Sanktandres in der damaligen österreichisch-ungarischen Monarchie errichtet wurde.
Somit hatte Temeswar einen der ersten Flughäfen auf dem ganzen Balkan. Das erfüllt uns Banater doch ein bisschen mit Stolz. Aufgrund dieser Erkenntnisse ist für das nächste Jahr in Temeswar ein Projekt mit Ausstellung geplant, unter dem Arbeitstitel: „110 Jahre Flugbetrieb in Temeswar/Timișoara“.