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Die Nase voll von dem Duft nach Zuhause

„Kochkurs“ heißt eine der Geschichten aus dem Buch von Franziska Müller: „Vertraute Momente.“, das in der Reihe Life is a Story bei Story One Publishing erschienen ist. (ISBN 978-3-7108-8067-4, 18 €). Es enthält 15 kleine Geschichten aus dem Alltag  und kann im Buchhandel oder online bei Thalia oder Amazon bestellt werden.

Kochkurs
Es gab kaum etwas, das Anne mehr ein Gefühl von Heimat gab, als nach Hause zu kommen und, noch auf der Türschwelle stehend, die Nase voll von dem Geruch nach frisch gekochtem Essen zu haben. Kaum etwas verband sie so mit ihrer Kindheit wie all das von ihrer Mutter gekochte Essen, das schon früher alles mit seinem Duft erfüllte, das in den Gardinen hängen blieb, sich in allen Ecken einnistete und sie umgab wie ein warmer Mantel.
An kaum etwas hatte sie so viele gute Erinnerungen wie an die traditionellen Gerichte, die ihre Mutter mit einer liebevollen Hingabe zubereitete, die Anne von ihr sonst nicht kannte. Sie erinnerte sich an Rezepte, die ihre Urgroßmutter ihrer Großmutter beigebracht hatte, die sie Annes Mutter beigebracht hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihre Mutter sich besser mit Annes Oma verstanden hatte als beim Kochen. Beim Kochen all dieser Mahlzeiten, die in Anne sofort etwas auslösen. Die sie mit Geborgenheit und einem Lächeln erfüllten und, sobald sie sie in der Nase hatte oder auf dem Herd stehen sah, einen Moment zurückholten, an die Oberfläche zogen, und sie für einen Augenblick oder eine Ewigkeit an einen Ort brachten, den sie schon vor so langer Zeit hinter sich gelassen hatte.
Wenn es so herrlich nach erhitztem Öl und Knoblauch roch, konnte man mit Sicherheit sagen, dass schon bald das ganze Esszimmer gefüllt mit Menschen sein würde. Tanten und Onkel, Oma und Opa und manchmal ein paar Freunde und Nachbarn wollten etwas von den Langos abhaben, die niemand so gut zubereitete wie ihre Mutter.
Wenn sie den Eintopf mit Hähnchen und Paprika köcheln sah, war das Lächeln, das sich auf Annes Gesicht schlich, eher ein Grinsen. Bestimmt hatte ihr Vater dann irgend etwas falsch gemacht. Ihr Vater aß alles, nur Geflügel hasste er.
Wenn die Küchenzeile noch voller Paniermehl und Ei war, hatte sie die Stimmen ihrer Schwester und Mutter im Kopf, die über die perfekte Zubereitung eines Schnitzels diskutierten und sich jedes Mal wieder ob ihres vorzüglichen Ergebnisses in den Himmel lobten. Sie konnte das Gespräch, das sich daraus entspann, beinahe mitsprechen.
Wenn es nach Bohnen roch, wollte sie sich wieder in das Zimmer zurückziehen, in dem sie seit langem nicht mehr schlief. Steak mit Bohnen gab es, wenn ihrer Mutter zu viele Gedanken durch den Kopf gingen. Es war ihr Wohlfühlessen. Für Anne waren Bohnen wohl für immer mit einem schlechten Gefühl in der Magengegend verbunden.
Wenn es voller Rauch war und man den Geruch nach angemachtem Hackfleisch einatmete, atmete man auch Liebe und Lebensfreude ein. Man hörte Lachen und Gespräche. Fühlte schon vor dem ersten Bissen das wohlige Gefühl eines gefüllten Magens und die Geborgenheit eines Zuhauses, das gefüllt ist mit Erinnerungen und Essen und Menschen, die schon immer da waren, mit denen man ein Haus und eine Vergangenheit teilte, die einen in den schlimmsten und besten Momenten gesehen hatten, mit denen man gestritten und gekämpft hat, die Ratschläge gaben und ein offenes Ohr hatten, die manchmal unfair und gemein waren, die man selbst manchmal unfair und gemein behandelte. Zu denen man aber immer wieder zurückkehrte.
Menschen, mit denen man, eine Zeit lang, jeden Abend zusammen gegessen hatte.
„Mama“, sagte Anne beim Eintreten, die Nase voll von einem Duft nach Zuhause, „Ich glaube, du musst mir beibringen, wie man kocht“.

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Ich bin in Würzburg als eine von vier Schwestern geboren und aufgewachsen. Unsere Eltern stammen beide aus dem Banat − unsere Mutter aus Glogowatz und unser Vater aus Warjasch. Wenn meine Eltern, Tanten, Onkel und Großeltern aus ihrer Kindheit erzählen, sind das Geschichten, die nicht recht hierher passen. Sie erzählen von Essen, Traditionen und Orten, die sich nicht so einfach in unser Leben hier übersetzen lassen. Aber immer wieder fragen meine Schwestern und ich nach diesen Geschichten. Und diese Geschichten werden mit Leben erfüllt, wenn Gerichte gekocht werden, die aus dem Banat stammen, man Trachtenpaare tanzen sieht oder die Elternhäuser der eigenen Eltern besucht. Mit jeder Reise ins Banat habe ich mehr über das Leben von damals gelernt und es vor allem mehr und mehr zu verstehen versucht. Mein Kurzgeschichtenband ist keine Biografie, vielmehr sind es kleine Geschichten, die inspiriert sind, von den Anekdoten, die ich immer wieder gehört habe, von Dingen, die ich selbst gesehen habe und von dem Gefühl, das ich habe, wenn ich bei unseren Festen und Veranstaltungen − bei Kerweih oder beim Zelten, beim Tanzen und beim Grillen − bin.