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Tagungsbericht: Stadt- und Kulturgeschichte von Reschitza

Die Teilnehmer der Tagung in Bad Kissingen Foto: Jürgen Schneider

Ausschnitt aus der Tagungseinladung des DDF Reschitza Bild: DDF

Die deutschen Siedlungen mit bairischen Merkmalen im rumänischen Banat.

Mit Erinnerungen an Rolf Bossert und dem Gedicht im Editorial, von Werner Kremm vorgelesen, endete die Tagung „Stadt und Kulturgeschichte Reschitzas“ eindrucksvoll.
„raki vun ibarall“ und „di bersawa” fließen „noch imma ten peag nunda“, das Wasser der Bergsau ist sauberer denn je, aber ... es fließt kein Stahl mehr in Reschitza, dem ehemals industriellen Herzen Südosteuropas.
Diese Entwicklung Reschitzas im Banater Bergland war Thema der Tagung, die an der Akademie Mitteleuropa vom 10. - 12. November 2023 in der Bildungs- und Begegnungsstätte Der Heiligenhof in Bad Kissingen stattfand. Gefördert wurde die Veranstaltung durch das Kulturwerk der Banater Schwaben in Kooperation mit dem Demokratischen Forum der Banater Berglanddeutschen.
Die Leitung hatten Erwin Josef Țigla (Reschitza) und Prof. Dr. Anton Sterbling (Fürth) inne sowie Studienleiter Gustav Binder vom Heiligenhof (Bad Kissingen).
Nach der Begrüßung durch die Tagungsleitung führte Erwin Josef Țigla mit dem Beitrag: „Abseits des Fokus. Das Modell Reschitzer Vortragsreihe” in das Thema ein.
„Reden wir vom Banater Bergland, so denken wir nicht nur an die ebenso malerische wie großartige Bergwelt des Kreises Karasch-Severin ..., sondern selbstverständlich auch an das Westgebiet der Poiana Ruska auf dem Territorium des Temescher Kreises,“ zitiert Țigla zu Beginn den Chronisten des Banater Berglandes Georg Hromadka, beschreibt die Vielfältigkeit dieses Gunstraumes.
Durch konkrete statistische Daten wird die Bevölkerungsentwicklung der Berglanddeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezeigt.
Wenn die Deutschen im Banater Bergland vor der Wende hauptsächlich durch die in den Medien erschienenen Informationen zu ihren Tätigkeiten in Industrie und Forstwirtschaft bekannt waren, so sind es nach der Wende die kulturellen Aktivitäten. Das Demokratische Forum der Banater Berglanddeutschen und der Kultur- und Erwachsenenbildungsverein „Deutsche Vortragsreihe Reschitza” entwickelte mit 1487 Veranstaltungen seit der Gründung im Jahr 1991 eine überaus rege Tätigkeit. Die Veranstaltungen wurden alle dokumentiert und können auf der Hompage www.dfbb.ro eingesehen werden.
Werner Kremm (Reschitza) gestaltet seinen informativen Vortrag „Reschitza im Wandel” postkarten- und fotoillustriert, basierend auf der Sammlung von Lucian Duca. Spannend wird das Werden von Werk und Stadt sowie die Höhepunkte der Wirtschaftsentwicklung aufgezeigt. Der Beginn des Niedergangs wird an Beispielen wie SowRomMetal, der Aufgabe des Deutschen als Werkssprache, des Berufsschulunterrichts in deutscher Sprache, der Streuung Reschitzaer Urkompetenzen über ganz Rumänien und der Vernachlässigung von Modernisierungen und technischer Neuausstattung dargestellt.
Nach der Wende wurde der Bergbau- und Schwerindustriebereich aufgegeben und Reschitza stand vor dem Nichts. Die Periode 1990 - 2016 sei gekennzeichnet durch lokalpolitische Inkompetenz, so Werner Kremm. Seit 2016 gibt es EU- und Regierungsfinanzierungen, denn Reschitza soll bis 2030 zur lebenswerten Stadt und zum „Talzentrum“ des Ski- und Freizeitgebiets am Bergstock des Semenik umgewandelt werden.
Dr. Hans-Heinrich Rieser (Tübingen) referierte zum Thema: „Reschitza – warum schlug hier das industrielle Herz Südosteuropas? Die (natur-)räumlichen Hintergründe”. Er führte zunächst. in den Naturraum um Reschitza ein. Verstand es, die Tektonik und Geologie, Lagerstätten allgemein sowie die Lagerstätten im Banater Bergland speziell, anschaulich darzustellen.
Diese und weitere naturräumliche Faktoren haben im Wechselspiel mit geopolitischen Entscheidungen und demografischen Entwicklungen den Kulturraum geprägt. Aspekte wie: Das Banater Bergland rückt ins Rampenlicht; Reschitza wird eingerichtet; Reschitza in der zweiten Industrialisierungsphase; Reschitza in Rumänien; Reschitza in der kommunistischen „epoca de aur“ sowie Reschitzas Werke straucheln im globalen, Weltmarkt gaben dem Vortrag die Struktur.
Marionela Wolf (Tübingen) stellte „Auswandererbriefe aus dem Banater Bergland” vor. Zunächst klärte sie, was Auswandererbriefe sind, legte Gründe der Beispielwahl dar.
Aufschlussreich ist der Fall des Pastors Johann Karl Reichard, Beispiel der Einwanderung von Evangelischen aus dem Odenwald (1723 - 1725) in das südwestliche Banat, den Entstehungskontext, die Reise ins Banat sowie Reichards Aktivitäten dort.
„Briefe der Familie Bihrle aus Königsgnad in ihre württembergische Heimat (1817-1835)“ wurden als zweites Beispiel thematisiert. Der gezeigte Ordner mit Kopien der Quellen gab Einblicke in die interessante, akribische Forschungsarbeit der Referentin.
Josef Wolf (Tübingen) referierte zum Thema: „Das Banater Bergland als Migrationsraum”.
Zu Beginn seines Beitrags betonte der Referent die altuelle Bedeutung der Migrationsthematik. Er stellt jedoch nicht die großen Migrationsströme in ihrer zeitlichen Abfolge in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, sondern die Herausbildung ethnischer Diversität vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Dabei wurde in einem ersten Schritt der Entwicklung und räumlichen Verteilung der subregionalen ethnischen Groß- und Kleingruppen Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Gruppen waren Rumänen, Aromunen, Serben, Kraschowanen, Roma, Deutsche, Tschechen, Slowaken und Türken.
Beim Aufzeigen der Entwicklung ethnischer Diversität im zentralen Ort des Banater Berglandes, in Reschitza, legt Josef Wolf den Fokus auf Zuwanderungen seit 1771, speziell auf Deutsche, Tschechen und Slowaken und aktuelle Assimilationsprozesse.
Die Industriestadt nahm und nimmt gegenwärtig die Funktion eines interethnischen Schmelztiegels ein, in dem mehrere Ethnien neben- und miteinander gelebt haben. Diese Prozesse mündeten oft in Vielfachidentitäten als Ergebnis unterschiedlicher Identitätsfaktoren.
Dr. ing. Christian Paul Chioncel (Reschitza) thematisierte „Das Hochschulwesen in Reschitza, im XX. und XXI. Jahrhundert”.
„... das wertvollste Geschenk welches die Leitung der Partei Reschitza bei der 200 Jahr Feier des Bestehens  der Schwerindustrie auf dieser Industrieplattform macht” war am
29. 03.1971 der Beschluss des Ministerrats der Sozialistischen Republik Rumänien, das „Institutul de Subingineri din Reșița / Institut für Betriebsingenieure“, untergeordnet dem Polytechnischen Institut „Traian Vuia” in Temeswar, zu gründen. Chioncel stellt in einer Präsentation mit ausdrucksstarken Fotos die Etappe 1971-1992 vor: den Gebäudekomplex, die Laborausstattung, Unterkunft, Lehrkräfte und Studenten sowie die beiden Bereiche Mechanik und Elektrotechnik.
1992 wurde die Fakultät für Ingenieurswissenschaften und die für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften gegründet. Spannend war und ist die Weiterentwicklung der Universität von 2020 bis heute, vor allem die Kooperation und der Wechsel von der Universität Eftimie Murgu in Temeswar zur Universität Babeş-Bolyai in Klausenburg.
Prof. Dr. Hermann Scheuringer (Regensburg) referierte zum Thema: „Sprache und Dialekte im Banater Bergland”. Der Vortrag war die mündliche Form des im Sammelband „250 Jahre Eisenhüttenindustrie in Reschitza”, Hg. Gräf/Wolf (2021) enthaltenen Beitrags.
Prof. Dr. Rudolf Gräf (Reschitza) hielt den Vortrag: „Von der StEG zur UDR. Die Übergabe- und Gründungsakten und die neue rumänische Wirtschaftspolitik. 1919-1923. Ein nicht leichter Prozess.”
Den Fokus richtete der profunde Kenner der Geschichte der StEG, (Österreichisch-ungarische Staatseisenbahngesellschaft) auf die Nachkriegszeit und die Aufteilung des Banats nach dem Frieden von Trianon 1920, der in der Region zu erheblichen Schwierigkeiten, mit dem Untergang der Monarchie auch zum Ende der (StEG) führte.
Die neue rumänische Aktiengesellschaft UDR  „Uzinele de Fier și Domeniile din Reșița (UDR)“ geht daraus hervor und wird dadurch zum wichtigsten Schwerindustriezentrum in Rumänien. Rudolf Gräf verdeutlicht die Vermischung zwischen Wirtschaft und Politik, die Rumänisierung des Unternehmens, das Überleben der alten österreichischen Funktionäre sowie die Rolle der Arbeiterschaft.
Günther Friedmann (Sindelfingen) referierte über „Das kulturelle Leben in Reschitza”. Zunächst stellte er den Heimatverband der Banater Berglanddeutschen vor, der 1981 gegründet wurde. Eine Viellzahl an Aktivitäten stärken den Zusammenhalt. Bei jährlichen Heimattreffen an unterschiedlichen Orten wurden in den letzten 10 Jahren Fotoausstellungen zu verschiedenen Themen organisiert.
Durch die Initiative des Heimatverbandes wurde die Ausstellung: „Glühender Stahl und rauchende Schlote – 300 Jahre Industriegeschichte des Banater Berglands” in Kooperation mit dem Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm erarbeitet. Hinzu kamen Publikationen, Familienbücher, Heimathefte. Günter Friedmann betonte die gute Zusammenarbeit mit den anderen Verbänden der Rumäniendeutschen.
Im zweiten Teil stellte er das kulturelle Leben Reschitzas vor: Allgemeine Geschichte, Vereine und Organisationen in Reschitza sowie die lokale Presse. Ein Schwerpunkt war der Bericht über die Werkskapelle, die Kapellmeister sowie die Teilnahme an verschiedenen Wettbewerben. Reschitzas aktives musikalisches Leben wurde durch die Feuerwehrkapelle und Streichkapelle, das Symphonische Orchester, die Jazz- und Dixieband sowie Tanzkapellen gestaltet.
Die Bedeutung der Musikschule für die musikalische Bildung der Jugend wurde betont. Rege Tätigkeiten konnten die Reschitzaer Gesangvereine vorweisen. Die 1921 gegründete Operettensektion hatte 33 Operetten im Repertoire. Ab 1947 gab es den „Corul muncitoresc“ später „Corul Sindicatelor“ und den Kammerchor. Eine Fortsetzung wäre lohnendes Thema kommender Tagungen.
Luise Frank (Regensburg) sprach über „In Ferdinandsberg geboren, aber ...” Ihr Vortrag war ein autobiografischer Rückblick, der in Ferdinandsberg begann.
Die Referentin bot einige Eckdaten ihrer Biografie: geboren 1971, Familie kam 1975 nach Deutschland, deshalb irgendwo zwischen Erlebnisgeneration und nachgeborener Generation. Sie zeigte einen Lebenslauf in Bildern (Eltern, Kindheit in Rumänien, Kindheit in Deutschland, Schule, Beruf, Ehe, Familie), verbunden mit der Frage, inwieweit das Erleben eines solchen Bruchs in der Biografie sie geprägt hat. Sie stellt Fragen als Schlusswort: „Haben meine Eltern mir ein Gefühl von Fremdheit vererbt? Ich glaube nicht, aber ein Gefühl von „unterschiedlich sein“ bleibt. Ist das eine gelungene Integration? Eine vollzogene Integration bedeutet letztlich auch einen Verlust von Identität. Kann man Identität wechseln?” Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer erkannten darin ähnlich erlebte Situationen.
Anton Sterbling beschloss die Vortragsreihe mit biographischen Erfahrungen zu denen er, wie könnte es anders sein, soziologische Zugänge zum Banater Bergland eröffnete. Diese werden in anderem Kontext als Strukturfragen und Strukturpinzipien südosteuropäischer Gesellschaften erörtert – Fragen, deren Beantwortung ganze Tagungsreihen erfordern würde. Die von Sterbling vorgelesenen Passagen seiner Erzählung „Klimadelirium“ boten literarische Impressionen aus dem Banater Bergland mit aussagendichter Symbolik.
Eine Abschlussdiskussion konnte bei Tagungsende aus Zeitgründen nicht mehr erfolgen. Deshalb: Danke! Fortsetzung erwünscht.