zur Druckansicht

Temeschburger Heimatblatt 2023: Im Zeichen der Kulturhauptstadt

Wie immer zum Ende des Jahres erscheint das von Fred Zawadzki farbenfroh gestaltete Heimatblatt der „HOG Temeschburg“. Zum Glück kommt diese unzeitgemäße Ortsbezeichnung in den Beiträgen kaum vor, denn die Stadt Temeswar ist in diesem Jahr europaweit bekannt geworden als Kulturhauptstadt und wurde in zahlreichen Medien das ganze Jahr über ausführlich beworben. Selbstverständlich war sie auch für Banater und Temeswarer ein Anziehungspunkt, was die Beiträge im Heimatblatt ausführlich widerspiegeln. Nicht die Heimattage der Banater Schwaben stehen dabei im Vordergrund, sondern die verschobene Feier zum 150. Jubiläum der Lenauschule mit Festakt, Kulturprogramm und großem Lenau-Treffen. Auch das Buch, das zum Jubiläum der Lenauschule erschien, „Die Lenauschule sind wir“, findet seine Würdigung, ebenso wie die aus Anlass der Kulturhauptstadt erschienene „Kleine Stadtgeschichte Temeswar“, ein kompakter und gut lesbarer Streifzug durch die wechselvolle Geschichte der Stadt. Die Kulturhauptstadt war auch Anlass für die Präsentation von Kunst und Literatur in Temeswar. Das Heimatblatt würdigt die gut eine Woche dauernde „Multimedia-Expo der in Deutschland ansässigen Temeswarer Künstler“, eine Initiative von Emil Banciu, dem Betreiber des Portals banat-media.eu, an der auch die HOG Temeswar beteiligt war. Das Programm bot einige bekannte Namen Banater Künstler und Autoren – Bruno Bradt, Walter Andreas Kirchner, Magdalena Binder, Fred Zawadzki, Ottilie Scherer, um nur einige zu nennen. Auch Rollups mit Jäger-Bildern wurden für die Ausstellung erstellt.
Zur Geschichte im weitesten Sinn gibt es in dem Heft einige interessante Beiträge: Über die Perspektiven der Donauschwaben aus dem Nachlass von Hans Gehl, eine Rezension der Erzählungen von Anton Sterbling „Die versunkene Republik“ oder eine kurze Klarstellung von Hans Dama über den Anspruch Temeswars, erste Stadt mit elektrischer Straßenbeleuchtung gewesen zu sein. Aufgrund seiner Recherchen gebührt dieses Privileg der österreichischen Stadt Steyr. Die Zerstörung dieses Mythos hat die Kulturhauptstadt, die auch noch mit dem Slogan „Lass dein Licht leuchten“ wirbt, bisher nicht zur Kenntnis genommen. Da riskiert man lieber einen Blick in die Zukunft und liest den Abdruck der Science-Fiction-Erzählung „Temesvar im Jahre 2069“, die in fünf Folgen im Juli 1869 in der „Temesvarer Zeitung“ erschienen ist. „Temesvaria“ ist in dieser Erzählung die glanzvolle „Hauptstadt Südungarns“, die der Sommerhitze mit permanenter Luftzufuhr trotzt und in deren modernen Hotels man „von Gethier unbelästigt“ schlafen kann. Doch auch erstaunliche politische und wissenschaftliche Überlegungen fließen in die Zukunftsvisionen des Autors aus dem 19. Jahrhundert ein. Ein sehr amüsanter Fund von Erhard Berwanger. 
Wie immer werden Persönlichkeiten gewürdigt, die leider inzwischen verstorben sind. Horst Samson widmet seinem Freund und Weggefährten Richard Wagner bewegende Worte. Radegunde Täuber gedenkt des Ehepaars Eva und Franz Marschang, beide haben einen bedeutenden Beitrag zur Kulturgeschichte der Deutschen im Banat geleistet. Helga Korodi erinnert an die Sportlerin Brigitte Sandager und Astrid Ziegler schreibt über ihre ehemalige Lehrerin Paula Knopf, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag begehen konnte. 
Im sportlichen Bereich erinnert Yves-Pierre Detemple an die Banater Fußball-Legende Arpád Thierjung, während Ernst Meinhardt Überlegungen darüber anstellt, was aus der ehemaligen Banater Traditionsmannschaft „Poli“ mittlerweile geworden ist. 
Einen breiten Raum nimmt wie immer die Rubrik „Erlebtes Temeswar“ ein, das der Vergangenheit und Gegenwart von Zeitzeugen ein Podium bietet. Zum „Heimatgespräch am Gartentisch“ haben sich ein paar Freundinnen von früher zusammengefunden, das professionell kompetente Fazit zu psychologischen Aspekten der Integration zieht eine der Teilnehmerinnen, Helga Prexl-Mager, im Interview mit Fred Zawadzki. Hans Dama singt ein Loblied auf Temeswar, Yves-Pierre Detemple eins auf seine Mutter. Walter Roth, Julia-Henriette Kakucs, Anna Schuld, Emil Knöbl, Katharina Sigrid Eismann und Fred Zawadzki ergehen sich auf unterschiedliche Weise in Temeswarer Kindheitserinnerungen, während der Fokus der Rückblenden von Walter Roth auf seiner Zeit als Schauspieler am Temeswarer Deutschen Theater liegt. Das „Lyrische Eck“ umfasst gleich fünf Seiten und bietet so unterschiedlichen Autoren wie Nikolaus Berwanger, Renate Radetzki, Horst Samson, Ilse Hehn, Hans Dama, Erika Scharf, Frieder Schuller, Henriette Stein, Sigrid Katharina Eismann, Edith Ottschofski und Ernst Temeschburger Raum für Poesie.
Der kulinarische Part fällt diesmal, wie Zawadzki im Editorial bereits entschuldigend hinweist, aus Platzmangel sehr kurz aus. 
Insgesamt ist das Heimatblatt wieder ein vergnügliches Sammelsurium an Geschichten über und aus Temeswar, wo es, wie der Herausgeber betont, um die Generation der Repressalien und der im Sozialismus verpassten Chancen geht. Diese hat offenbar aber, wie die Beiträge zeigen, dennoch ein Polster an erzählenswerten Erinnerungen bewahrt. Und dass Temeswar Kulturhauptstadt war, erfreute die heutigen und die ehemaligen Temeswarer gleichermaßen, das zeigt auch das Heimatblatt 2023.