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Bekenntnisse und Erkenntnisse

Mag. Gerhard Schiestl, Univ.-Doz. Dr. Andrea Kolbus und Mag. Dr. Hans Dama (v.l.) bei der Gedenkfeier für Adam Müller-Guttenbrunn in Wien Einsender des Fotos: Hans Dama

Keine Künstlerpersönlichkeit des wirkenden Wortes unter den Banater- wie unter den Donauschwaben durfte sich eines solchen Bekanntheitsgrades in den Reihen der breiten Bevölkerung erfreuen wie Adam Müller-Guttenbrunn. Es sind vor allem die als Heimatromane eingestuften erzählerischen Werke und sein Schwabenlied, die zur Steigerung seiner Popularität ihren maßgeblichen Beitrag geleistet haben. Adam Müller-Guttenbrunns eigentliches Wirken entfaltete sich im cisleithanischen Österreich: in Linz und vorwiegend natürlich in Wien…
Im Wiener „Haus der Heimat“ fand am 18. Oktober eine vom Verein der Banater Schwaben Österreichs veranstaltete Gedenkfeier anlässlich des Ablebens von Adam Müller-Guttenbrunn vor 100 Jahren statt. 
In ihrer Eröffnungsansprache stellte die Vizepräsidentin des Vereins der Banater Schwaben Österreichs, Univ.-Doz. Dr. Andrea Kolbus, den Referenten Mag. Dr. Hans Dama, Obmann des Vereins der Banater Schwaben Österreichs, vor. 
In seinem anschließenden Vortrag: „Adam Müller-Guttenbrunn – 100 Jahre nach seinem Ableben: Bekenntnisse und Erkenntnisse“ ging der Referent auf Leben und Werk des Schriftstellers, vor allem auf die Vorwürfe des literarischen Antisemitismus ein, indem er die in seinem posthum erschienenen Werk „Erinnerungen eines Theaterdirektors“ (Leipzig 1924) anhand autobiographischer Aussagen des Schriftstellers Erkenntnisse und die Haltung Adam Müller-Guttenbrunns zu Themen der Zeit beleuchtete.
So bekannte der Schriftsteller bezüglich der ihm später zur Last gelegten antisemitischen Vorwürfe in seinem unter dem Pseudonym Franz Josef Gerhold 1903 veröffentlichtem Roman „Gärungen – Klärungen“:
 Ich hatte mich damals zwar in eine große Arbeit gestürzt, hatte einen Roman begonnen, ich dem ich mich mit der leidigen Judenfrage auseinandersetzte, in die ich selbst hineingezogen worden war. Der Roman war mir so wichtig, weil er die Scheidung zwischen mir und jenen Elementen zu vollziehen geeignet war, die in der Wiener Gesellschaft und dem künstlerischen Leben dieser Stadt überall obenauf schwimmen und die, weil sie Papier mit Druckerschwärze beschmutzen, sich einbilden, sie seien wirklich die Macher der öffentlichen Meinung und sie hätten tatsächlich die Macht über Tod und Leben im Bereich der Öffentlichkeit zu entscheiden. Man weiß oft nicht, aus welcher Stimmung heraus ein Buch geboren wird, wie unter einem Zwange. Mein Roman war aus jener unerquicklichen Situation herausgeschrieben, in der ich mich damals befand. Schon weil ich es gewagt hatte, in einer Frage, die dem Judentum unangenehm war, nicht seiner Meinung zu sein, stieß man mich ab. Und von der anderen Seite riss man fortwährend an mir. Aber ich stand doch fest und spreizte die beiden Beine aus, um die Balance nicht zu verlieren. (Erinnerungen eines Theaterdirektors, S. 31). 
Der Schriftsteller gesteht auch folgendes: 
Auch schrieb ich schon zehn Jahre lang für ein großes Breslauer Blatt, das antisemitisch ist, Wiener Briefe, ohne mich um die politische Stellung desselben zu bekümmern. Ich fühlte mich frei von allen Parteifesseln und wollte es auch künftig bleiben. (Erinnerungen eines Theaterdirektors, S. 32)
Die später erfolgten Angriffe vorausahnend bzw. erläuternd, äußert sich  der Schriftsteller zum Thema Antisemitismus klar und deutlich:
Ich war immer ein unpolitischer Mensch, war immer ein Liberaler, ein Demokrat oder sonst etwas. Ein deutscher, ein begeisterter Anhänger meines Volkes war ich, denn ich kam von deutschen Kolonisten und lernte früh den Kampf um mein Volkstum führen gegen den magyarischen Nationalstaat. Aber wählen bin ich nie gegangen, nie habe ich einen Stimmzettel beschrieben, nie eine politische Versammlung besucht. Ja, ich habe die politischen Artikel selbst jener Blätter nicht gelesen, für die ich seit zwanzig Jahren Feuilletons schrieb. Ich war zur Not unterrichtet über die politischen Strömungen, aber persönlich war ich nie mit einer in nähere Berührung gekommen. (Erinnerungen eines Theaterdirektors, S. 32).
In der antisemitischen Satzung des Kaiserjubiläums-Stadttheater-Vereins wurde festgehalten, dass nur christliche Schauspieler zulässig seien und Direktor Adam Müller-Guttenbrunn hatte deshalb von Anbeginn mit Schwierigkeiten zu kämpfen: 
Der 1897 zum Wiener Bürgermeister ernannte Karl Lueger, ein bekennender Antisemit, erteilte Theaterdirektor Guttenbrunn die Weisung, keine Juden einzustellen und nur Werke christlicher Schriftsteller aufzuführen. Zu dieser Haltung äußerte sich Adam Müller-Guttenbrunn wie folgt:
Es sei nach meinem Gefühl undenkbar, in Wien ein Kunstinstitut zu schaffen, das den Juden in seiner Eigenschaft als Mitbegründer, als Autor, als Schauspieler und als Publikum ausschließe. (Erinnerungen eines Theaterdirektors, S. 15/16).
Und weiter die Meinung des Dichters dazu: 
Ein Theater gegen das Judentum – pfui Teufel! (Erinnerungen eines Theaterdirektors, S. 33.) 
Eindeutig äußert sich der Schriftstelle wie folgt:
Die Herren wissen ganz gut, dass ein antisemitisches Hetztheater undenkbar ist, aber sie sehen selbst in einem von antiliberaler Seite geförderten Theater eine Gefahr und da darf man wohl sagen, sie sehen Gespenster. (Erinnerungen eines Theaterdirektors, S. 25). 
Und es gab sogar ausgesprochen „Jüdische“ Blätter, die meinen Standpunkt billigten. Ein bekanntes Montagblatt nahm mich in Schutz gegen die erfahrenen Angriffe, es missbilligte wie ich die Unklugheit der Liberalen, mit einem Kohn an der Spitze zu einer gemeinsamen Aktion mit den Antisemiten zusammenzutreten und es leugnete die Möglichkeit wie ich, dass aus einer solchen Verbindung heute in Wien etwas Nützliches hervorgehen könnte. (Erinnerungen eines Theaterdirektors, S. 26.)
Der Schriftsteller kontert antisemitische Vorwürfe auch, indem er auf seine Temeswarer Schulzeit eingeht: Als nach dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn 1867 auch in Temeswar die madjarische Sprache als Unterrichtssprache eingeführt wurde, zog er dem Schulbesuch den Fischfang im Begakanal vor und musste aufgrund des schlechten Zeugnisses die Schule verlassen. Der ratlosen Mutter Eva Müller kam der kluge Guttenbrunner Dorfjude Jellinek zu Hilfe, indem er ihr dringend empfahl, den Buben weiter studieren zu lassen, denn aus dem könne „was ganz Großes” werden. Müller-Guttenbrunn war Herrn Jellinek bis an sein Lebensende stets dankbar. Wie sollte er da eine antisemitische Einstellung haben?
Die meisten Kritiker Adam Müller-Guttenbrunns, so der Referent, hätten sich wohl nie in dessen Werke vertieft, sondern vielmehr einzelne Schriften aus dem Kontext gerissen und tendenziös verwendet. 
Dass dem Schriftsteller „Deutschtümelei“ vorgeworfen wird, muss dahingehend relativiert werden, dass er sich in einer repressiven Zeit der nationalen Unterdrückung durch die Ungarische Nationalitätenpolitik für die Minderheitenrechte seiner „Schwaben im Osten“ einsetzte. Niemand käme auf die Idee Giuseppe Garibaldi, Sitting Bull, Mahatama Gandhi, Nelson Mandela u.a. Vorwürfe zu machen, weil sie für die Rechte ihrer Völker eingetreten sind. 
Leider würden in diesem Zusammenhang auch die mannigfaltigen Leistungen des Schriftstellers für die österreichische Kultur stets außer Acht gelassen. Den Besuchern des Symposiums sei es selbst überlassen, sich über seine Werke ein Bild von der Haltung Adam Müller-Guttenbrunns zu machen.