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Walter Wilhelms neues Buch „177“

Im Rahmen der Veranstaltungen zur Kulturhauptstadt Temeswar 2023 präsentiert der Autor Walter Wilhelm eine dreisprachige Sonderedition mit 48 Kurzgeschichten. Es sind Erinnerungen an Sackelhausen und an das Temeswar der 1960er Jahre.
Der schlichte Titel des Bandes, dessen Vorwort der Temeswarer Universitätsprofessor Marcel Tolcea verfasst hat, lautet: „177“. Es handelt sich um eine Hausnummer, die hier angegeben ist. In diesem Fall die Hausnummer des Autors Walter Wilhelm, der in Sackelhausen aufgewachsen ist und dessen Erinnerungen hier ihren Ausgangspunkt genommen haben. Die Hausnummer war in Sackelhausen – und das galt für alle banatschwäbischen Dörfer in dieser Zeit – nicht nur Teil einer postalischen Adresse, sondern sie gab auch Auskunft darüber, wer dort wohnte. „Im Dorf wurde man über die Hausnummer, über die deutsche Gassenbezeichnung und über den Hausnamen beziehungsweise den Familienspitznamen identifiziert“, sagt Walter Wilhelm und fügt hinzu: „In meinem Fall über die Hausnummer 177. Wenn dann noch der Familienspitzname, Staub’s Walter, erwähnt wurde, wusste jeder im Dorf sofort wo ich hingehörte und vor allem kannte jeder meine Familiengeschichte. Man kannte meine Eltern und Großeltern, meine Urgroßeltern und meistens auch alle Ahnen bis zurück zur Einwanderung. Gerade die Hausnummer war wie ein offenes Familienbuch und damit auch Ausdruck der Zugehörigkeit. Sie war Teil der Identität. Man könnte fast sagen, sie war ein Stück Heimat.“
Diese Heimat zeigt sich in allen 48 Geschichten des Buches, erzählt aus der Perspektive des Kindes, mit Abenteuern und Jugendstreichen, vom „Futschelches“ spielen übers Baden im „Russenloch“ bis zum „Einbrechen“ im Winter im Eis. Dazu gibt es idyllische Naturbeschreibungen und Erinnerungen an die Freiheit eines Dorfkindes in einem von Gemeinsinn geprägten Alltagsleben. Die Rolle der Familie und der Verwandtschaft wird dabei sichtbar, genauso wie der Zusammenhalt in der Nachbarschaft. Feste wie die „Kerweih“ brachten Spannung und Begeisterung ins Leben und zeugten vom vielfältigen Brauchtum der Banater Schwaben. Die „Stadt“, womit Temeswar gemeint ist – ihr ist in dem Buch eine eigene Geschichte gewidmet – war ebenso ein Magnet für neugierige Kinderaugen wie die Ausflüge als „Luftschnapper“ nach Wolfsberg. Von der Schule ist die Rede, von fortschrittlichen Neuerungen wie „Elektrisches Licht“, und von der Wahrnehmung der großen weiten Welt in den Geschichten „Deutschländer“ und „Die Amerikaner“.
Im Zentrum steht dabei die Idee des Erinnerns, wie Marcel Tolcea in seinem Vorwort betont. Auch das Erinnern an den Dialekt, an die Sacklaser Mundart – die erste Sprache, die man als Kind lernte. Ein Dialekt, der seit der Ansiedlung im Banat vor neun Generationen nur mündlich weitergegeben wurde. Wenn man so will, die eigentliche Muttersprache. Hochdeutsch wirkte da fast wie eine Fremdsprache, die man in den ersten Schuljahren erlernt hat. Hinzu kam dann noch das Rumänische, mehr schlecht als recht auf der Straße von den rumänischen Freunden und später als wirkliche Fremdsprache in der Schule erlernt. Alle drei Sprachen haben die Beziehungen zum Dorf Sackelhausen, zur Stadt Temeswar, zur Region Banat und auch zu dem Land Rumänien geformt. Diese Sonderausgabe, zum Temeswarer Kulturhauptstadtjahr herausgegeben, ergibt in den subjektiv erzählten Alltagserlebnissen von Walter Wilhelm ein gesellschaftliches Gesamtbild von historischer Bedeutung, ein Zeitzeugnis der Sackelhausener und der Banater Schwaben in der alten Heimat.
Für den Westen sind Temeswar und das Banat oft noch ein blinder Fleck auf der europäischen Landkarte. In diesem Jahr steht die drittgrößte Stadt Rumäniens als Kulturhauptstadt im Fokus der europäischen Öffentlichkeit. Vielseitig, digital, künstlerisch, mit innovativem Esprit, aufpolierten Fassaden und Multi-Kulti-Flair – so aufgeschlossen und frisch will sich Temeswar als tolerante Vielvölkerstadt präsentieren. Ein Schmelztiegel der Nationen und Kulturen war sie schon immer. Und genau das will die Kulturhauptstadt Europas 2023 mit facettenreichen Darbietungen, Ausstellungen und kunstvollen Inszenierungen wirkungsvoll zum Ausdruck bringen. Neben vielen anderen Banater Schwaben wird es auch Walter Wilhelm in diesem Jahr in die Europäische Kulturhauptstadt Temeswar und in seinen Heimatort Sackelhausen ziehen. Dort wird er am 30. Mai zusammen mit weiteren Autoren an einem Kulturtreffen im Gemeindesaal teilnehmen und in den drei Sprachen aus seinem Buch „177“ lesen. 
 
Walter Wilhelm: 177. 48 Einzelgeschichten, 265 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-9825178-7-2; Sonderausgabe: 2023 Temeswar - KulturHauptstadtEuropa. Übertragung in den Sackelhauser Dialekt: Hildegard Lutz, Reutlingen; Übertragung in die rumänische Sprache: Marcel Tolcea, 
Temeswar. Über den Büchhandel zu beziehen.