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Rückblick auf die Härten jener Jahre

Die junge Hochschulassistentin Eva Marschang im Jahr 1960, Foto aus der Dokumentation von Dr. Hans Gehl

Kolleginnen und Kollegen des Temeswarer Germanistik-Lehrstuhls um 1963/1964; hinten von links: Dr. Johann Wolf, Dr. Stefan Binder, Dr. Rudolf Hollinger; Mitte: Herbert Bockel, Christina Stanciu, Eva Marschang, Elisabeth Kyri; vorne: Josef Zirenner, Yvonne Lucuţa, Galina Salapina, Dr. Maria Pechtol, Dr. Maria Belizare, Franziska Itu. Das Foto aus dem Archiv von Dr. Maria Pechtol wurde von Radegunde Täuber zur Verfügung gestellt, die auch den Ort der Aufnahme in der Doja-Gasse identifizieren konnte: im Hof der damaligen Bibliothek der Lehrergewerkschaft.

„Eva Marschang – Hervorragende Hochschullehrerin und Literaturforscherin (* 10.04.1930 in Sanktmartin, lebt in Heidelberg)“. So betitelte Dr. Hans Gehl seinen Beitrag über die verdiente Mitbegründerin der Temeswarer Germanistik in „50 Jahre Temeswarer Germanistiklehrstuhl“ im Jahr 2006 (S. 61-62, mit einem Porträtfoto aus dem Jahr 1960). In der Datenbank der Deutschen Nationalbibliothek ist sie als Literaturwissenschaftlerin vermerkt mit elf Buchveröffentlichungen bzw. Buch-Übersetzungen und als Herausgeberin.

Im Internet ist die Suche nach Treffern zum Lebenswerk der Hochschulpägagogin nicht besonders ergiebig und die Angaben bei Wikipedia auch recht knapp: „Ist eine ehemalige Hochschullehrerin und Literaturforscherin in Timișoara, Deutsch- und Religionslehrerin sowie Dolmetscherin und Übersetzerin in Heidelberg.“ Zu den wichtigeren Buchveröffentlichungen und Übersetzungen gibt es eine Auswahl. Vielen Literaturfreunden in Rumänien jener Zeit ist die Buchreihe des damaligen Kriterion Verlags Bukarest in guter Erinnerung, für die u.a. Eva Marschang zeichnete (Lenau, zwei Bände, Heine, Wieland, Sturm und Drang).

Würdigende Beiträge zu den Leistungen beim Aufbau der Temeswarer Germanistik unter schwierigen Bedingungen, bei der Erstellung von Materialien für die Studenten (u.a. vier  damals sehr wichtige gedruckte  Hochschulvorlesungen), bei der Betreuung unterschiedlicher Projekte wissenschaftlicher Art sowie zahlreicher Abschlussarbeiten von Studenten veröffentlichten mehrere ihrer früheren Studenten und späteren Kollegen und Kolleginnen an der Germanistik, so Herbert Bockel (in dieser Zeitung, Nr. 7 vom 5. April 2015), Walter Engel, Horst Fassel, Hans Gehl, Peter Kottler, Roxana Nubert, Radegunde Täuber (zum 90. Geburtstag im März 2020 in dieser Zeitung) und aus der jüngsten Germanistinnen-Generation Beate Petra Kory (Lektorin für Neuere deutsche Literatur an der Westuniversität Temeswar mit den Forschungsschwerpunkten Deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts, Literatur und Psychoanalyse, Deutsche Literatur im rumänischen Sprachraum) in der großen „Enciclopedia Banatului. Literatura“ im Temeswarer David Press Print Verlag 2016 (S. 402-403, mit einem Foto). Nicht genauer festgehalten ist die wichtigste Leistung, nämlich die Ausbildung der Gymnasiallehrer über 17 Jahre hindurch, sowohl der Studierenden-Gruppen Deutsch-Rumänisch als auch Deutsch-Englisch, Lehrer, die dann eine entscheidende Rolle hatten im Unterricht der deutschen Muttersprache im Banat. Bei Jahrgangsstärken von bis 40 Studenten kann in etwa errechnet werden, wie viele bei ihr studiert haben. Aktiv wirkte Eva Marschang ebenso im kulturellen öffentlichen Leben mit. Über viele dieser Aspekte schrieb sie selbst in einer ausführlichen und kritischen Rückschau für den oben erwähnten Dokumentationsband von Dr. Hans Gehl (S. 21).

Die erste ausführliche Biographie mit Werkverzeichnis veröffentlichte Dr. Anton Peter Petri 1992 in seinem Lexikon Banatdeutscher Persönlichkeiten (Spalten 1200-1201), hier auch über ihren 1959 geheirateten Ehemann Franz Marschang (gestorben 2022).

Eva Marschang wurde am 10. April 1930 in Sanktmartin, Kreis Arad, als „(Ausbeuter)“-Tochter der wohlhabenden Landwirtefamilie Anton und Rosalia Kugler geboren, was ihr große Schwierigkeiten bereitete in der Zeit des „Klassenkampfes“ in Rumänien und der Kollektivschuld aller Rumäniendeutschen.

Im Geburtsort besuchte sie die vier Klassen der deutschen Grundschule (1937-1941). Für die folgende Zeit schrieb sie dem Autor dieser Zeilen u.a.: „Anschließend habe ich eine Aufnahmeprüfung für das Josefstädter Gymnasium der Notre-Dame-Schule gemacht. Nach dem Bombenangriff, der auch einen Flügel des Klostergebäudes schädigte (1944), hielten meine Eltern mich für ein Jahr daheim. Danach kehrte ich an den gleichen Ort zurück.

Nach dem 4. Gymnasium(jahr) war eine Aufnahmeprüfung für die Lehrerpräparandie zu bestehen. 1948 entzog der kommunistische Staat dem Orden das Recht, weiter im Schuldienst tätig zu sein. Es wurden nun weltliche Schulen auch für die deutsche Minderheit zugänglich. In der Josefstadt durfte sich in einem Teil des Klostergebäudes die Deutsche Pädagogische Lehranstalt einrichten. In dieser machte ich im Sommer 1950 meinen Abschluss als Grundschullehrerin. Direktor war Dr. Stefan Binder, unser Klassenlehrer in der 12. Kl. Dr. Johann Wolf (unser Super-Pädagoge).“

Von Herbst 1950 bis 1954 studierte Eva Kugler Philologie (Germanistik und Rumänistik) an der Bukarester Universität, in der Hauptstadt legte sie 1953 erfolgreich die Prüfung als „staatlicher Übersetzer“ ab, ein Diplom, das ihr sehr hilfreich war in den folgenden Berufsjahren. Während des Hochschulstudiums arbeitete die Studentin abends, in der Regel von 20 bis 24 Uhr, als Korrektorin bei der Bukarester Tageszeitung „Neuer Weg“ (vom 1. Oktober 1950 bis 31. Mai 1952). In der Periode des „zugespitzten Klassenkampfes“ wurde sie jedoch als Korrektorin fristlos entlassen und war „völlig mittellos“ (Mitteilung an den Autor im April 2022).

„Dank der Vermittlung eines jüdischen Bekannten hat Agerpres mich anschließend von Sommer 1952 bis Januar 1954 als Übersetzerin (auswärtige Mitarbeiterin) beschäftigt. Ich habe meine vorlesungsfreie Zeit in einem Büroraum der rumänischen Presseagentur verbracht. Dank der Vermittlung eines weiteren jüdischen Bekannten hatte man von meiner zunächst beabsichtigten Exmatrikulation abgesehen. Noch vor dem Staatsexamen – am 18.01.1954 – hat Agerpres (Bukarest) mich fest angestellt und bis 3.10.1958 als Chefübersetzerin beschäftigt.“ Diese Aussagen sind für die Nachkriegsjahre in Rumänien wichtig, denn sie belegen, dass im Unterschied zum politischen, öffentlichen und medialen Bereich im Zwischenmenschlichen des Alltaglebens die Nachbarschaft weitgehend nicht „zerbrochen“ war, wie in Veröffentlichungen mehrfach behauptet wird.

Mit der Festanstellung waren die Schwierigkeiten jedoch nicht beseitigt. „Der Klassenkampf war zwischendurch etwas abgeflaut, so dass mein ehemaliger Schuldirektor Dr. Stefan Binder, nunmehr Lehrstuhlinhaber am Pädagogischen Institut mit fünfjähriger Studiendauer in Temeswar, mich als Germanistin dort haben wollte. Als der Wechsel in Bukarest endlich genehmigt war und ich im Herbst '58 in Temeswar eintraf, herrschte dort jedoch gerade wieder ein raues Klima. Dr. Binder konnte meine Einstellung an der Uni beim Rektorat nicht durchsetzen.“

Allen politischen Vorbehalten zum Trotz stellte die Temeswarer Zeitung „Die Wahrheit“ die erfahrene Korrektorin als „Stilkorrektor“ ein (6.10.1958-30.09.1959), eine damals wichtige „technische“ Stelle (politisch weniger exponiert), weil nur wenige Redakteure ein Hochschulstudium abgeschlossen hatten. In dieser Redaktion war auch ihr späterer Ehemann Franz Marschang, Tierarzt, eine Zeit hauptamtlich tätig. Nach bestandener Bewerbungsprüfung konnte Eva Marschang von da aus die Stelle als wissenschaftliche Assistentin (1959-1961) von Dr. Hans Weresch antreten. Infolge der Verhaftung von Dr. Weresch musste sie dessen Vorlesungen (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert) übernehmen und wurde zur Dozentin befördert. Hinzu kamen Vorlesungen über die Literatur der Klassik, des Barock und des Mittelalters. Außer Interpretationsseminaren zu ihren Vorlesungen hielt Eva Marschang Stilistik- und Übersetzungs- sowie Grammatikseminare. Weil kein Parteimitglied und ein Bruder in Deutschland, blieben weitere Beförderungen bis 1976 aus. In diesem Jahr hatte die Familie den Ausreiseantrag in die Bundesrepublik Deutschland gestellt, wo sie sich ein Jahr später in Heidelberg niederließ. Hier wirkte Eva Marschang nach einer anderthalbjährigen Unterbrechung infolge neuer Schwierigkeiten am Liese Meitner- und danach bis zu ihrer Pensionierung am Hölderlin-Gymnasium Heidelberg als Deutsch- und Religionslehrerin. Die Weiterbildung für das Fach Religion absolvierte sie beim Erzbistum Freiburg. In den 1980er Jahren hielt sie u.a. einen Spezialkurs zum Thema große deutsche Realisten und Surrealisten des 20. Jahrhunderts. Sie betreute auch die Gymnasiasten mit Rumänisch als zweiter Fremdsprache. Zudem war sie als Dolmetscherin und Übersetzerin für Rumänisch für Ämter und Gerichte tätig.

Am 15. März d.J. wurde Eva Marschang, kurz vor dem 93. Geburtstag und nur ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Mannes, den sie bis zuletzt gepflegt hat, nach langem Leiden von Gott abberufen, Abschließend möchte ich nochmal den im Vorjahr verstorbenen Dr. Hans Gehl zitieren: „Als Studenten sahen wir nur die hervorragende Lehrerin und kannten nicht die Bedrängnisse und Nöte, denen sie in ihrer wechselvollen Laufbahn ausgesetzt war.“ (S. 62) Anschließend an das Werkverzeichnis heißt es ebenda ergänzend: „Eva Marschang hat jahrzehntelang zahlreiche Aufsätze und Rezensionen zu Büchern aus dem südosteuropäischen Lebensraum für Zeitungen und Zeitschriften Rumäniens und Deutschlands verfasst.“ Die frühesten in der Temeswarer Neuen Banater Zeitung, in Deutschland die meisten in Südostdeutsche Vierteljahresblätter (München).