zur Druckansicht

Anton Sterbling: „Auf die Sprache kommt es an“

Die Literatur, Kultur und Geschichte der Deutschen in und aus Rumänien sind für den emeritierten Professor für Soziologie Anton Sterbling Anliegen und Ansporn zugleich. Der aus dem Banat stammende und 1975 in die Bundesrepublik Deutschland ausgewanderte Autor beschäftigt sich seit mehr als vierzig Jahren mit Themen des südosteuropäischen Raumes, die bis heute Fragen aufwerfen. Wie sehr biographisch gefärbt Sterblings Reflexionen über Worte und Werke von Menschen „am Rande Mitteleuropas“ sind, verrät schon das einschlägige Jahr seiner Auswanderung: 1975. In diesem Jahr wurde die „Aktionsgruppe Banat“ – nach einer Zeit ununterbrochener Schikanen und Bespitzelungen, Drohungen und Drangsalierungen, Verhören und Inhaftierungen – vom rumänischen Geheimdienst zerschlagen. Sterbling gehörte zu den Mitgliedern dieses 1972 gegründeten Autorenkreises: Junge Literaturbegeisterte waren mit einem gewandelten gesellschaftspolitischen Anspruch angetreten, um durch ihr literarisches Schaffen wachzurütteln und im eingerosteten, angepassten Literaturbetrieb jener Jahre Veränderungen zu bewirken. Einmalige literarische Werke und künstlerische Aktionen wie Lese-Happenings in Temeswar und Umgebung waren das Ergebnis. Doch nach drei Jahren fand die Aktionsgruppen-Perfomance ein jähes Ende.

Berufsbedingt widmete sich Anton Sterbling zwar über Jahrzehnte der Wissenschaft, doch das Interesse an Kunst und Literatur ist seit der Gründung der „Aktionsgruppe Banat“ nie verblasst. Kein Wunder, dass er sich diesem Thema 2022 – 50 Jahre später – mit „Rückblicken, Reflexionen, Richtigstellungen“ widmet und konstatiert, wie wichtig es den jungen Autoren von damals war, in der Lyrik „typische Ausdrucksformen ‚pathetischer gebärden‘, ‚metaphorischer hohlformen‘ und ‚gehaltloser bilder‘“ und in der Prosa „‚anachronismen und reminiszenzen‘“ zu überwinden. Ein neuer literarischer Ausdruck wurde bahnbrechend – angeregt durch das absurde Theater und den Surrealismus, inspiriert von Bertolt Brechts „sachlichen, unterkühlten“ Gedichten und von der „konkreten Poesie“ Ernst Jandls sowie vieler anderer Poeten aus dem deutschsprachigen Raum. 

Von dem ersten Rundtischgespräch „Am Anfang war das Gespräch“ am 2. April 1972 in der Redaktion der Neuen Banater Zeitung bis zum letzten Auftritt – provokativ-ironisch „Von allen Seiten stürmisch begrüßt“ betitelt – am 17. Mai 1975 im Studentenkulturhaus der Universität Temeswar erzielte die Gruppe eine öffentliche und mediale Resonanz, die einmalig war und zu Recht als „Stunde Null“ im rumäniendeutschen Literaturbetrieb angesehen werden kann. Bis heute hat die Weltsicht der Protagonisten der Aktionsgruppe nichts an Aktualität eingebüßt. Wie „folgenreich“ sie war, wird einem durch Sterblings Aufsatz einmal mehr bewusst. Quellen und Literatur bis hin zu Dissertationen sind vom Autor akribisch recherchiert und zusammengetragen worden.

Doch nicht nur dieser Essay über ein biographisch grundiertes Thema ist eine Fundgrube, auch alle anderen Aufsätze des in drei Schwerpunkte gegliederten Sammelbandes erweisen sich als hilfreich und weiterführend. Im ersten Teil mit dem Titel „Das Banat und die Deutschen aus Rumänien“ wird die Besonderheit der seit Jahrhunderten multiethnischen Region und ihres quirligen urbanen Zentrums, Temeswar, Kulturhauptstadt Europas 2023, hervorgehoben. Der Autor stellt fest, dass „von einem geradezu mustergültigen Fall regionaler kultureller Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit“ ausgegangen werden kann. Nicht zuletzt hat die Mehrsprachigkeit der Menschen aus dem Banat zu einer Weltoffenheit geführt, deren beredtes Beispiel 2020 die Wahl eines „Fremden“, ohne Banater Vorfahren, zum Bürgermeister von Temeswar ist.

Dass es bei den Banater Schwaben auch einen „identitätsstiftenden historischen Ursprungs-, Gründungs- und Herkunftsmythos“ gibt, kommt in diesem ersten Teil des Buches ebenfalls zum Tragen. Stefan Jägers künstlerisch ausgestaltetes Werk „Die Einwanderung der Schwaben ins Banat“ und Adam Müller-Guttenbrunns Roman „Der große Schwabenzug“ legen davon Zeugnis ab. Und dass die „Kaiserin“ (gemeint ist Maria Theresia) in Banater Kreisen etwas idealisiert wird, kann mit einem Augenzwinkern quittiert werden. Es gibt jedoch nicht nur einen kollektiven Mythos. Auf eine „Kollektivschuld“, verursacht durch die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs, folgt auch ein kollektiver Schicksalsschlag: die Deportation der Banater Schwaben in die Sowjetunion. Sterbling zeigt, wie eine „ethnische Minderheit ins Räderwerk der Geschichte“ gerät und zum „willkürlichen Spielball entfesselter und gewaltenthemmter Mächte“ wird – so geschehen auch im Fall der kommunistischen Diktatur, mit der sich der abschließende Aufsatz des ersten Teils beschäftigt.

Schicksalhaft war während des Ceauşescu-Regimes auch die Aussiedlung der deutschen Minderheit in die Bundesrepublik mit all ihren „Verhaltens- und Handlungsdilemmata“, die der Autor psychologisch feinsinnig von ihren Anfängen bis zum Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft 1989 verfolgt. Aufschlussreich sind diesbezüglich die „biographische Skizze“, versehen mit dem harmlos klingenden Titel „Warum ich kein Handwerker wurde“, sowie die „soziologischen Impressionen“ des Autors über das Banater Bergland, in dessen Herz – Reschitza – es den Großsanktnikolauser zum Elektrotechnikstudium verschlug. Wäre aus Anton Sterbling ein Handwerker oder Ingenieur geworden, wären wir gewiss nicht in den Genuss des dritten und letzten Teils seines Buches gekommen – jenes Kapitels, das sich mit den Umbrüchen in der rumäniendeutschen Kunst- und Literaturszene befasst und das mit dem bereits erwähnten Essay über die „Aktionsgruppe Banat“ kulminiert. Hier widmet sich der Autor unter anderem der sogenannten „Tauwetterperiode“, in der sich Rumänien von der Sowjetunion abwandte, die – wie der Autor zu Recht konstatiert – nichts als ein Täuschungsmanöver war, dem viele optimistisch gestimmte Schriftsteller, Publizisten und Künstler auf den Leim gingen: In dieser kurzen Phase ging es „keineswegs um eine Demokratisierung und Verwestlichung der rumänischen Gesellschaft“, sondern „um die Herrschaftssicherung, Konsolidierung und den Umbau der Machtstrukturen einer immer stärker von einem bizarren Personenkult geprägten neostalinistisch-nationalkommunistischen Diktatur“. Finstere Jahre folgten, doch die Sehnsucht nach freiem Ausdruck und der Wille zur Veränderung überlebten. Und sie tragen bis heute Früchte. Der Rolf-Bossert-Gedächtnispreis zählt unbedingt dazu! Was „letztlich gilt“, weiß Anton Sterbling zu würdigen: „Auf die Sprache kommt es an.“ 

Anton Sterbling: Das Banat, die Deutschen aus Rumänien und die rumäniendeutsche Literatur. Herausgeber: Landsmannschaft der Banater Schwaben (Banater Bibliothek, Band 22). München 2022. 345 Seiten. 18 Euro zzgl. Versandkosten. Bestellung bei: Landsmannschaft der Banater Schwaben, Karwendelstraße 32, 81369 München, Tel. 089 / 2355730, E-Mail landsmannschaft@banater-schwaben.de oder über den Banater Shop (www.banater-schwaben.org)