zur Druckansicht

Wie lässt Temeswar sein Licht erstrahlen? Zum Programm der Kulturhauptstadt 2023

Plakat der Landsmannschaft der Banater Schwaben zum Kulturhauptstadtjahr 2023, erstellt von Stefan Lehretter

Groß war die Euphorie im Jahr 2016, als Temeswar sich mit seiner Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2021 durchsetzte. Der Publizist Dan Cărămidariu kommentierte damals in der lokalen Banater Zeitung: „An der Bega setzte man klugerweise auf Multikulturalität, auf Interkonfessionalität, man wollte sich über Grenzen hinwegsetzen, Nachbarn einbinden, Wege zu- und miteinander bauen. (…) In einem krisenerprobten Europa, wo das Miteinander schwieriger geworden ist, könnte Temeswar ein Zeichen setzen. Ein richtiges.“ Doch bald schon hörte man von Streit und Unstimmigkeiten im Organisationsgremium, bei der Stadtverwaltung und bei den Kulturschaffenden.

Als die Kulturhauptstadt wegen Corona gleich um zwei Jahre verschoben wurde, atmeten alle erleichtert auf. Der Verein, der sich mit seiner Geschäftsführerin Simona Neumann um die Organisation des Kulturhauptstadtjahrs kümmern sollte, war inzwischen heillos zerstritten. Der Zeitgewinn brachte eine neue Stadtregierung mit Dominic Fritz an der Spitze, der das Projekt nun für 2023 in kommunale Hände nahm. Damit schienen die Wogen erst einmal geglättet, auch wenn immer wieder Unstimmigkeiten und Querelen an die Oberfläche kamen. Marius Koity, der sich im Herbst 2022 vor Ort kundig machte, fand einen doch recht zuversichtlichen Bürgermeister, mit der Haltung „Keine Sorge, wird schon“ vor, der aber doch einräumen musste, „dass ihm das Leben im zentralistisch verwalteten Rumänien von übergeordneten Strukturen wie dem Kreis Timiş und der Regierung selbst schwer gemacht werde. Das ökoliberale Stadtoberhaupt scheint, um den gewissen Politkrimi in einem Satz zusammenzufassen, aus Bukarester Sicht in der falschen Partei zu sein“. Dominic Fritz klagte, dass die zugesicherten finanziellen Mittel für die Planung bislang nicht eingetroffen seien.

Noch kurz vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres veröffentlichte die ADZ einen ganzseitigen Artikel von Dan Cărămidariu – eben jenem, der 2016 so euphorisch gewesen war –, der unter dem Titel „Die Hauptstadt des Nichts oder das Banat als vergangene Erinnerung“ eine bittere Anklage an die Akteure des Kulturhauptstadtjahres war, die in seinen Augen alle Chancen vertan haben, das „Licht“ der Stadt, gemäß dem gewählten Motto, in irgendeiner Art zum „Leuchten“ zu bringen. Er kritisiert, dass Ideen und Projekte nicht oder nur ansatzweise umgesetzt wurden, sodass man auf Provisorien setzen muss und die Nachhaltigkeit für die Zeit nach dem Kulturhauptstadtjahr nicht gegeben ist.

Vielfältige Angebote der Kulturhauptstadt

Die Stadt verbreitet dagegen Optimismus. Immerhin hat mittlerweile der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis die Schirmherrschaft über das Programm der Kulturhauptstadt übernommen. Geld wurde von Bukarest auch überwiesen und zusätzlich hat die Europäische Kommission das Kulturhauptstadt-Programm mit dem mit 1,5 Millionen Euro dotierten Melina-Mercouri-Preis ausgezeichnet. In der rumänischen Botschaft in Berlin und in anderen europäischen Hauptstädten stellte die Kulturhauptstadt sich und ihr Programm vor, das im Internet unter www.timisoara2023.eu abrufbar ist (in rumänischer, englischer, ungarischer – aber leider nicht in deutscher Sprache). Das Programm soll auf drei Säulen aufbauen: Menschen – Plätze – Verbindungen, doch ein schlüssiges Gesamtkonzept ist in der Vielfalt des Gebotenen nicht zu erkennen. Erschwerend kommt hinzu, dass verheißungsvoll klingende Programmpunkte auf der Website leider nicht mit erklärendem Inhalt gefüllt und auch nicht mit Links hinterlegt sind.

Sicher lohnt sich jedoch die Mühe, selbst ins Detail zu gehen und die eine oder andere Perle im Angebot zu entdecken. Mehrere Kurzfilm-Vorführungen über Temeswar des Projekts „Harta secretă“ (Die geheime Landkarte) im Kulturhaus, eine Veranstaltungsreihe der Universität mit so prominenten Gästen wie den Literaturnobelpreisträgern Orhan Pamuk und Olga Tokarczuk, dem Philosophen Peter Sloterdijk oder John Malkovich als Gastschauspieler einer Aufführung der „Göttlichen Komödie“ im rumänischen Nationaltheater lassen aufhorchen. Auch die geplante Kunstinstallation des lokalen Architektenverbandes, die aus einem mehrstöckigen begehbaren Metallgerüst mit über 1300 heimischen Pflanzen besteht, verspricht das Stadtzentrum zwischen Oper und Kathedrale besonders in Szene zu setzen.

Fest steht die Eröffnungsfeier vom 17. bis zum 19. Februar mit mehreren öffentlichen Veranstaltungen. Dabei wird auch eine Ausstellung des rumänisch-jüdischen Surrealisten Victor Brauner eröffnet, die in Kooperation des Nationalmuseums mit dem Centre Pompidou in Paris und dem Französischen Institut entstanden ist. Ein weiteres Ausstellungs-Highlight ist für September-Oktober terminiert, eine große Schau des rumänischen Bildhauers Constantin Brâncuşi. Auch dem Banater Bildhauer Ingo Glass ist Anfang September eine Ausstellung gewidmet. Das Kulturhauptstadtjahr wird im Dezember mit einem „Lichterfestival“ und einer Gedenkveranstaltung zur Revolution von 1989 in Temeswar beendet.

Zum Start des Schönwetterprogramms findet im März ein Eröffnungskonzert der Temeswarer Philharmonie und des WDR Sinfonieorchesters aus Köln auf dem Domplatz statt. Weitere Konzert-Highlights werden im Lauf des Jahres folgen. Etwa mit dem Französischen Nationalorchester und dem aus Temeswar stammenden Dirigenten Cristian Măcelaru. Oder mit dem Theater Altenburg-Gera, das gemeinsam mit der Banater Philharmonie Schönbergs Gurre-Lieder aufführen wird.

Das Programm verspricht auch kleine und dezentrale Events, die sich an die Stadtgesellschaft richten. Eins davon ist das immersive Theaterprojekt „Oraşul paralel“ („Die parallele Stadt“), das der Kulturverein Diogene in Zusammenarbeit mit dem Ungarischen Staatstheater Temeswar „Csiky Gergely“, dem Deutschen Staatstheater Temeswar und dem Polytechnikum Temeswar entwickelte. Es hat vor allem die drei historischen Stadtteile Josefstadt, Elisabethstadt und Fabrikstadt im Fokus und sieht das ganze Jahr über verschiedene Aufführungen in der unkonventionellen Spielstätte des Reformierten Zentrums Neues Millennium in der Fabrikstadt und mit einer digitalen Komponente mittels einer App vor. Das Deutsche Staatstheater ist aber auch im eigenen Haus gut für die Kulturhauptstadt gerüstet. Zu den Stücken mit lokalem Bezug aus den vergangenen Spielzeiten – Herta Müllers „Niederungen“ und „Tagebuch Rumänien. Temeswar“, die wieder aufgenommen werden –, gesellt sich die Neuinszenierung „Menschen. Zu verkaufen.“ Hinzu kommt Zeitgenössisches wie „Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder und „Tschick“ in der Bühnenfassung von Robert Koall neu auf den Spielplan.

Präsenz zeigen im „Heimatjahr“

Das Temeswarer Deutsche Forum hat das Kulturhauptstadtjahr zum „Heimatjahr“ erklärt und appelliert damit selbstverständlich auch an die ausgewanderten Temeswarer und Banater, den Anlass zu einem Besuch in der Kulturhauptstadt zu nutzen. Das Programm begann bereits am 27. Januar mit einer Gedenkveranstaltung zu Ehren der Opfer der Russlanddeportation. Höhepunkte werden die Feier zum 150. Jubiläum der Lenauschule am 19. und 20. Mai sowie die Heimattage der Banater Deutschen vom 2. bis zum 4. Juni sein. 

Das Programm der Heimattage wird weitgehend dem bewährten Muster entsprechen, diesmal aber etwas ausgeweitet. Bereits am Freitagvormittag startet es mit einem Platzkonzert auf dem Domplatz. Zum Rahmenprogramm gehört die Ausstellung „Die Banater Schwaben im 20. Jahrhundert“, auch wird während der Heimattage auf dem Domplatz zur Erinnerung an die Auswanderung der Banater Schwaben eine sechs Meter lange „Ulmer Schachtel“ zu sehen sein. Das Kunstmuseum trägt mit der Ausstellung „Banater Maler“, die von Annemarie Podlipny-Hehn mit der Vorstellung ihrer Kunstalben eröffnet wird, zum Festprogramm bei. 

Aus Anlass des 100. Todestages von Adam Müller-Guttenbrunn findet am Freitag im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus eine Gedenkveranstaltung zu Ehren des Dichters statt. Den Festvortrag hält Peter-Dietmar Leber, danach werden Auszüge der Romanbearbeitung „Meister Jakob und seine Kinder“ von Hans Kehrer aufgeführt. 

Die Nachmittage des Freitag und Samstag sind im Banater Dorfmuseum im Jagdwald jeweils den Brauchtumsveranstaltungen gewidmet. Blasmusikkapellen aus dem Banat, aus Deutschland und aus Ungarn treten im Wechsel mit den von nah und fern angereisten oder vor Ort bestehenden Tanzgruppen auf. Höhepunkt ist am Samstagabend der Große Schwabenball.

Der zentrale Festakt mit der Festrede von Bischof emeritus Martin Roos und der Verleihung der Ehrennadel des Demokratischen Forums sowie des Stefan-Jäger-Preises findet am Samstag in der Oper statt. Der Sonntag beginnt mit einem Festgottesdienst im Dom, zelebriert von Bischof József Csaba Pál und musikalisch gestaltet von Franz Metz. Anschließend zieht der Zug der Trachtenpaare in Begleitung der fünf Blaskapellen und unterbrochen von Tanzdarbietungen vom Domplatz über den Paradeplatz zum Opernplatz. Am Sonntagabend laden Franz Metz und der Trompeter Franz Tröster noch zu einem klassischen Konzert in den Dom ein.

Zum Kulturhauptstadtjahr rechnen die Veranstalter mit vielen Teilnehmern aus den Reihen der Banater Schwaben in Deutschland. Viele Heimatortsgemeinschaften haben auch außerhalb der Heimattage oder zur deutschen Wallfahrt nach Maria Radna Veranstaltungen geplant, die auch einen Abstecher nach Temeswar vorsehen. Sicher ist: Es wird das ganze Jahr über einiges los sein. Wir sind dabei, wir feiern mit!